Plötzlich durchbricht ein unnachahmliches Geschrei die wunderschöne Idylle des tiefen Waldes im Norden Schwedens. Das raue Gebrüll nähert sich schnell, rasend - und schlagartig taucht er auf: der legendäre Audi Sport quattro in der Rallye-Version, im berühmten weiß-gelben Look der Zigarettenmarke HB. Kein Nachbau, sondern der Original-Rennwagen der verrückten Gruppe B der Rallye-Weltmeisterschaft, mit dem Walter Röhrl und Christian Geistdörfer die Rennen bestritten. Am Steuer jedoch der Weltmeister: Stiq Blomqvist aus Schweden, der mit Audi 1984 seinen größten Triumph feierte. Der „alte Schwede“ lässt es noch immer richtig krachen und lädt mich zu einer wahnwitzigen Mitfahrt durch den Wald im Renntempo ein, die verrückter nicht sein könnte.
© Foto: Audi
Zusammengepresste Innereien: Der alte Herr meint es ernst
In den 1980er-Jahren zog mich der charakteristische Sound des Fünfzylinder-Turbomotors des Audi Sport quattro S1 am Fernseher in den Bann - wie auch Tausende Zuschauer entlang der Rallye-Pisten auf der ganzen Welt. 420 PS bei 7.500 U/min, 460 Nm bei 5.500 Touren, ein Fahrzeuggewicht von nur 1.050 Kilogramm - allein die Eckdaten des Rallye-Autos von 1984 verlauten einen heißen Ritt.
Das war damals eine verrückte Zeit und ich darf jetzt etwas dieser legendären Rallye-Luft der Gruppe B schnuppern. Stig Blomqvist, mittlerweile 67 Jahre alt, grüßt kurz und verliert nur wenige Worte wie viele skandinavische Rennfahrer. Ich zwänge mich mit einem Rennoverall, Helm und HANS-System (Schulterkorsett, das mit dem Helm verbunden ist, um vor Verletzungen im Kopf- und Halsbereich zu schützen) auf der Beifahrerseite in den Boliden. Im engen Schalensitz werde ich mit 6-Punkt-Gurten so fest gezurrt, dass ich meinen Oberkörper nicht mehr bewegen kann und meine Innereien regelrecht zusammengepresst werden. Der alte Herr meint es schließlich ernst!
Und Gas: Die fünf Zylinder brüllen unbändig, während der ehemalige Rallye-Weltmeister Stig Blomqvist mit voller Leidenschaft und einer atemberaubenden Speed „seinen“ Audi Sport quattro über die enge Piste durch den dichten Wald scheucht. Was für ein Gefühl, das legendäre Triebwerk im harten Einsatz im Innenraum zu hören, wo der Sound sonor ankommt und stetig präsent ist. Der Vortrieb ist fesselnd! Zur Verdeutlichung: Unter idealen Bedingungen spurtet dieser 420 PS starke Audi Sport quattro S1 in nur 3,8 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. In mir folgt ein Adrenalinstoß dem nächsten.
Es brodelt: Mit 120 km/h plötzlich quer
Stiq Blomqvist, der Walter Röhrl das Fahren im Audi Sport quattro beibrachte, hat von seiner Leidenschaft nichts verloren und ist noch immer schnell unterwegs. Die teilweise vereiste Piste stört den Rennfahrer nicht. Er haut, wenn es erforderlich ist, in die Bremsen, beherrscht das Auto so, wie es selbst damals nur wenige Rennfahrer konnten.
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Plötzlich vor uns eine enge Rechtskurve: Wir fliegen quer durch die Biege, Stig Blomqvist spielt mit dem Gaspedal und drückt dieses dann beherzt durch, so dass der Audi am Kurvenausgang erneut den Drang nach vorne auslebt. Das ist Wahnsinn, wie schnell sich Kurven - vor allen Dingen auf dieser Schnee- und Schotterpiste - nehmen lassen.
Die scheinbar zum Greifen nahen Baumstämme im Wald schießen nur so an uns vorbei - dazu dieser süchtig machende Motorsound. Eine Auslaufzone wie auf einer modernen Formel-1-Rennstrecke gibt es hier nicht. Das wäre - übertragen auf die Formel 1 - der Stadtkurs von Monaco ohne Leitplanken und ohne Streckenbarrieren. Jedes Manöver muss sitzen - sonst kleben wir an einem Baum. Es brodelt in mir wohltuend und meine Gefühle spielen verrückt. Ich kann einfach nicht genug davon bekommen.
Der Zeiger der Instrumente wackeln bei dem Höllenritt hin und her. Stig Blomqvist scheint meinen Blick auf den Tacho zu bemerken, gibt noch einmal Gas und legt einen richtig schnellen Drift hin - so schön kann es quer sein. Meine Augen quellen beim Anblick des Tachos hervor, der unglaubliche 120 km/h anzeigt.
Auf einer zugeschneiten Geraden wird Stig Blomqvist immer schneller: 100 km/h, 130 km/h, 160 km/h, fast 170 km/h - mitten im Wald in einem 30 Jahre alten Auto. Es ist glatt! Die Gerade ist nicht ewig lang! Was hat der Schwede vor? Stig Blomqvist geht mit den Bremsen hart ins Gericht und zieht sauber durch die nächste Kurve. Leider die letzte; denn die knapp 8 Kilometer lange Fahrt ist zu Ende. Es dauert, bis meine Emotionen herunterfahren. Überschäumend bedanke ich mich und zeige Stig Blomqvist meinen Daumen nach oben. Das entlockt dem wortkargen „Iceman“ zumindest ein Lächeln.
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Die ganze gewaltige Fahrt über war ich stumm, grinste nur wie ein Honigkuchenpferd und alle Sinne waren mit Staunen beschäftigt, vor allem, wie entspannt und zugleich spektakulär wir durch den Wald flogen. Doch als ich ausstieg, war ich so mit Adrenalin vollgepumpt, dass ich vor Freude meine Mitmenschen mit einem Wortschwall übergoss - der „stumme“ Skandinavier wäre vermutlich geflüchtet oder hätte nur gegrinst. Aber diese Erfahrung in der Rallye-Version des Audi Sport quattros mit Stig Blomqvist am Steuer und der markante Fünfzylinder-Sound einer Legende: unbezahlbar!
Der Kurze: Eine Ikone im Rallye-Sport
Der Audi Sport quattro S1 zählt nicht nur aufgrund seiner berühmten Piloten zu den Ikonen der Rallye-Geschichte. Um den Entwicklungsvorsprung zur Konkurrenz in der Rallye-Weltmeisterschaft zu wahren und weil sich der lange Radstand des Audi Rallye quattros bei vielen Einsätzen als Handicap erwies, wurde im Herbst 1983 der Audi Sport quattro mit einem um 30 Zentimeter verkürzten Radstand geboren, so dass dieser Rennwagen meist nur „Der Kurze“ genannt wurde. Von dem Audi Sport quattro in der Rallye-Version entstanden, so Audi, insgesamt 22 Fahrzeuge.
Unvergessen sind die Auftritte dieses kompromisslosen Sportwagens in der berüchtigten „Gruppe B“ der Rallye-Weltmeisterschaft der 1980er-Jahre und der Sieg des berühmten „Pikes Peak“-Bergrennens 1987 mit Walter Röhrl am Steuer der 598 PS starken Evolutionsstufe Audi Sport quattro S1 E2 Pikes Peak, dem „Flügelmonster“, wodurch der Audi Sport quattro endgültig zur Ikone avancierte.