Die engen Kurven schießen nur so auf uns zu und wir fliegen teilweise mit über 170 km/h auf einer Schotterpiste durch den Wald. Ich befinde mich an Bord des Ford Fiesta RS WRC, einem ausgefeilten Rallye-Rennwagen (WRC = World Rally Championship). Am Steuer sitzt kein Geringerer als der Finne Jari-Matti Latvala, Vize-Weltmeister der Saison 2010 in der Königsklasse des Rallye-Sports, der es nach meinem Wunsch gerade besonders krachen lässt.
© Foto: C. Brinkmann, Speed Heads
Latvala, der mit seinem Sieg bei der Rallye Schweden 2008 im Alter von 22 Jahren zum jüngsten Rallye-WM-Lauf-Sieger der Geschichte wurde, ist bekannt für seinen aggressiven Fahrstil und wird mit dem späteren Colin McRae verglichen, einem der bekanntesten Rallye-Fahrer der Geschichte, der leider 2007 bei einem Hubschrauberabsturz tödlich verunglückte. Auf der Schotterpiste zeigt mir Latvala, warum der Vergleich zu Recht besteht und der 1985 geborene Latvala zu den besten Rallye-Fahrern der Welt zählt.
Ich erlebte bereits viel, aber diese Mitfahrt bietet Adrenalinkicks, wie ich sie bislang selten erfahren durfte. Nie hätte ich gedacht, wie schnell sich Kurven - vor allen Dingen auf einer Schotterpiste - nehmen lassen. Die Bäume und Holzstapel direkt am Rand der Piste fliegen an uns vorbei - Freiräume und Auslaufzonen wie auf einer Formel-1-Rennstrecke sind nicht vorhanden. Das wäre - übertragen auf die Formel 1 - der Stadtkurs von Monaco ohne Leitplanken und ohne Streckenbarrieren.
Knapp über dem verstärkten Unterboden sitze ich auf dem Platz des Co-Piloten - so tief, dass ich gerade eben erspähen kann, was sich vor uns abspielt. Mehr braucht der echte Co-Pilot nicht zu sehen, wenn dieser dem Fahrer aus dem „Gebetbuch“ vorliest, einem Aufschrieb mit den Kenndaten der Strecke. Jari-Matti Latvala gibt richtig Gas und der Ford Fiesta WRC prescht vehement mit einem ohrenbetäubenden Sound nach vorne. Unterhalten können wir uns bei dieser rasanten Fahrt nur über einen in den Helmen integrierten Sprechfunk.
Hautnah und brachial: Meine Gefühle spielen verrückt
Um keinen Schwung zu verlieren, werden Kurven und Kehren im Drift quer genommen: Der schnelle Finne drückt stark auf das Bremspedal, um bei der hohen Speed nicht geradeaus zu fliegen, was sich wie ein ausgeworfener Anker anfühlt, betätigt kurz den in der Mitte lang emporragenden Hebel der Handbremse, richtet die Lenkung neu aus und drückt das Gaspedal erneut beherzt durch. Kaum vorstellbar, dass ich in einem Kleinwagen sitze, der am Kurvenausgang so impulsiv nach vorne prescht.
© Foto: C. Brinkmann, Speed Heads
Die Übertragung der Rallye-Weltmeisterschaft im TV ist spannend, aber am Bildschirm geht viel von der atemberaubenden Speed verloren, die ich soeben hautnah bei einer wahnwitzigen Fahrt durch einen britischen Wald hoch im Norden Englands am eigenen Leib erlebe. Es ist nicht die Beschleunigung, die das Fahren eines WRC-Rennwagens ausmacht, sondern primär das harte Bremsen. In den Schalensitzen festgezurrt, bewegt sich der Oberkörper nicht, doch zu spüren ist die Bremskraft unmissverständlich, während mein Adrenalin weiter nach oben schießt und mir ein Dauergrinsen beschert.
Gedanken, was bei dieser Speed passieren könnte, wenn Latvala die Kontrolle in den Kurven verliert und der Rennwagen in die Bäume des dichten Waldes crasht, gehen mir in diesem Moment nicht durch den Kopf. Aber es ist gut zu wissen, dass der Ford Fiesta WRC ein steifes Konstrukt aus hochfesten Stahlsorten darstellt, das Verformungen schluckt und sogar starken Unfällen standhalten soll.
Ich genieße diese brutale Fahrt, nach der ich den Rallye-Fahrern einen noch größeren Respekt zolle als bereits zuvor. Es ist einfach atemberaubend, wenn ein Sprunghügel kommt, der Wagen abhebt und dabei fast in die nächste Kurve eintaucht. Von mir aus könnte diese Fahrt ein paar Stunden dauern!
Vom zierlichen Kleinwagen zum starken Rennboliden
Der von Ford Europa und seinem langjährigen Teampartner M-Sport entwickelte Ford Fiesta RS WRC wird von einem 1,6 Liter großen Vierzylinder-EcoBoost-Turbomotor mit 300 PS und 450 Nm Drehmoment bei 4.000 U/min befeuert, während das Fahrzeug von jeglichem unnötigen Ballast befreit wurde, um das Gewicht auf die vom Reglement minimal vorgeschriebenen 1.200 Kilogramm zu bringen. Die Kraftübertragung des kleinen Geschosses erfolgt über einen permanenten Allradantrieb mit mechanischen Differenzialen an Vorder- und Hinterachse. Das sequenzielle 6-Gang-Getriebe entwickelte M-Sport.
© Foto: C. Brinkmann, Speed Heads
Kompakt und schnittig gibt sich der Bolide mit einer Länge von 3,963 Metern. Die Höhe beträgt 1,480 Meter und die Breite 1,820 Meter - genau an der Grenze des Reglements. Darüber hinaus kennzeichnen den agilen Fiesta eine tief heruntergezogene Frontschürze, ein markanter Frontspoiler, neu gezeichnete Seitenschweller sowie ein mächtiger Heckflügel und ein großer Heckdiffusor. An den zierlichen Kleinwagen erinnert bei diesem starken Rennboliden nichts mehr.
In der Rallye-Weltmeisterschaft dient der Turbo-Allradler als Dienstwagen für Jari-Matti Latvala und Petter Solberg. Gemeinsam mit ihren jeweiligen Beifahrern kämpfen die beiden Rennfahrer auf den anspruchsvollsten Wertungsprüfungen der Welt im Zehntelsekundenbereich um Punkte und Platzierungen. Die Vielfalt der Herausforderungen reicht dabei von den eisglatten Hochgeschwindigkeits-Loipen Schwedens bis hin zu den materialmordenden Geröllpisten der Akropolis-Rallye in Griechenland. In diesem Jahr konnte Latvala bereits unter anderem die Rallye Schweden gewinnen.
Auch der US-amerikanische Rallye-Fahrer Ken Block, insbesondere bekannt durch seine spektakulären Gymkhana-Videos, setzt in der Weltmeisterschaft auf einen Ford Fiesta WRC. In den weltweit berühmten Gymkhana-Drift-Videos auf YouTube fährt Ken Block hingegen eine speziell entwickelte Sonderanfertigung des Ford Fiestas mit 600 PS, die in 1,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h schießt.
Darauf sind sogar Formel-1-Teams neidisch
Ganz oben im Norden Englands in Cockermouth ansässig - wo unzählige Schafe die Wiesen bevölkern - befindet sich auf einem alten, 47 Hektar großen Anwesen aus dem 12. Jahrhundert der Sitz von M-Sport, eine der modernsten Motorsport-Schmieden der Welt, die bereits einige Formel-1-Teams neidisch verlassen haben sollen. Außen alte Gemäuer, innen hinter einigen Sicherheitsschleusen modernste Entwicklungsabteilungen, geht M-Sport akribisch an seine Arbeit heran.
Speed0r
20.08.2012
Durfte auch mal in nem Rallyauto mitfahren. Zwar nicht gleich mit nem WRC-Fahrer, aber die Eindrücke waren ähnlich. Hut ab!