Mist, ich fuhr mit einem echten Audi A4 in einen Supermarkt hinein. Es handelte sich nicht um irgendein Auto, es war auch noch das „Audi Virtual Training Car“, von dem es weltweit nur zwei Stück gibt. Wohlgemerkt, das „Audi Virtual Training Car“ ist ein reales Auto. Erst zögerte ich und wollte es nicht. Doch der Reiz, zu sehen was passiert, war größer. Ich gab Gas, fuhr durch die Glastür und landete mitten im Verkaufsraum.
© Foto: Audi
Bizarre Fahrt: Mit einem echten Auto durch die virtuelle Realität
Wir drehen die Uhr zurück und schauen, was mich dazu ritt, plötzlich in einen Supermarkt hineinzufahren. Das „Audi Virtual Training Car“ ist ein echter Audi A4, den ich selbst fahren muss, das heißt Gas geben, Bremsen, Lenken - und dieser Audi steht nicht vor einem Bildschirm, sondern fährt tatsächlich richtig.
Es ist ein grauer, wolkenverhangener Tag. Vor dem Beginn der Fahrt setzen mir Audi-Mitarbeiter eine VR-Brille auf. Ich sitze also in einem echten Audi A4 und tauche dennoch in eine virtuelle, sommerliche Welt mit einem strahlendblauen Himmel ein. Das Cockpit des Audi A4 sieht durch die VR-Brille identisch aus - alles wirkt so realistisch, aber es ist nur eine Grafik vor meinen Augen. Ich drücke den echten Startknopf des Autos, lege den Automatikschalter auf „D“ - und los geht es.
Meine eigenen Hände am Lenkrad sehe ich nicht. Aber das Lenkrad dreht sich und ich spüre, wie der Audi A4 auch in Wirklichkeit fährt. Die Audi-Mitarbeiterin auf dem Beifahrersitz spricht zu mir und ich drehe meinen Kopf zu ihr: Doch der Sitz ist leer und ihre Stimme ist dennoch da. Etwas gespenstisch ist es schon. Würde ich sie jetzt berühren, erhielt ich vermutlich eine schallende Ohrfeige. Spätestens jetzt wäre klar, dass sich die Instruktorin - wenn auch nicht sichtbar - tatsächlich auf dem Beifahrersitz befindet.
Ich gebe Gas: Wo sich vorher eine große Freifläche befand, sehe ich durch die VR-Brille nun eine virtuelle Stadt - alles gestochen scharf, eine Ampel, Bäume, Passanten auf den Gehwegen und sogar eine hübsche Joggerin, die mich beim Vorbeilaufen anlächelt. Drehe ich meinen Kopf beispielsweise nach links, um aus dem Fenster zu schauen, erblicke ich den linken Straßenrand und das dortige Geschehen. Das System passt die Bilder faszinierend schnell der Blickrichtung an.
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Brav halte ich an einer roten Ampel an, fahre erst bei Grün weiter. Diese Stadt wirkt beeindruckend realistisch, so greifbar. An einem Park befindet sich ein Kreisverkehr, den ich zur Wende für den Rückweg benutze. Dann weist mich die Instruktorin zu meiner Linken auf einen Fahrradunfall hin. Intuitiv schaue ich dorthin. Doch plötzlich betritt ein mit dem Handy telefonierender Fußgänger samt Kinderwagen unbekümmert den Fahrweg. Aber der Notbremsassistent des echten Audi A4 bringt das Auto abrupt zum Stehen - der Fußgänger und das Kind blieben, dank des Fahrerassistenz-Systems, auch in der Realität unverletzt.
Diese Situation weckt in mir Gelüste, die ich nur vom Hören-Sagen kannte
Ich könnte in eine Seitenstraße einbiegen. Aber ich frage die Audi-Instruktorin, ob ich etwas weiter auf den Parkplatz fahren dürfe. Kein Problem. Vor mir befindet sich ein schwarzes Auto, auf das ich einfach zuhalte. Obwohl mir bewusst ist, dass es sich nur um eine Grafik handelt, bremse ich intuitiv im letzten Augenblick ab - zu greifbar wirkt die virtuelle, von Audi simulierte Welt. Nächster Versuch: Ich halte auf die Hauswand dahinter zu. Plötzlich hält mich die Audi-Mitarbeitern zurück: Hinter der Wand endet nicht nur die virtuelle Welt, es befindet sich dahinter eine echte Absperrung.
Also entscheide ich mich um und erkunde die Außenhaut der virtuellen Welt beziehungsweise das Ende der Layer. Die VR-Brille auf dem Kopf, fahre ich genau mit einer Hälfte des Audi A4 am Rand der virtuellen Welt entlang: Links das scharfe Bild der virtuellen Welt, das meinen Augen vorgegaukelt wird, während zu meiner Rechten, außerhalb der Layer, alles in Grau getaucht ist.
Dann erblicke ich plötzlich hinter dem Parkplatz einen Supermarkt und fahre wie ein Psycho durch die Eingangstür. Zerspringendes Glas gibt es nicht; aber das ist nur eine Frage der Programmierung - und nicht jeder kommt auf die Idee, bei der Simulation einfach in einen Supermarkt hineinzudonnern. Ich gebe zu, dass es auch hier aufgrund der sehr realistischen Darstellung etwas Überwindung kostete.
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Zum Glück befinden sich keine Personen im leeren Verkaufsraum. Während ich noch immer ganz fasziniert vom Realismus dieser virtuellen Welt bin, schaue ich durch die Scheiben des Supermarktes hinaus, wo das virtuelle Leben weiter läuft. Einen Krankenwagen oder die Polizei rief kein Passant. Keiner stört sich daran, dass ich durch eine Glasfront in einen Supermarkt hineinfuhr.
Die VR-Brille abgenommen, sehe ich nicht mehr die farbenfrohe, nur meinen Augen vorgegaukelte Welt, sondern die triste, 300 x 600 Meter große Freifläche, auf die Audi eine virtuelle Stadt setzte, die ich mit einem echten Audi A4 durchfuhr und erlebte. Faszination pur - das ist wie das Computer-Spiel „Grand Theft Auto“ (GTA) für Erwachsene.
Hintergrund: Was erforscht Audi mit dieser virtuellen Welt?
Selbstverständlich entwarf Audi die virtuelle Welt nicht zum Vergnügen. Mittels der in die VR-Brille abgespielten Fahrsimulation kann der Fahrer in realitätsnahen Szenarien die Wirkungsweise des Notbremsassistenten „Audi Pre Sense City“ erleben - in einem real fahrenden Auto. Mit diesem Programm lassen sich detailreich die Assistenzsysteme von Audi in verschiedensten Fahrsituationen eindrucksvoll demonstrieren und testen. Auch Audi-Händler können damit in der Zukunft ihren Kunden die Wirksamkeit der Assistenzsysteme in einem real fahrenden Auto zeigen. Daher wird das System schon bald weitere Assistenzfunktionen darstellen können.
Für das Projekt rüsteten die Macher zwei Audi A4 mit VR-Brillen von Oculus aus. Bei der Demonstration fährt das „Audi Virtual Training Car“ auf einer 300 x 600 Meter großen Asphaltfläche am Münchener Flughafen, während der Fahrer über die VR-Brille simulierte Fahrszenarien sieht. Sobald ein Fußgänger in der Simulation auf die Straße geht, bringt der Notbremsassistent das Auto abrupt zum Stehen. Dabei stellt eine sogenannte Flex-Ray-Schnittstelle die Verbindung mit dem Warn- und dem Bremssystem her.
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Um den Fahrer vollständig in die Simulation einzubinden, erkennt ein auf der Fondbank montierter Head-Tracker per Infrarot-Messung die Bewegungen des Kopfes anhand von Markierungspunkten an der VR-Brille. Die Bilder auf den beiden hochauflösenden Brillen-Displays werden entsprechend der jeweiligen Position und Blickrichtung angepasst. Ein hochpräzise messendes Differenzial-GPS verortet das „Audi Virtual Training Car“ mit einer Genauigkeit bis auf zwei Zentimeter auf der Fahrfläche. Es erkennt zusammen mit einem Lagesensor die Bewegungen des Autos und bestimmt die genaue Position in der Simulation.
Die virtuelle Welt selbst ist auf einer Festplatte im Gepäckraum des Audi A4 gespeichert. Ein leistungsfähiger Prozessor und eine schnelle Grafikkarte von NVIDA steuern die Daten an die VR-Brille sowie auf den Touchscreen vor dem Beifahrersitz. Falls der Fahrer den erlaubten Fahrbereich verlassen sollte, erfolgt eine Warnung, so dass der Trainer auf dem Beifahrersitz eingreifen kann, notfalls über die Parkbremse.