Das darf doch nicht wahr sein: Ausgerechnet in Baden-Württemberg, der Heimat von Porsche und Mercedes-Benz, führt die Landesregierung im Mai 2016 ein Tempolimit von 120 km/h auf zunächst zwei Autobahnen ein - und das außerhalb von Ballungszentren auf vergleichsweise wenig befahrenen Abschnitten. Bei der Landesregierung läuft der Modellversuch unter dem Motto „Mehr Sicherheit auf Autobahnen“.
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Die Durchführung des Pilotversuches findet auf zwei Strecken statt, auf denen ein Tempolimit von 120 km/h herrschen wird - damit sogar unter der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h: Der A96 von Achberg bis Aitrach und auf der A81 von Hegau bis Bad Dürrheim. Der letztgenannte Streckenabschnitt auf der A81 ist insbesondere bei Testfahrern der Autoindustrie beliebt, die dort die Erlkönige ausfahren können. Ein generelles Lkw-Überholverbot wird auf den genannten Autobahn-Abschnitten indes nicht eingeführt.
Während des vierjährigen Projekts möchte die Landesregierung die Auswirkungen der Tempolimitierung auf das Unfallgeschehen, das Verkehrsverhalten und die Verkehrsabläufe untersuchen. Die EU, der Bund und die Landesregierung gaben bis 2020 das Ziel vor, die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu reduzieren (ausgehend von den Unfallzahlen des Jahres 2010). Mit der Erprobung soll daher geprüft werden, ob dies durch die Maßnahmen auf den ausgewählten Pilotstrecken erreicht werden kann. Darüber hinaus möchte das Land Baden-Württemberg ermitteln, inwieweit sich die Absenkung der Höchstgeschwindigkeit auf Lärm und Abgasausstoß auswirkt.
Für den Pilotversuch wählten die Initiatoren längere, zusammenhängende Streckenabschnitte auf Bundesautobahnen in Baden-Württemberg aus, auf denen bislang überwiegend keine Geschwindigkeitsbeschränkungen bestehen, also Streckenabschnitte außerhalb von Ballungsräumen, auf denen hohe Differenzgeschwindigkeiten zwischen den Fahrzeugen anzunehmen sind. Was Aufhorchen lässt: Die Initiatoren betonten ausdrücklich, dass die gewählten Abschnitte repräsentativ für das überwiegende BAB-Streckennetz sind. Ist dies bereits ein Vorzeichen für ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen?
„Wir müssen alles dafür tun, dass die Autofahrerinnen und Autofahrer auf unseren Straßen jederzeit sicher und unfallfrei unterwegs sein können“, sagte der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen). Hermann weiter: „Das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit ist oft die Hauptursache für Unfälle auf der Autobahn.“
Die Bundesrepublik Deutschland übernahm die Zielsetzung der EU, bis zum Jahr 2020 die Anzahl der im Straßenverkehr getöteten Personen, ausgehend von den Unfallzahlen von 2010, um 40 Prozent zu senken. Im Koalitionsvertrag strebt das Land langfristig mit der „Vision Zero“ sogar das Ziel an, dass möglichst gar keine Personen bei Verkehrsunfällen getötet oder schwer verletzt werden. Bei den Unfällen auf Bundesautobahnen wird eine überhöhte oder nicht angepasste Geschwindigkeit als Hauptunfallursache angeführt, so die Sprecher des Landes Baden-Württemberg.
Die Landtagswahl 2011 führte in Baden-Württemberg zu einem historischen Regierungswechsel: Die bisher regierenden Parteien CDU und FDP verfügen seitdem gemeinsam nur noch über 67 Sitze von insgesamt 138 Sitzen. Die CDU ist damit zum ersten Mal seit 1953 in der Opposition und stellt nicht mehr den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. SPD und Grüne erreichten zusammen 71 Sitze, wobei die Grünen mit 36 Sitzen einen Sitz vor der SPD liegen. Winfried Kretschmann wurde am 12. Mai 2011 mit 73 Stimmen zum ersten grünen Ministerpräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewählt.