Tarnen und Täuschen: Opels Kampf gegen die Prototypen-Paparazzi

, 02.05.2010

Tarnen und Täuschen ist Trumpf, wenn Prototypen neuer Modelle zum ersten Mal aus den streng abgeschirmten Designstudios und Werkstätten auf Versuchsstrecken oder in die freie Wildbahn rollen. Heutzutage lässt sich zwar ein wachsender Teil der Erprobung durch Computersimulationen vorwegnehmen oder auf dem Prüfstand nachstellen, doch zur Validierung aller Laborergebnisse kommt unweigerlich der Tag, an dem Autos in ihr natürliches Habitat entlassen werden müssen: die Straße. Anhand des neuen Opel Insignias, der seine Weltpremiere im Juli 2008 auf der British Motor Show in London feiert, möchten wir den Kampf von Opel gegen die Prototypen-Paparazzi darlegen.

Vor rund zwei Jahren stand die erste Testfahrt des Insignias auf der Nürburg-Nordschleife an. Auf diesen Tag bereiteten sich die Camouflage-Experten bei Opel monatelang besonders akribisch vor; denn mit einer attraktiven, völlig neuen Karosserielinie soll der Nachfolger des Vectras für einen überraschenden neuen Auftritt stehen. Und Überraschungen können nur gelingen, wenn sie nicht vorzeitig bekannt werden.

Bereits als vom neuen Modell nur Computersimulationen oder Tonmodelle in der Designabteilung existierten, begann das für die Tarnung der Prototypen zuständige Team in der Versuchsplanung mit seinen Vorbereitungen. Zusammen mit Chefdesigner und Chefingenieur legte das Team fest, welche charakteristischen Linien des Autos den neugierigen Blicken der Prototypen-Jäger besonders lange verborgen bleiben sollten.

Dafür entwickelte Opel ein „Facelift“ für das kommende Modell, das die Prototypen möglichst perfekt verunstaltet. So besitzt eine Variante des Neulings zum Beispiel ein besonders elegant fließendes Heck. Prompt konstruierte man einen ausladenden Heckspoiler. Zur Produktion des Tarn-Teils - immerhin müssen bis zu 200 Versuchswagen bis zum Beginn der Produktion damit camouflagiert werden - baute Opel ein Holzmodell, aus dem danach ein Spritzwerkzeug für Kunststoffteile entstand. Auch für andere charakteristische Teile der Karosserie wurden nach dem gleichen Verfahren Abdeckungen entworfen und gefertigt.

Erstes „Facelift“ sollte den Insignia so hässlich wie möglich machen

Mit Spezialkleber brachte Opel die Tarn-Komponenten an, während Spezialfolien, die zwischen minus 40 und plus 70 Grad Celsius elastisch und reißfest bleiben, für eine glatte Oberfläche sorgen. An anderen Stellen unterfütterte man die Folien mit Schaumstoffteilen, um Konturen zu verändern. Auch zur Tarnung von charakteristischen Fensterlinien wird auf das Klebematerial zurückgegriffen. Die Folien verwendet auch die Polizei zur Kennzeichnung der Streifenwagen - allerdings in Grün oder Blau und nicht in Erlkönig-Schwarz.

Weitere Flächen der Prototypen-Karosserie bekommen zum Verwischen der Konturen eine möglichst kontraststarke, kleinteilige Beklebung. Jahrelang regierte bei Opel ein schwarzweißes Schachbrettmuster, das von sogenannten Fischies (fischförmigen gerundeten Rauten, die Fotoobjektive und Augen noch mehr verwirren) abgelöst wurde. Noch besser sollen das künftig die Flimmies können, deren Muster einen flimmernden Eindruck hervorruft.

Wo Opel draufsteht, ist ganz sicher nicht Opel drin

Zu beliebten Tricks im Verwirrspiel des Camouflage-Business gehören ferner „falsche“ Marken- und Kennzeichen. So kann man ziemlich sicher sein, dass ein Prototyp mit einem blitzartigen Markensymbol und GG-Kennzeichen mit großer Wahrscheinlichkeit kein Opel ist.

Besonders schwierig lassen sich Scheinwerfer und Rückleuchten tarnen. Diese Komponenten stellen heute eine beliebte Spielwiese der Designer dar, um Autos leicht wiedererkennbare Merkmale mitzugeben, was ihre Verhüllung besonders wichtig macht. Andererseits reden hier die Zulassungsbehörden mit; denn diese schreiben vor, dass Lichtkegel, Bremsleuchten und alle anderen Funktionsteile der Außenhaut auch bei Prototypen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen müssen. So behelfen sich die Tarner am Heck mit einfachen runden Leuchten aus dem Zubehörhandel, während für die Frontscheinwerfer gesonderte Teile angefertigt werden.

Ein weiteres Hindernis für ungehemmtes Versteckspiel mit den Versuchswagen ist die Notwendigkeit, diese bei Bedarf auch wieder enttarnen zu können. Für bestimmte Versuche, etwa der Akustiker oder Aerodynamiker, sind alle Anbauteile hinderlich - Sicherheit hin oder her. Daher setzen manche Autohersteller auf große Schürzen, die mit Klettbändern und Verzurrgurten an der Karosserie befestigt werden. Für Opel nicht unbedingt die beste Lösung: Allzu leicht macht sich ein solches Teil bei schneller Fahrt selbstständig und gefährdet damit nicht nur die Tarnung, sondern auch den Verkehr.

Der Mensch ist das größte Hindernis für perfekte Täuschungsmanöver

Die mit den Versuchswagen befassten Techniker stellen die größte Schwachstelle aller Täuschungsmanöver dar. Fehler passieren, wo immer Menschen tätig sind, und nach dem Ende eines anstrengenden Werkstatttages besteht die Gefahr, dass eine solche Persenning nicht korrekt befestigt wird. Um Nachlässigkeiten der Testfahrer und Ingenieure möglichst auszuschließen, gibt es bei Opel intern ein striktes Regelwerk, wie mit Prototypen umzugehen ist.

Die sogenannte Richtlinie 531 bestimmt zum Beispiel, dass mit einem getarnten Versuchswagen keinesfalls auf öffentlichen Plätzen anzuhalten ist, etwa um den kleinen Hunger zwischendurch an einem Schnellimbiss zu stillen. Außerdem ist stets eine Abdeckplane im Fahrzeug mitzuführen - ein Fahrzeug neigt gelegentlich zu einer Panne, wenn es noch im Versuchsstadium ist, und muss dann dringend komplett verhüllt werden.

Zum Schutz der Werksgeheimnisse begleitet die Prototypen auf öffentlichen Straßen stets ein zweites Fahrzeug, damit Hilfe nah ist, wenn Hilfe gebraucht wird. Für größere Transportstrecken, etwa zu Versuchsfahrten in Finnland, sind die Prototypen in geschlossenen Lastwagen zu transportieren. Allzu häufig wurde früher von findigen Fotografen mal eben schnell die Plane gelupft, während der Lastwagenfahrer eine wohlverdiente Pause einlegte.

Und wozu das alles? Von neuen Autos lebt, um neue Autos dreht sich alles in der Automobilindustrie. Für zwei Interessengruppen sind Neuigkeiten über geplante Produkte von besonderem Interesse: Wettbewerber und Medien. Wollen die einen auf Neuheiten möglichst schnell mit eigenen Innovationen reagieren, ist für die anderen der Nachrichtenwert von hoher Bedeutung, um ihren Lesern brandheiße Neuigkeiten zu präsentieren; denn der Leser eines Magazins möchte allzugerne und möglichst früh wissen, wie die Zukunft aussieht.

Ein wesentliches Erkennungsmerkmal neuer Autos ist ihre Außenhaut, das Design. Es setzt die entscheidenden Kaufimpulse bei den Konsumenten, es bestimmt den Auftritt einer Marke in der Öffentlichkeit - und es lässt häufig auch Rückschlüsse auf unter dem Blech verborgene technologische Neuerungen zu. Frische Karosserieformen vor fremden Blicken zu schützen, ist daher in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Kunstform der ganz besonderen Art in den Entwicklungsabteilungen der Automobilhersteller gereift.

Erlkönig-Jäger sind der natürliche Feind aller Tarnexperten

Hauptgegner sind spezialisierte Fotografen, in Deutschland nach dem Objekt ihrer Begierde Erlkönig-Jäger genannt, im englischen Sprachgebrauch prosaisch Foto-Spione gerufen. Die Prototypen-Paparazzi wissen ziemlich genau, wo zwischen Nordkap und Nürburgring-Nordschleife, zwischen Arizona und Afrika die bevorzugten Erprobungsstrecken der Autoindustrie liegen. Konkurrenz bekommen sie zunehmend von Amateuren, die mit ihrem Fotohandy einen Zufallstreffer knipsen - oder eben auch nicht: Da landet auf den Redaktionstischen manches Bild eines Serienproduktes, das sich nur dadurch auszeichnet, dass es auf dem Heimatmarkt des Fotografen nicht verkauft wird und daher exotisch und geheimnisvoll erscheint.

Professionelle Bilder geheimer Erprobungsfahrzeuge dagegen erzielen, je nach Marke, Zeitpunkt und Qualität der Bilder, einen fünfstelligen Preis. Und beschäftigen einen eigenen, kleinen und feinen Berufsstand: die Enttarner. Früher setzten gelernte Designer die Fotos der getarnten Prototypen künstlerisch mit Buntstift und Tusche in häufig sehr genau zutreffende Bilder der Neuheiten um. Heute sind es Photoshop-Retuscheure, die versuchen, ein realistisches Neuheitenbild zu erschaffen.

Illustration von Bernhard Reichel (04.06.2007)

 

Beeindruckend, dass die bekanntesten Designer, wie z. B. Bernhard Reichel, so früh schon derart genaue Bilder erstellen, wohingegen der Laie oft noch gar nichts von dem Automodell oder einem Facelift hörte und dann später das Fahrzeug tatsächlich fast wie auf dem frühen Entwurf aussieht. Für Speed Heads setzte Reichel bereits vor einem Jahr den neuen Opel Insignia um und traf diesen bereits vor so langer Zeit nahezu perfekt.

Das Kapital der Arbeit besteht aus geheimen Informationsquellen und dem Können am virtuellen Zeichenbrett. So machte sich Bernhard Reichel in der Branche mit qualitativ hochwertigen und detailgetreuen Arbeiten einen Namen. Die Autos werden von ihm nicht so illustriert wie man sie selbst am liebsten sehen würde, sondern so, wie sie vom Hersteller geplant sind. Und genau dazu bedarf es einiges Fingerspitzengefühls.

 

Zum Vergleich das Original

 

Die Designer erhalten ihr Insider-Wissen von Informanten aus aller Welt. Durch diese Informanten und zusätzliche zeitaufwendige Recherchen erhalten die Designer ein nahezu genaues Bild des zukünftigen Modells. Es ist also nicht nur das Zeichnen; auch mit intensiven und kostenpflichtigen Nachforschungen muss sich ein Illustrator von zukünftigen Autos beschäftigen. So setzt sich Stück für Stück des Puzzles zusammen, besonders schwer, wenn noch kein Erlkönig auf der Straße gesichtet wurde.


Weiterführende Links:

Offizielle Webseite von Opel

Offizielle Webseite von Reichel CarDesign

Galerie Auto-Zukunft bei Speed Heads mit weiteren Bildern

 

3 Kommentare > Kommentar schreiben

02.05.2008

Wie mal ein sehr schönes Special. Finde es auch mal gut von Opel, dass man mal über sowas informiert und berichtet. Sowas ist bis jetzt wohl einmalig.

03.05.2008

Sehr spannend dieser Blick hinter die Kulissen!

03.05.2008

Wow, echt toller bericht, so einen Einblick bekommt man wirklich selten. Ich hab jetzt schon ein oder zwei mal so einen "richtigen" Erlkönig gesehen, aber weis jemand, wer besagte Beträge zahlt, wenn man es schafft ein wirklich gutes Foto zu schießen?


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