Heute fällt in Brescia einmal mehr die Startflagge zur Mille Miglia storico (06.05.2004 bis 09.05.2004) - für viele die faszinierendste Oldtimer-Veranstaltung der Welt. Doch während bereits zum 22. Mal auf Gleichmäßigkeit gefahren wird, war die ursprüngliche Mille Miglia eine irrwitzige Jagd über Landstraßen und durch die Städte und Dörfer Italiens: ein Rennen ohne Pausen über gut 1600 Kilometer, also 1000 Meilen - daher der Name Mille Miglia.
Von den 20er bis in die 50er Jahre verkörperte die Mille Miglia das berühmteste Straßenrennen der Welt. Gewonnen hat die Mille Miglia vor genau 50 Jahren ein Rennwagen von Lancia, der D 24 Spider mit Alberto Ascari am Steuer. Dieses legendäre Fahrzeug kommt jetzt anlässlich des 50. Jubiläums bei der Neuauflage der Mille Miglia erneut zum Einsatz.
© Foto: Speed Heads
Die Mille Miglia ging als eines der härtesten und längsten Straßenrennen der Welt in die Automobilgeschichte ein. Auf der Strecke Brescia-Rom-Brescia standen den rund 400 Teilnehmern abenteuerliche Meilen durch ein Meer voller Emotionen und Erlebnisse bevor. Die Vollgasfahrten über schmale, sich durch unübersichtliche Hügellandschaften windende Landstraßen gerieten selbst den hartgesottensten Rennfahrern zur Mutprobe. Gegenverkehr war auf der in ihrer Länge nicht absperrbaren Strecke nicht auszuschließen, enge Ortsdurchfahrten bargen ein hohes Risiko: Ein motorsportbegeistertes italienisches Publikum wagte sich jubelnd und anfeuernd bis auf wenige Zentimeter an die mit hohen Durchschnittsgeschwindigkeiten durch halb Italien rasenden Fahrzeuge.
Gegenüber seinen Vorgängern war der in nur sechs Wochen entwickelte Lancia D24 Spider ein deutlich konsequenterer Rennwagen. Im Radstand von 2.600 auf 2.400 Millimeter verkürzt, wog er statt 800 kg nur noch um die 760 kg. Sein V6, auf 3.284 cm3 vergrößert, gab bei etwa 6.500 U/min um 184 kW (250 PS) ab – damit war er gut für etwa 260 km/h Spitze. Der tief platzierte Motor wurde als mittragendes Element in das Chassis integriert, das nur 70 kg auf die Waage brachte. Die Kraftübertragung erfolgte über ein neu entwickeltes Vierganggetriebe.
Die "Mille" 1954, die vom 30. April auf den 1. Mai stattfand, führte zwar wie immer von Brescia über Rom in die Lombardei zurück, verlief aber über einen leicht abgeänderten Kurs – zu Ehren des verstorbenen Tazio Nuvolari bezog er dessen Heimatstadt Mantua ein. Neu war auch das Reglement. Erstmals war kein Beifahrer mehr vorgeschrieben. Alle Experten erwarteten einen Zweikampf zwischen den vier Ferraris mit ihren mächtigen Fünfliter-V-12 und den vier Lancia D 24. Das Turiner Team hatte Castellotti, Taruffi, Gino Valenzano und als Starfahrer den Ex-Ferrari-Piloten Alberto Ascari verpflichtet.
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Der zweimalige Weltmeister wirkte vor dem Start überaus nervös. Er war kein Freund von Straßenrennen, er hatte aus ganz persönlichen Gründen zugesagt: Ursprünglich sollte sein Freund Luigi Villoresi antreten, der allerdings hatte sich bei einem Unfall schwer verletzt. Und dann entwickelte sich für den Piloten aus Mailand noch eine schier unglaubliche Pechsträhne: Ein Tankwart goss versehentlich Benzin in den Öltank seines Wagens. Bei einem Roll-Out danach war Ascari vom Handling seines B 24 so wenig überzeugt, dass er darauf beharrte, in den Ersatzwagen umzusteigen. Der wiederum wurde wenige Stunden vor dem Start von einem Lkw demoliert – die Mechaniker reparierten das Heck in Rekordzeit, und Ascari konnte rechtzeitig zum Start in der Viale Rebuffone rollen.
Auch der D 24 erwies sich nicht als hundertprozentig standfestes Rennauto; sein größtes Manko war der hohe Öldurst, der auf Probleme mit der neuen Trockensumpfschmierung zurückging. Er wurde Valenzano zum Verhängnis: Von der rapide fallenden Druckanzeige für einen Moment abgelenkt, kam er in einer Kurve nahe Pescara von der Strecke ab und überschlug sich mehrfach. Castellotti schied mit Motorschaden aus, und Taruffi, der vom Start weg über weite Strecken in Führung gelegen hatte, geriet unweit von Florenz von der Straße, als ihn ein anderes Fahrzeug blockierte – der Lancia-Stab, der in Iseo bei Brescia Quartier bezogen hatte, musste drei Hiobsbotschaften hinnehmen. Den großen Ferraris erging es noch schlimmer – keiner von ihnen beendete das Rennen. Insgesamt fielen 99 der 374 gestarteten Autos aus.
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Der Sieger war am Ende kein Anderer als Alberto Ascari mit der Startnummer 602. Nach über 1.600 Kilometern und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 139,645 km/h erreichte er das Ziel in Brescia mit 34 Minuten Vorsprung auf den Zweiten, einen Zweiliter-Ferrari – obwohl ihm das Pech treu geblieben war, in Form des Bruchs einer Drosselklappen-Rückholfeder. Als Ersatz musste das Strumpfband einer Zuschauerin herhalten; die Notreparatur gelang. Eine weitere dramatische Fußnote schrieb Porsche-Werksfahrer Hans Herrmann in die Chronik dieses Rennens: Kurz nach dem Start schoss er im allerletzten Moment über einen Bahnübergang, unter der schon beinahe gesenkten Schranke hindurch und knapp vor der Lok des herandonnernden Zugs.
Raum für Erinnerungen bietet die in diesem Jahr vom 6. bis 9. Mai ausgetragene Mille Miglia storico in vielfacher Form. Seit Jahren gilt sie als Mekka für Sportwagen- und Oldtimer-Liebhaber, die das rund 360 Fahrzeuge umfassende Feld entlang der Route von Brescia über Ferrara, San Marino, Rom, Siena und Bologna nach Brescia bejubeln. In den zumeist sehr kostbaren Pretiosen - teilnahmeberechtigt sind nur Fahrzeuge, die zwischen 1927 und 1957 bei der ursprünglichen Mille Miglia starteten - sitzen Fahrer aus aller Welt, die die Straßen Italiens für das erste Maiwochenende in das größte rollende Sportwagenmuseum der Welt verwandeln.