Schnell und sportlich: 30 Jahre Porsche 911 Turbo

, 15.11.2010

Auf dem Pariser Salon 1974 stand ein Auto, das schon von weitem die Blicke durch sein außergewöhnliches Äußeres magisch anzog. Auf seiner Heckklappe prangte ein ausladender Heckflügel, durchsetzt mit Lüftungsschlitzen und eingerahmt von einer dicken Gummilippe. Was sich darunter verbarg, bescherte selbst hartgesottenen Porsche-Fahrern feuchte Hände: Ein drei Liter großer Sechszylinder-Boxermotor mit Turbo-Lader, 260 PS stark, gut für 250 km/h und so giftig wie eine reinrassige Rennmaschine. Und das war er im Grunde genommen auch. Der Porsche 911 Turbo setzte sich nicht nur als schnellster deutscher Straßensportwagen an die Spitze, sondern löste auch einen wahren Turbo-Boom aus.

Es war ein mutiger Schritt. Zwar stellten aufgeladene Motoren im Rennsport nichts Außergewöhnliches mehr dar, aber Porsche realisierte den ersten Seriensportwagen der Welt mit Turboaufladung. Die Kraftkur durch den Lader ging in der Regel einher mit drastisch verringerter Lebenserwartung des Triebwerks, hoher Empfindlichkeit und noch kapriziösem Fahrverhalten. Kurzum: Der Turbo-Motor galt als unzähmbar.

Die Grundidee: Ein Rennwagen für die Straße

Die Porsche-Ingenieure wussten es besser – und konnten es besser: Geplant war eine Kleinserie von direkt aus dem Rennsport abgeleiteten Grand Turismo-Fahrzeugen mit Straßenzulassung. Das GT-Reglement jener Zeit schrieb den Bau von 400 Exemplaren vor. So viele Fahrzeuge konnte Porsche jedoch nicht an Rennfahrer verkaufen. Deshalb entschied man sich, das Wettbewerbsfahrzeug mit wenigen Zugeständnissen an den Komfort straßentauglich zu machen. Der Turbo-Motor stand von Anfang an im Lastenheft. Zum einen hatte Porsche mit den bis zu 1.100 PS starken Zwölfzylindern “917/10" und “917/30" bereits Erfahrung mit dieser Technologie gesammelt. Zum anderen schien der 1963 als Zweiliter mit 130 PS vorgestellte 911-Motor ohne Aufladung für Siege im Rennsport nicht mehr ausreichend Potenzial für Leistungssteigerungen zu besitzen. 330 PS leistete 1974 der für den Wettbewerbseinsatz hochgerüstete Saugmotor des RSR 3.0. Der im gleichen Jahr eingesetzte 911 Carrera RSR 2.1 realisierte in der Turbo-Version dagegen bereits 500 PS.

Als im Frühjahr 1974 das erforderliche Mindestgewicht für GT-Rennsportwagen angehoben wurde, bot sich Porsche die Chance, statt eines verkappten Rennwagens einen Luxus-Hochleistungssportwagen als Basis für eine Rennsportvariante zu bauen. Zwischen März 1974 und der Vorstellung im Oktober wurde das neue Konzept für das Flaggschiff der Porsche-Flotte (mit Straßenzulassung) in die Realität umgesetzt. Den Nachteilen des turbogeladenen Motors wie Leistungs- und Beschleunigungsschwäche im unteren Drehzahlbereich begegnete Porsche durch eine bis dahin nur im Rennsport eingesetzte Ladedruckregelung über ein Abgasbypassventil. Diese aufwändige Regelung erlaubte es, den Lader so zu dimensionieren, dass bereits bei niedrigen Drehzahlen Druck aufgebaut und damit mehr Drehmoment erzeugt wurde. Um die üppige Leistung im Zaum zu halten, griff Porsche auch beim Thema “Bremsen" auf seine umfangreichen Motorsporterfahrungen zurück und baute innenbelüftete Scheibenbremsen mit Aluminium-Bremssätteln ein, die ursprünglich im Porsche 917-Rennwagen für ausgezeichnete Verzögerungswerte sorgten.

Statt 400 sollten es jetzt 1.000 Exemplare des 911 Turbo 3.0 werden. Doch im besten Sinne wurde dieses Ziel weit verfehlt: Bis 1977 wurde der 911 Turbo 3.0, für damalige Verhältnisse mit elektrischen Fensterhebern und Stereo-Kassettenradio ab Werk luxuriös ausgestattet, 2.876 Mal gebaut.

1977: Der Porsche Turbo erreicht die magische Grenze von 300 PS

Als im Frühjahr 1975 die Auslieferung des Porsche 911 Turbo begann, glaubte niemand ernsthaft daran, dass eine Leistungssteigerung für ein derartiges Auto jemals wünschenswert wäre. Doch die Wünsche kamen. Porsche erfüllte sie 1977 mit dem 911 Turbo 3.3, dessen vergrößerte Maschine dank Ladeluftkühlung jetzt die magische Zahl von 300 PS leistete. Dieser unter der Typbezeichnung “930" laufende Sportwagen ist bis heute eine Legende. Im Zuge der stetigen Weiterentwicklung gelang den Porsche-Ingenieuren 1982 ein großer Schritt: Durch eine gründliche Optimierung der Gemischaufbereitung sank der Verbrauch trotz unveränderter Leistung deutlich. Statt mit 20 Litern kam man jetzt mit 15,5 Litern durch den Stadtverkehr, bei Tempo 120 begnügte sich der Turbo mit 11,8 statt bisher 15,3 Litern.

1987 gesellten sich eine Targa-Variante und ein Cabriolet zum bisherigen Coupé. Für anfangs 152.000 DM erhielten die Kunden eines der schnellsten offenen Autos der Welt, auf Wunsch und ohne Mehrpreis einschließlich elektrisch zu betätigendem Verdeck. Ein Jahr später löste ein Fünfganggetriebe die bisherige Schaltbox mit vier Gängen ab. Durch die enge Gangabstufung konnte der Ladedruck beim Schalten noch konstanter gehalten werden, die mögliche Beschleunigung aus dem Stand auf Tempo 100 sank um zwei Zehntel auf 5,2 Sekunden.

Bis 1989 entwickelte sich der Porsche Turbo zum schnellsten Dauerbrenner auf dem deutschen Automobilmarkt. Optisch nahezu unverändert, wurden knapp 21.000 Sportwagen gebaut. Nach einer Produktionspause von zwei Jahren präsentierte Porsche 1991 einen neuen Turbo. Der 3.3-Liter-Motor leistete 320 PS. Das neue Fahrzeug basierte auf der 911-Reihe mit der internen Bezeichnung “964". Im Jahr 1993 modifizierte Porsche dieses Modell. Als 911 Turbo 3.6 realisierte er nun 360 PS.

1995: Geringe Abgas-Emissionen setzen Maßstäbe im Sportwagenbau

Die Modellreihe “964" wurde vom Modelljahr 1994 an durch den Typ “993" ersetzt. Der neue Turbo im 911-Programm ließ allerdings noch einige Zeit auf sich warten. Dann aber setzte die 1995 vorgestellte nächste 911 Turbo-Generation Ausrufezeichen im Sportwagenbau. Einige Merkmale: Der Motor dieses 911 Turbo basierte auf dem luftgekühlten 3,6-Liter-Triebwerk des 911 Carrera und leistete mit zwei Turbo-Ladern bei 5.750 U/min insgesamt 408 PS. Von 0 auf 100 km/h beschleunigte der 911 Turbo in 4,3 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit betrug 293 km/h. Die Abgasanlage war mit zwei Metall-Katalysatoren und vier Lambdasonden bestückt. Einen wertvollen Beitrag zum Umweltschutz leistet bis heute das On-Board-Diagnose II-System (OBD II). Dieses System ist weltweit in allen 911-Turbo-Fahrzeugen eingebaut. Permanent werden alle abgasrelevanten Bauteile überprüft. Auftretende Fehler werden sofort erkannt und über eine Warnlampe im Cockpit angezeigt. Der “993"-Turbo überzeugte weltweit durch besonders geringe Abgas-Emissionen.

Noch eine einschneidende Neuerung war der vom 911 Carrera 4 übernommene Allradantrieb. Dieser Schritt optimierte Fahrverhalten, Traktion und Fahrstabilität. Front- und Heckpartie wurden neu gestaltet – auch der Schwellerbereich war den ausgestellten Kotflügeln angepasst. Das einteilige Bugteil besaß vergrößerte Lufteinlässe. Neu entwickelt wurde auch der feststehende Heckspoiler. Die Luftwiderstandswerte konnten durch die Abrisskante am Bugunterteil und durch strömungsgünstige Gestaltung des übrigen Bugbereichs optimiert werden. Die Auftriebswerte von Vorder- und Hinterachse betrugen nahezu Null. Von diesem 911 Turbo wurden 6.314 Exemplare gebaut.

2000: Mehr Leistung, weniger Verbrauch

Der Porsche 911 Turbo (Baureihe “996") – wieder mit Allrad-Antrieb und Bi-Turbo-Technik – gehört nicht nur zu den schnellsten und stärksten Sportwagen, sondern erhielt bei seiner Vorstellung im Februar 2000 das Prädikat des “weltweit saubersten Automobils". LEV lautet in den USA die Abkürzung für “Low Emission Vehicle" – der ausgesprochen sparsame Turbo-Saubermann erfüllt diese strenge Abgasnorm ebenso wie die Vorgaben von Euro 3 oder D4. Der Verbrauch konnte gegenüber dem hoch gelobten Vorgänger noch einmal um 18 Prozent auf 12,9 Liter/100 Kilometer (EG-Norm) verringert werden. Die Abgaswerte gingen um 13 Prozent zurück.

Möglich wurde dies durch Vierventil-Technik, Wasserkühlung und vor allem den Einsatz von “VarioCam Plus", Nockenwellen-Verstellung und Ventilhub-Umschaltung. “VarioCam Plus" vereinigt zwei Motorkonzepte in einem: Mit Hilfe dieser Technik lassen sich Leistung und Drehmoment optimieren; gleichzeitig ist es möglich, den Kraftstoffverbrauch und die Abgas-Emissionen zu senken sowie die Laufkultur zu verbessern.

Die Katalysatoren befinden sich unmittelbar hinter den Turbo-Ladern. Ein erster Katalysatorträger mit kleinem Volumen ist auf schnelles Anspringen nach dem Kaltstart angelegt. Der Hauptkatalysator ist für eine optimale Abgasumwandlung im betriebswarmen Zustand ausgelegt. Ein On-Board-Diagnose-System (OBD) prüft, wie bereits beim Turbo der “993"-Baureihe, sämtliche abgasrelevanten Bauteile und Funktionen. Das OBD erkennt jede Abweichung vom Sollsystem sofort, weil die Abgase elektronisch ständig überwacht werden. Fehler meldet ein Instrument im Cockpit.

Keramik-Bremsscheiben auf Wunsch

Von den übrigen 911 Carrera-Modellen (“996") unterscheidet sich die aktuelle Turbo-Version deutlich durch die markanten Lufteinlässe am Bug. Das Heck wird von einem neu gestalteten Flügel und den Luftein- und Auslässen für die Ladeluftkühlung geprägt. 420 PS, 4,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h sowie 305 km/h Höchstgeschwindigkeit lauten die Leistungsdaten. Seit Herbst 2000 lässt sich der Turbo auch mit Keramik-Verbundbremsscheiben bestellen.

Der 911 Turbo veränderte seinen Charakter in drei Jahrzehnten nicht: Außerordentliche Sportlichkeit, überragende Beschleunigung und gediegener Luxus (Fünfgang-Automatik, Tiptronic S, Leder-Ausstattung) sowie Qualität und Wertstabilität haben den Sportwagen in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem Klassiker reifen lassen, der in der Automobil-Historie einen ganz speziellen Platz einnimmt.

Der Motor: Mehr Luft für mehr Leistung

Das Wort “Turbo" ist längst als Synonym für außergewöhnliche Leistung in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeflossen. Der Porsche 911 Turbo hat dazu sehr viel beigetragen.
Das Prinzip dieser Technologie ist simpel: Anströmende Auspuffgase bringen ein kleines Turbinenrad auf hohe Drehzahl - beim ersten 911 Turbo 1974 rotierte es mit bis zu 90.000 Umdrehungen pro Minute. Dieses Rad treibt über eine Welle ein zweites Schaufelrad an, das Luft in die Brennräume des Motors presst. Je mehr Luft in den Zylinder gelangt, desto mehr Sauerstoff steht zur Verfügung und kann mit entsprechenden Treibstoffmengen verbrannt werden, so dass die Leistung des Triebwerks ansteigt. Der mechanische Aufwand zum Antrieb des Turbos ist verschwindend gering; statt dessen wird die in den Abgasen enthaltene Restenergie genutzt – was einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Aufladung mit einem Kompressor bedeutet.

Um schon bei niedrigen Drehzahlen ausreichend Druck aufzubauen, bei höheren Touren aber den Motor nicht zu überlasten, regelt ein sogenanntes Bypass-Ventil den Druckhaushalt. Dieses Abblas-Ventil stellt sicher, dass der Ladedruck den gewünschten Höchstwert nicht überschreitet. Beim ersten Porsche 911 Turbo betrug dieser Wert 0,8 bar. Dennoch lies sich anfangs ein verzögertes Hochdrehen der Turbine nicht vermeiden. Damit war ein verhältnismäßig abrupter Leistungseinsatz des Motors verbunden, der so populäre Wortschöpfungen wie “Turbo-Loch" und “Turbo-Bumms" generierte.

Hohes Drehmoment

Turbo-Motoren erreichen ihre Höchstleistung bei relativ niedriger Drehzahl. Der erste Turbo lieferte 260 PS bei 5.500 U/min. Das Drehzahlniveau änderte sich nur wenig. Die 450 PS des aktuellen Turbo S-Modells, das seit dem Sommer 2004 auf dem Markt ist, werden bei 5.700 U/min gemessen. Während bei einem sportlichen Motor ohne Aufladung nicht nur weit höhere Drehzahlen üblich sind, bietet die Turbo-Technologie noch einen weiteren Vorteil: Ein hohes Drehmoment ist bereits bei niedrigen Drehzahlen verfügbar. Beim Turbo S liegen 620 Newtonmeter zwischen 3.500 und 4.500 Kurbelwellen-Umdrehungen an.

Bis 1995 wurden die Abgasstränge der beiden Zylinderbänke der Boxermotoren zusammengeführt, um einen gemeinsamen Lader anzutreiben. Ab dem Turbo-Typ “993", der 1995 debütierte, sorgen zwei Lader – einer pro Zylinderbank – für den Druckaufbau. Technisches Layout und elektronische Regelung sorgen heute dafür, dass das Ansprechverhalten des Motors und die Dosierbarkeit der Leistung beim aktuellen 911 Turbo Maßstäbe für Hochleistungs-Triebwerke setzen.

Als geradezu ideales Aggregat für einen luxuriösen Grand Turismo-Sportwagen erweist sich der Turbo-Motor durch eine weitere Eigenschaft: Der Turbo-Lader im Auspuffsystem wirkt wie ein zusätzlicher Schalldämpfer. Aufgeladene Motoren sind deshalb außergewöhnlich leise und erfüllen schon mit kleinen Endschalldämpfern strenge Geräuschvorschriften.

Enorm in Form: Von 260 auf 450 PS

Turbomotor M 930/50 - so lautete die Bezeichnung für das Triebwerk des ersten 911 Turbo, der 1974 auf dem Pariser Automobilsalon vorgestellt wurde. Es basierte, wie alle weiteren 911 Turbo-Motoren bis zum Jahr 1998, auf dem klassischen Sechszylinder-Saugmotor. Erst im Jahr 2000 wechselte die Basis. Seither dient der Motor des Le Mans-Siegers Porsche 911 GT1 ‘98 als Grundlage für den 911 Turbo-Motor. Dieses Renntriebwerk hat noch einen zweiten Nachkommen: den Saugmotor des 911 GT3 und des GT3 RS.

Die erste Generation: 260 PS aus drei Litern Hubraum

260 PS leistete der M 930/50 bei 5.500 U/min. Der erste 911 Turbo-Motor für die Straße war von dem Triebwerk des damaligen 911 Carrera RS 3.0 abgeleitet. Die Verdichtung lag bei 6,5:1. Höhere Werte waren bei einem maximalen Ladedruck von 0,8 bar weder notwendig noch gewünscht. Die Turbo-Anlage schlug mit 25 Extra-Kilogramm zu Buche, der Motor wog 207 Kilogramm. Das Drehmoment von 343 Newtonmeter konnte über ein breites Drehzahlband abgerufen werden. Startverhalten, Leerlauf und Kaltlaufeigenschaften waren so problemlos wie bei allen anderen Porsche-Modellen. Heute ist dies selbstverständlich, aber bei Einführung einer neuen Technologie besaßen solche Fragen einen hohen Stellenwert. Der 3.0-Liter-Turbo-Motor wurde zwischen September 1974 und August 1977 gebaut.

300 PS durch mehr Hubraum und Ladeluftkühlung

Das 3.3-Liter-Triebwerk (intern M 930/60 genannt) ab Modelljahr 1978 leistete 300 PS bei ebenfalls 5.500/min. Ein Teil der Mehrleistung stammte aus dem vergrößerten Hubraum. Mindestens ebenso ausschlaggebend aber war der Ladeluftkühler, der die Temperatur der verdichteten Luft um rund 50 Grad Celsius herabsetzte, bevor sie in die Brennräume strömte. Auch das Verdichtungsverhältnis ließ sich von 6,5:1 auf 7,0:1 anheben, was dem Kraftstoffverbrauch und damit der Wirtschaftlichkeit zugute kam. Die konstruktiven Änderungen betrafen auch weitere Teile des Triebwerks wie Kurbelgehäuse und Kurbelwelle.

Ebenfalls 911 Turbo 3.3 lautete der Name für den neuen Turbo, der 1991 angeboten wurde. Er musste stärker sein als der bisherige, denn die Fahrleistungen des 1990 eingeführten 911 Carrera 2 kamen an den bisherigen Turbo 3.3 ziemlich dicht heran. M 930/68 hieß die überarbeitete Version des 911 Turbo-Motors. Er verfügte über einen größeren Turbo-Lader und Ladeluftkühler. Ergebnis: 320 PS bei nun 5.750 U/min. Nach knapp zwei Jahren wurde dieses Triebwerk durch den 3.6-Liter-Motor ersetzt. 360 PS bei 5.500 U/min gab dieses Aggregat ab. Die Verdichtung betrug 7,5:1, der Ladedruck erreichte 0,92 bar. Das Magazin “auto motor und sport" erzielte bei Testfahrten mit dem 911 Turbo 3.6 eine Höchstgeschwindigkeit von 289 km/h.

Zwei Lader stopfen das Turboloch

1995 stellte Porsche auf dem Genfer Automobilsalon einen völlig neuen 911 Turbo vor, der auf der Modellreihe “993" basierte. Die Basis bildete wie bisher der Saugmotor, in diesem Falle der M 64/05. Zum ersten Mal wurde der Motor - anstatt mit einem großen - von zwei kleinen Turboladern aufgeladen. Jeder Lader versorgte eine Zylinderreihe. Das Verdichtungsverhältnis war auf 8,0:1 angehoben. Die beiden kleinen Turbo-Lader sprachen dank verringerter Massenträgheit spontaner an als die bislang verwendete, größere Turbine. Vom “Turbo-Loch" war praktisch nichts mehr zu spüren.

Komplett neu waren auch die Abgasanlage und die elektronische Motorsteuerung, die sogenannte Motronic. Bei einem weiter gesenkten Treibstoff-Konsum lieferte der nun mit Allradantrieb und Sechsgang-Getriebe ausgestattete Porsche eindrucksvolle und bis dahin abseits der Rennstrecke kaum realisierte Fahrwerte: eine Beschleunigung von 0-100 km/h in 4,3 Sekunden, eine Höchstgeschwindigkeit von 293 km/h.

Die jüngste Generation: Mit 450 PS schneller als 300 km/h

Der 911 Turbo der Baureihe “996" wurde auf Basis des 911 Carrera 4 für das Modelljahr 2001 vorgestellt. Der wassergekühlte 3,6-Liter-Motor mit Vierventil-Technik (intern M96/70 genannt) stammt vom 911 GT1 ‘98 ab, jenem Rennsportwagen, der 1998 einen Doppelsieg beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans sicherte. Die Merkmale: Das Kurbelgehäuse des Motors ist vertikal geteilt. Die Zylinderköpfe bestehen aus einer hochtemperaturfesten Leichtmetall-Legierung. Die Öl-Versorgung erfolgt durch eine klassische Trockensumpfschmierung. Über eine Wasserkühlung verfügen seit dem Modelljahr 1999 alle 911-Motoren. Der aktuelle 911 Turbo leistet 420 PS (309 kW) bei 6.000/min. Als erster Turbo durchbricht er die 300-km/h-Marke und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 305 Stundenkilometer. Mindestens ebenso eindrucksvoll ist, dass der Kraftstoffverbrauch gegenüber dem bereits vergleichsweise genügsamen Vorgänger um 18 Prozent gesenkt werden konnte. Die Abgaswerte fielen um durchschnittlich 13 Prozent. Dazu trägt entscheidend das Ventilsteuerungssystem „VarioCam Plus“ bei, das über variable Ventilsteuerzeiten nicht nur für sportliche Leistungsentfaltung sorgt, sondern auch die Abgaswerte niedrig hält und den Leerlauf stabilisiert.

In diesem Jahr steigerte Porsche die Leistungsfähigkeit erneut und brachte das Modell Turbo S auf den Markt. Das neue Modell wird als Coupé und Cabriolet angeboten. Es leistet 331 kW (450 PS) bei 5.700 U/min, also 30 PS mehr als der 911 Turbo. Dank des Einsatzes größerer Turbolader und eines weiter optimierten Ladeluftkühlers sowie einer Überarbeitung der Motor-Elektronik realisiert Porsche mit dem 911 Turbo S ein Drehmoment von stattlichen 620 Newtonmetern, das zwischen 3.500 und 4.500 Umdrehungen zur Verfügung steht. Die Beschleunigungszeit auf 100 Stundenkilometer beträgt beim Coupé mit Schaltgetriebe 4,2 Sekunden (Cabrio: 4,3 Sekunden). In dieser Standarddisziplin kann der 911 Turbo mit der S-Variante noch mithalten. Bei der Beschleunigung von 0 auf 160 km/h macht sich der Leistungsunterschied erstmals bemerkbar. Nur neun Sekunden benötigt das Coupé des Turbo S, um diese Geschwindigkeit zu erreichen (911 Turbo: 9,3 Sekunden). In der Königsdisziplin wird der Abstand größer: Den Sprint von Null bis 200 km/h absolviert der Turbo S in 13,6 Sekunden. Dies sind 0,8 Sekunden weniger als beim 911 Turbo. Die Höchstgeschwindigkeit wird bei 307 km/h erreicht. Charakteristisch für den Turbo S ist außerdem die serienmäßige Keramikbremsanlage “PCCB” (Porsche Ceramic Composite Brake).

Motorsport: Turbo-Power für Rekord-Sieger

Mit 16 Gesamtsiegen hält Porsche einen einsamen Rekord beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans (Frankreich). Die Mehrzahl der Erfolge gelang mit Turbo-Triebwerken, von denen die meisten enge Verwandte des 911-Sechszylinders waren. Bei diesem härtesten Langstreckenrennen der Welt errangen 1998 zwei 911 GT1 einen Doppelsieg gegen starke Werkskonkurrenz. Die rund 600 PS starken Motoren der Porsche-Rennsportwagen entsprechen im Prinzip jenen Boxermotoren, die auch den aktuellen 911 Turbo antreiben.

Zur Zeit dieses jüngsten Erfolgs in Le Mans waren die Porsche 917/10 und 917/30 von 1972 beziehungsweise 1973 bereits Legende. Diese Rennprototypen, deren gewaltige Zwölfzylinder-Turbo-Motoren bis zu 5,4 Liter Hubraum aufwiesen und bis zu 1.100 Pferdestärken mobilisierten, waren mit ihrer Auflade-Technologie praktisch Stammväter des 911 Turbo-Motors. Ein erster Vorläufer startete 1974, als der 911 Carrera RSR Turbo, ein GT-Rennsportwagen, für Furore in Le Mans sorgte. Die Leistung des aufgeladenen 2,1-Liter-Sechszylinders lag bei 450 PS. Das avantgardistische Fahrzeug verpasste den Sieg nur knapp und wurde als Zweiter abgewunken.

Ab 1976 setzte Porsche den zum Rennsportwagen 935 mutierten 911 mit Turbo-Motor ein. Der Neue gewann gleich zum Einstand den französischen Marathon zweimal rund um die Uhr. Der 935 war so leicht, dass zur Erreichung des vorgeschriebenen Mindestgewichts von 970 Kilogramm Bleigewichte in den Wagen gepackt werden mussten. Sein 2,8-Liter-Motor leistete 590 PS bei 7.900 U/min. Die Höchstgeschwindigkeit des 935 aus dem Jahr 1976 betrug in Le Mans 336 km/h, die Beschleunigung von 0 auf 200 km/h beachtliche 8,2 Sekunden. 1976 bis 1979 waren die flachen Verwandten des 911 in der Marken-Weltmeisterschaft nicht zu schlagen und holten vier Titel en suite. Neben etlichen anderen Erfolgen gewannen Porsche-Sportwagen dieses Typs auch das 24-Stunden-Rennen von Daytona (USA) in ununterbrochener Folge von 1978 bis 1983.

In die 935-Familie gehört auch das “Baby". Wegen des Reglements der damals sehr populären Deutschen Rennsportmeisterschaft kam 1977 zweimal ein 1,4-Liter-Triebwerk mit 370 PS zum Einsatz. Dieser 935 brachte ohne Zusatzgewichte 710 Kilogramm auf die Waage. Das andere Extrem: der “Moby Dick" von 1978. Norbert Singer als führender Konstrukteur in der Rennabteilung hatte diesen 935 für den Einsatz in Le Mans kompromisslos auf Höchstgeschwindigkeit getrimmt. Gemessen wurden 366 Stundenkilometer. Erstmals in der 911-Geschichte erhielt der Motor wassergekühlte Zylinderköpfe, in denen pro Zylinder vier Ventile angeordnet waren. Die Zylinder selbst blieben luftgekühlt. Bis zu 845 PS leistete der aufgeladene 3,2-Liter-Sechszylinder-Motor mit vier oben liegenden Nockenwellen.

Zwischen 1982 und 1994 setzten die Porsche-Modelle 956/962 C unter anderem mit sieben Gesamtsiegen in Le Mans Motorsport-Maßstäbe. Ihre Turbo-Triebwerke waren auf der Grundlage des 911-Motors entwickelt worden.

Doppelsieg bei Paris-Dakar

1986 holte Porsche mit dem 959 bei der Langstrecken-Rallye von Paris nach Dakar einen Doppelsieg. Zwei Turbo-Lader in Registeranordnung verliehen dem Motor 400 PS, die über einen wegweisenden, elektronisch geregelten Allradantrieb auf den Boden gebracht wurden. Die Höchstgeschwindigkeit lag übersetzungsbedingt bei 210 km/h. Der 959 genannte “Über-911" belegte 1986 bei der Rallye Paris-Dakar die Plätze eins, zwei und sechs. Der 959 war in einer limitierten Sonderserie auch für die Straße zugelassen und verkauft worden.

In den Neunziger Jahren war Porsche in internationalen GT-Serien mit dem 911 GT2 – benannt nach seiner Motorsportklasse – sehr erfolgreich. Bis zu 600-Turbo-PS leisteten diese von Privatteams gefahrenen 911. Für vier Werkseinsätze im Jahr 1996 wurde für die oberste GT-Klasse der erste 911 GT1 entwickelt, der 1998 vom 911 GT1 ’98 abgelöst wurde, dem ersten Porsche-Rennsportwagen mit Kohlefaser-Monocoque-Chassis. Beide Modelle verfügten über 3,2-Liter-Sechszylinder-Motoren mit zwei Abgasturboladern. Der Motorblock und die Zylinderköpfe bestanden aus Aluminium.

10 Kommentare > Kommentar schreiben

16.11.2004

Schönes Special mal wieder. Mein Favorit ist übrigens dieser: [IMG]https://www.speedheads.de/artikelbilder/2004/specials/Porsche911TurboCoupe_1996.jpg[/IMG] Einfach nur genial...

16.11.2004

Vielen Dank für das Feedback. Etwas zur Historie der Serienfarzeuge mit Abgasturboaufladung: 1962/1963 kamen in den USA mit dem Chevrolet Corvair Monza und dem Oldsmobile Jetfire die ersten Personenwagen mit Turbomotor auf den Markt. Doch aufgrund der damals geringen Zuverlässigkeit konnten die Fahrzeuge nicht bestehen. Die große Entwicklungszeitspanne resultierte daraus, dass den hohen Investitionskosten für die Aufladetechnik geringe Kosteneinsparungen beim Kraftstoff gegenüber standen. Grund: Die große Ölkrise. 1978 kam übrigens der erste per Turbo aufgeladene Pkw-Diesel im Mercedes 300 SD zum Einsatz.

17.11.2004

Ein wirklich sehr Interessantes Thema. Mit dem Thema hast du wohl den Geschmack der meisten User getroffen. Sehr informatives Special. Gruß

20.11.2004

Wow, sehr tolles und ausführliches Special! Der 911 Turbo ist und bleibt ein absolut faszinierendes Automobil. Wann erscheint denn eigentlich der 997 Turbo?

20.11.2004

Danke für das tolle Special !! :applaus: Ich schliesse mich übrigens Landy an. Der 993 Turbo ist auch mein Liebling unter den Turbos :D .

21.11.2004

@ Christian: Vielen Dank für die Mühe, die du dir gemacht hast, um uns ein solch geniales Special zu liefern! Mein Favorit ist und bleibt der 996 Turbo.

21.11.2004

Hatte erst jetzt Zeit, dieses sehr schöne und detaillierte Special zu lesen. Muss ja wieder eine wahnsinns-Arbeit gewesen sein. Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt! :applaus: Mein Favorit bleibt nach wie vor der 996 Turbo. Ich denke auch nicht, dass ihn ein zukünftiger Turbo hinsichtlich des Designs so leicht vom Thron stossen kann. Von den Fahrleistungen her gesehen auf jeden Fall, aber niemals vom Design! Hier ist und bleibt er meiner Meinung nach die Nummer 1.

21.11.2004

:applaus: Thx für das informative Special.

14.12.2004

EiEiEi, da hab icch ja wieder was übersehen... Schönes Special @speedheads! Meine Favoriten sind entweder der 911 Turbo 3.3 (beeindruckende Fahrmaschine, aber zickig), der 996 Turbo S (alltagstauglicher geht Turbo kaum mehr) und auf den 997 Turbo bin ich nun auch gespannt. Nachdem mir der 997 am Anfang, als ich ihn das erste mal live sah, nicht wirklich gefiel, finde ich ihn nun bei jedem Blick schöner...

15.12.2004

Das geht mir genauso. Finde den 997 inzwischen recht ansehnlich, er gefällt mir optisch sogar richtig gut. Aber man kennt dies ja zur Genüge - diese anfängliche Skepsis gegenüber einer Marktneuheit hat man immer. Der 1er beispielsweise gefällt mir inzwischen auch richtig gut, obwohl ich ihn anfangs, auf den ersten Bildern, ehrlich gesagt komplett mißraten fand. Bin schon sehr auf die ersten Bilder des 997 Turbo gespannt. Dass der 997 Turbo den 996 Turbo vom Thron stoßen kann, daran glaube ich allerdings weniger. Er wird aber ein durchaus würdiger Nachfolger!


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