Als erster Automobilhersteller überhaupt wagt Audi mit dem neuen R18 e-tron quattro den Einsatz eines über 510 PS starken Diesel-Hybrids beim legendären 24-Stunden-Rennen von Le Mans, dem weltweit wohl berühmtesten Langstrecken-Klassiker, der in diesem Jahr vom 16 - 17. Juni 2012 stattfinden wird. Weitere Neuheit: Nach dem Allradverbot in FIA-Rundstreckenrennserien zur Saison 1998 feiert Audi erstmals wieder das Comeback mit vier angetriebenen Rädern auf der Rennstrecke.
© Foto: Christian Brinkmann, Speed Heads
Dieser Rennwagen ist jedoch auch unter den Aspekten zukünftiger Technologien für die Straßenfahrzeuge von Interesse: Die 24 Stunden von Le Mans bieten für Audi seit 1999 ein hervorragendes Labor zur Erprobung neuer, serienrelevanter Technologien. In Le Mans wurden die TFSI- und TDI-Motoren standfest gemacht, die heute die Modellpalette bestimmen.
Als nächstes folgen der Diesel-Hybrid und der teilelektrisierte Allradantrieb „e-tron quatttro“, bei dem eine Achse von einem Verbrennungsmotor oder aber einem Hybrid-System aus Verbrennungs- und Elektromotor und die zweite Achse rein elektrisch angetrieben wird. Erste Versuchsfahrzeuge mit dem elektrischen Allradantrieb „e-tron quattro“ für eine mögliche Serienproduktion werden bereits erprobt.
Revolution in 18 Monaten: Im Februar 2010 begann das Projekt „e-tron quattro“ für den Motorsport. Von den ersten Konzeptideen bis zum ersten Testeinsatz vergingen gerade eineinhalb Jahre. „Das ist für eine Technologie, die so noch nie im Motorsport erprobt worden ist und die in dieser Form auch noch nicht in der Serie existiert, ein relativ kurzer Zyklus“, betont Dr. Martin Mühlmeier, Leiter Technik bei Audi Sport.
Exterieur: Im Detail grundlegend optimiert
Äußerlich unterscheidet sich der R18 e-tron quattro nicht wesentlich vom Audi R18 TDI, der im vergangenen Jahr das Rennen von Le Mans gewann. Die geschlossene Fahrzeugvariante behielt Audi bei; denn Le Mans wird von Geraden und Höchstgeschwindigkeit dominiert - dann erweist sich ein geschlossenes Fahrzeug effizienter als ein offenes. Doch die Ingenieure von Audi Sport leisteten ganze Arbeit und ließen im Detail kaum einen Bereich unberührt. Das Ergebnis ist ein weitgehend neuer LMP1-Prototyp, inklusive eines modifizierten Carbon-Monocoques, das weiterhin durch seine einteilige Bauweise besticht.
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Auf den ersten Blick charakterisieren den Audi R18 e-tron quattro im Vergleich zum Diesel-Boliden R18 ultra lediglich eine Warnleuchte und vom Reglement vorgeschriebene Aufkleber. Die angetriebene Vorderachse sowie Kühler werden durch die Karosserie verdeckt. Nur ein Bedienpanel unterhalb des normalen Armaturenbrettes weist im Cockpit den e-tron quattro aus. Fahrdynamisch ist der zusätzliche Vorderradantrieb nach Aussage der Fahrer allerdings deutlich wahrzunehmen.
Die bereits 2011 deutlich ausgereifte Aerodynamik passten die Macher in erster Linie an die neuen Regularien an, die Öffnungen über den Radhäusern vorschreiben. Zudem stand eine weitere deutliche Absenkung des aerodynamischen Widerstandes trotz eines gesteigerten Kühlungsbedarfs der Hybrid-Komponenten im Lastenheft. Die Sicht aus dem geschlossenen Cockpit verbesserten die Macher durch Detailoptimierungen im Bereich der Scheibenreinigung und des Leuchtfeldes der Voll-LED-Scheinwerfer.
In erster Linie aus dem Hybrid-Antrieb resultiert die etwas längere Frontpartie, die jedoch auch positive Auswirkungen auf die Gesamtbalance besitzt. Entsprechend können die Ingenieure bei Renneinsätzen Zusatzgewichte genau dort platzieren, wo es am besten ist. Der Audi R18 e-tron quattro wiegt die vom Reglement für LMP1-Fahrzeuge vorgeschriebenen 900 Kilogramm.
Einen ganz wesentlichen Einfluss auf das Design des R18 e-tron quattro besitzt die bereits bekannte und vom Reglement vorgeschriebene Finne zwischen Cockpit und Heckflügel, die helfen soll, bei einem Dreher Geschwindigkeit abzubauen. Audi Sport integrierte daher die Finne in das strukturelle wie aerodynamische Gesamtkonzept des Fahrzeugs. So schließt sich die Heckflügelaufhängung praktisch nahtlos an die Finne an. Auch den einteiligen Auspuff integrierten die Macher in das Gesamtpackage am Heck auf eine ausgeklügelte Weise.
e-tron quattro: Der Allradantrieb der nächsten Generation
Das V6-TDI-Aggregat generiert aus 3,7 Litern Hubraum über 510 PS sowie ein maximales Drehmoment von 850 Nm und gibt seine Kraft weiterhin an die Hinterräder. Dazu wird an der Vorderachse kinetische Energie in Bremsphasen rekuperiert, also Bewegungsenergie zurückgewonnen, elektrisch in einen Schwungradspeicher eingespeist und beim Beschleunigen erneut abgerufen. In diesen Vorgang ist ausschließlich die Vorderachse eingebunden.
Beide Systeme zusammen ergänzen sich zum Antriebsprinzip e-tron quattro, einer neuen Art von Allradantrieb, das wiederum eine Revolution einläutet - so wie der permanente Allradantrieb quattro dank Audi ab 1980 dem Automobilbau und ab 1981 dem Motorsport einen deutlichen, über Jahrzehnte wirkenden technologischen Impuls gab. Aus dem Kraftübertragungsprinzip, das einst Geländewagen vorbehalten war, entwickelte Audi mit vielen technischen Innovationen ein hoch leistungsfähiges System für Personen- und Sportwagen.
© Foto: Christian Brinkmann, Speed Heads
Damals bot Audi als erster Hersteller erfolgreich den permanenten Allradantrieb quattro in Hochleistungsfahrzeugen und später schließlich in nahezu allen Baureihen an, was im Rallyesport zu zwei Marken- und zwei Fahrer-Weltmeistertiteln führte. Anschließend sorgte der Allradantrieb auf der Rundstrecke ebenfalls für Furore: In der TRANS-AM- und IMSA-GTO-Serie in den USA, in der DTM und bei den Supertourenwagen konnten quattro-Modelle international zahlreiche Rennen und Titel gewinnen.
Prozess der Energierückgewinnung in einfachen Worten
Erneut spielt der Motorsport die Rolle des Vorreiters. „Vorsprung durch Technik“ bedeutet beim Audi R18 e-tron quattro die Entwicklung eines eigenständigen Hybrid-Systems, inklusive der Gesamtvernetzung, Steuerung, Software, Algorithmen und Schnittstellen. Audi entschied sich im Rennwagen für ein Schwungrad-Speichersystem, da die Anforderungen in Le Mans etwas anders aussehen als im Alltag. Eine hohe Leistungsdichte ist bei der Energie-Rückgewinnung entscheidend. „Der Speicher muss in der Lage sein, innerhalb weniger Sekunden in der Bremsphase viel Energie aufzunehmen.
Das an der Vorderachse untergebrachte System besteht unter anderem aus zwei Antriebswellen, der Motor-Generator-Einheit (MGU) mitsamt Planetengetriebe und einem elektrischen Schwungradspeicher neben dem Fahrer. Der Prozess der Energierückgewinnung ist relativ einfach erklärt, die technische Umsetzung hingegen äußerst anspruchsvoll. Die Rückgewinnung der Energie erfolgt beim Bremsen. Dabei treiben die Räder die MGU an, die wiederum elektrisch ein Carbon-Schwungrad beschleunigt, das im Hochvakuum läuft.
Ist die Kurve durchfahren und der Fahrer beschleunigt erneut, gibt das System die Energie an die Vorderachse ab. Das Reglement ermöglicht es, 500 kJ Energie zwischen zwei Bremsphasen an die Vorderräder zu leiten. Ein Planetengetriebe passt das Übersetzungsverhältnis bei der Beschleunigung und beim Bremsen an. Synchronisiert werden die beiden unabhängig voneinander angetrieben Achsen des e-tron quattro ausschließlich über elektronische Regelstrategien.
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Diese Regelung erfolgt vollautomatisch ohne Zutun des Fahrers. Den gesamten Ladevorgang (Rekuperation) steuern zwei Parameter: Die Verzögerung des Fahrzeugs, also den Bremsvorgang, in Abhängigkeit vom Ladezustand des Speichers. Der Energieabgabeprozess (Boost) definiert sich über die vom Reglement vorgegebene Geschwindigkeit von mindestens 120 km/h, die gewählte Rennstrategie, die Gaspedalbewegung und die Beschleunigung des Fahrzeugs.
Le Mans 2012: Zwei Audi R18 e-tron quattro und zwei Audi R18 ultra
Sein Renndebüt feiert der neue Audi R18 e-tron quattro am 5. Mai 2012 beim 6-Stunden-Rennen in Spa-Francorchamps (Belgien). Bei den 24 Stunden von Le Mans am 16. und 17. Juni setzt das Audi Sport Team Joest zwei Fahrzeuge mit dem innovativen Antriebssystem ein. Parallel dazu schickt das Audi Sport Team Joest bei der 80. Auflage des berühmtesten Langstreckenrennens der Welt zwei klassisch angetriebene Audi R18 ultra an den Start, die abgesehen vom Hybridsystem absolut baugleich mit dem R18 e-tron quattro sind.
Die beiden Hybrid-Fahrzeuge werden vom Siegertrio des Vorjahres, Marcel Fässler (CH), André Lotterer (D) und Benoît Tréluyer (F) sowie den insgesamt 13-fachen Le-Mans-Siegern Dindo Capello (I), Tom Kristensen (DK) und Allan McNish (GB) pilotiert. Neuverpflichtung Loïc Duval (F) startet gemeinsam mit Timo Bernhard (D) und Romain Dumas (F) mit einem R18 ultra, ebenso Marco Bonanomi (I), Oliver Jarvis (GB) und Mike Rockenfeller (D).
In selber Formation bestreitet das Audi Sport Team Joest auch den Weltmeisterschaftslauf in Spa-Francorchamps (Belgien) am 5. Mai 2012, der gleichzeitig als Generalprobe für die 24 Stunden von Le Mans dient. Nur Mike Rockenfeller wird bei diesem Rennen wegen einer Terminüberschneidung mit der DTM fehlen.
Nach den 24 Stunden von Le Mans plant Audi in der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) den Einsatz je eines R18 e-tron quattro und eines R18 ultra. Als Fahrer wurden bislang André Lotterer und Allan McNish nominiert. Beim WM-Auftakt in Sebring (USA) am 17. März 2012 vertraut das Audi Sport Team Joest noch einmal auf den bewährten R18 TDI aus dem Vorjahr, die von Marcel Fässler/André Lotterer/Benoît Tréluyer, Dindo Capello/Tom Kristensen/Allan McNish sowie Timo Bernhard/Romain Dumas/Loïc Duval pilotiert werden.