600 PS, 1.300 kg, 800 Nm - so die Eckdaten des Ford Fiesta ST Rallycross. Nach Mitfahrten in verschiedenen Rennwagen und Boliden wie BMW M3 WTCC, Lamborghini Diablo GT oder Ferrari Enzo erlebe ich während der „X Games Munich“ auf dem extra angelegten FröttmaRing endlich den wahren Ritt auf der Kanonenkugel. Der schwedische Rennfahrer Patrik Sandell nimmt mich in seinem Rallycross-Fiesta zwei Runden über den 807,3 Meter langen Kurs mit, der mit 60 Prozent Schotter und 40 Prozent Asphalt reichlich Gelegenheit zu spektakulären Drifts bietet - und mit einem Sprungplateau fast 100-prozentige Chancen auf einen ausgewachsenen Magendreher.
© Foto: Ford
Nach rund eineinhalb Minuten ist alles aus. „Schade!“ und „Gott sei Dank!“ - zwei völlig konträre Gefühle machen sich in mir breit; denn die schaurig-schöne Mitfahrt in einem Rennwagen ist vorbei, der dank Mega-Power und ultrakurzer Übersetzung auf den ersten Metern einen Formel 1-Renner abhängt.
Bei nur 18 Grad im Schatten ist mein feuerfester Rennoverall im Nu völlig durchgeschwitzt - zum einen, weil der Zweiliter-Duratec unter der Haube den gesamten Innenraum ordentlich aufheizt, zum anderen, weil der Adrenalinausstoß von innen heraus Körperhitze erzeugt, wo in wenigen Minuten Gänsehaut den wehrlosen, immensen Fliehkräften ausgesetzten Körper überziehen wird.
Wo führt das hin? Schneller als ein Formel 1-Wagen
Kurz zuvor im Zelt-Fahrerlager der „X Games Munich 2013“, Außenstelle Fröttmaning nahe der Fußball-Arena des FC Bayern: Sandells Crew zurrt mich mit aller Kraft und dem Sechspunktgurt im engen Schalensitz fest, in den ich meine zwei Meter Körpergröße hineinfaltete. Ich fühle mich wie eine Kokosnuss im Schraubstock, kurz bevor die Schale platzt. Sandell neben mir grinst freundlich und wissend, als mir die Jungs beim endgültigen Festzurren die Eingeweide zusammenpressen.
Mir schießt in den Kopf: „Jetzt kommst Du nicht mehr ans Handy in der Innentasche, um noch vor dem Start ein paar Onboard-Fotos zu machen.“ Doch in Wirklichkeit habe ich jetzt ganz andere Probleme. Hat die charmante Frances Kate Foley von Ford Racing nicht vorhin behauptet, die kurz übersetzten GRC-Autos (GRC = Global Rallycross Championships) würde mit ihren rund 600 PS auf den ersten Metern schneller abzischen als ein Formel 1-Renner? Und bestätigte nicht Hartwig Petersen von Ford Deutschland kurz darauf breit grinsend: „Ja, so habe ich es auch gehört.“
Irgendwie raffe ich meine verbliebenen Sinne zusammen und frage Sandell beim Schwitzen am Vorstart, was ihn, den WRC-Junior-Rallyeweltmeister von 2006, am Rallyecross fasziniert. „Es ist so herrlich zuschauerfreundlich, sowohl an der Strecke als auch im TV. Die Fans kriegen alles mit. Die vielen Drifts, die Sprünge, ständige Clinches beim Durchqueren der Kurven Seite an Seite. Das findest Du so in keinem anderen Motosport“, so der Rennfahrer.
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Nach meiner Mitfahrt und vor allem dem begeisterten Miterleben von zwei GRC-Läufen auf dem Münchner Kurs werde ich dies noch besser nachvollziehen können, als jetzt im engen Fiesta ST-Cockpit, in dem ich überraschenderweise meine langen Beine komplett in den Tunnel strecken kann - alles andere scheint zu eng und zu klein für mich. Typisch Rennwagen, in dem sonst nur ein Fahrer und neben ihm hochempfindliches Equipment untergebracht werden muss.
Zu brachial - es blieben nur noch bruchstückhafte Erinnerungen
Mit zunehmender Cockpit-Hitze und fortschreitender Zeit verlieren sich alle Gedanken an ein bis hierhin erfülltes Leben oder meine abgeschlossenen Lebensversicherungen. Aufregung und Vorfreude verdrängen immer mehr jede Angst - selbst, als der Starter zuerst die 30-, dann die 10-Sekunden-Tafel hochhält.
Sandell hat die Launch Control aktiviert, trotzdem kommt es jetzt auf seinen gefühlvollen Kupplungsfuß an, ob wir im Fünferpulk der Rallyecross-Fiestas gut wegkommen. Das gelingt ihm offenbar sehr gut; denn als Führende biegen wir nach der Start und Ziel-Geraden in die erste linke Drift-Krümmung, für die das Wort Kurve viel zu harmlos wäre.
Was bis dahin geschehen ist, kriege ich nur noch bruchstückhaft in Erinnerung gerufen. Ich weiß immerhin, dass ich nach dem Umspringen der Startampel von Rot auf Grün mit der Urgewalt einer derart brachialen Beschleunigung in den Sitz gepresst wurde, wie ich sie nie für möglich gehalten hätte. So ähnlich kann sich eigentlich nur Felix Baumgärtner nach seinem Absprung von der Druckkugel in 38.969,4 Metern Höhe gefühlt haben.
Dann folgt das doppelte Durchqueren des FröttmaRinges, den die „X Games“-Organisatoren eigens für diesen Event kreierten. Eigentlich sollte eine GRC-Strecke zwischen 970 und 1.500 Meter lang sein, hier neben dem P+R-Parkhaus Fröttmaning war nur für 807,3 m Platz. Doch die haben es in sich: Enge Kehren, magenumdrehende Beschleunigungsgeraden, eine Haarnadel, Schotterkurven, allmählich zu machende Asphalt-Krümmungen - alles, was das Herz der Rallycross-Fans auf den Tribünen und der zahllosen Zaungäste rundum begehrt.
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Nach der Fahrt kommt alles raus
Mich haut es dabei hilflos von links nach rechts, von hinten nach vorne und wieder zurück. Meinen Helm konnte ich kurz vor dem Start zwischen zwei Streben im oberen Rennkäfig stabilisieren, so dass der Kopf einigermaßen stabil bleibt. Mit den weit in den Tunnel gestreckten Füßen bremse ich instinktiv dauernd mit, doch es hilft alles nicht: Die Fliehkräfte im Rallycross-Fiesta sind definitiv heftiger als alles, was ich auf dem Nürburgring, in Fiorano oder in Monza bisher erlebte.
Als der schauderhaft wundervolle Spuk nach dem zweiten Überqueren der Ziellinie nach rund eineinhalb Minuten vorbei ist, bricht alles aus mir heraus und ich lache hysterisch laut vor mich hin und brülle begeistert, als hätte gerade Franck Ribèry gleich nebenan das „Finale Dahoam“ doch zugunsten der Bayern entschieden. Die ganze gewaltige Fahrt über war ich relativ stumm, alle Sinne waren mit Staunen und dem ständigen Zusammenkneifen der Pobacken beschäftigt, vor allem, wenn wir mit Karacho über das Sprungplateau flogen.
Laut eines befreundeten Fotografens, der direkt daneben stand, müssen wir so rund eineinhalb Meter in der Luft gewesen sein. Zu meinem Leidwesen jeweils zweimal; denn zwischen den beiden Kanten ist der Fiesta immer kurz auf der Schotterpiste gelandet, um gleich wieder abzuheben. Mit Adrenalin befüllt, falle ich nach der Auslaufrunde und der anschließenden Befreiung aus dem Sechspunktgurt Patrik Sandell um den Hals. Meine Dankbarkeit ist grenzenlos für die Erfahrung von gerade eben.
Mein Respekt gegenüber der bezahlbaren Rennsemmel Ford Fiesta ST als Basis für den Rallycross-Boliden erfährt eine abermalige Steigerung. Meine Begeisterung für den spektakulären Rennsport ist geweckt. Rallycross erfanden die rennverrückten Engländer. Erster Champ war 1967 Vic Elford, der spätere Le Mans-Gewinner und Formel 1-Fahrer. Seine Urenkel, die Stars der Global Rallycross-Serie GRC heißen Ken Block, Tanner Foust, Scott Speed, Toomas Heikkinen und eben Patrik Sandell, mein glorreicher Adjutant beim ultimativen Ritt auf der Kanonenkugel.