Der Alfa Brera ist eine der schönsten Arten, Coupé zu fahren. Doch welche Talente hat der italienische Beau noch zu bieten? Test des V6-Topmodells.
Genf im März 2002: Auf dem Autosalon präsentiert Alfa Überraschendes: Die Studie eines von Giugiaro eingekleideten Achtzylinder-Coupés. Der Applaus von Publikum und Journalisten kennt kaum Grenzen. Dass das Auto wirklich gebaut wird, damit rechnet niemand. Umso größer die Überraschung, als die Italiener zu Beginn des letzten Jahres die Serienversion des Brera vorstellen. Kaum im Design verändert, dafür nur von Vier-, Fünf und Sechszylindern (darunter sogar Dieselmotoren) befeuert, tritt der Brera an, um Alfas glorreiche Coupé-Tradition wieder aufleben zu lassen. Nachdem die erste Euphorie inzwischen verflogen ist, muss die Topversion mit der sperrigen Bezeichnung ,,3.2 JTS V6 24V Q4" zum Test antreten. Kann der Beau technisch halten, was die Optik verspricht?
[strong]Design[/strong]
Anders als die wahrlich nicht langweilige deutsche Konkurrenz (BMW Z4 Coupé, Porsche Cayman oder Audi TT) erregt der Brera selbst beim verwöhnten Münchner Publikum Aufsehen. Bewundernde Blicke hier, hochgereckte Daumen dort. Tankwarte erkundigen sich nach technischen Daten und Fahrleistungen. Neugierige Familienväter haben auf ihrer Suche nach einem sportlichen Zweitwagen (,,Den Van hat sich meine Frau gewünscht. Er hat eben genug Platz für die Kinder") plötzlich einen neuen Favoriten gefunden. Zumindest so lange, bis der Preis zur Sprache kommt. ,,Vielleicht in zwei Jahren, als Gebrauchtwagen", sagt Papi und braust in seinem Pampersbomber mit quietschenden Reifen davon.
Die Reaktionen sind nur allzu verständlich. Egal aus welcher Perspektive: Der Brera sieht scharf aus! Diese Hüften: Ausladend zwar, aber wohlgeformt und mit schicken Accessoires wie pfeilartig zugespitzten Rücklichtern, vier eckigen Auspuff-Endrohren und einem eleganten Brera-Schriftzug samt Alfa-Logo verziert. Die Silhouette: Den kraftvoll ausgestellten vorderen Kotflügeln entspringt eine weich gezeichnete Schulterlinie, die sich über die keilförmig ansteigende Seitenpartie bis zum muskulös gestalteten Heck mit breiter C-Säule erstreckt. Und dann diese Front, das genaue Gegenteil: Der charakteristische, schildförmige Kühlergrill wird eingerahmt von zwei Scheinwerfer-Drillingen, die aus zusammengekniffenen Augenlidern hervorblinzeln. Grimmiger kann ein Auto nicht schauen!
[strong]Karosserie und Innenraum[/strong]
Wer sich für einen Brera interessiert, eines darf er nicht erwarten: Praxisnutzen. Passagiere über 1,80 Meter Körpergröße müssen um ihre Frisur fürchten - sie stoßen ständig mit dem Kopf an den Dachhimmel. Spurwechsel-Schulterblick nach rechts hinten? Bleibt an der extrabreiten C-Säule hängen! Eine Spritztour zu viert? Ausgeschlossen, trotz immerhin 4,41 Meter Außenlänge! Also am besten gleich die ,,Rückbank" umlegen und den Kofferraum von 300 auf 610 Liter zu vergrößern. Allzu schwer sollte das Gepäck aber nicht sein, sonst drohen beim Beladen Schweißperlen auf der Stirn. Der ,,Ladewall" (die Bezeichnung ,,hohe Ladekante" wären eine maßlose Untertreibung) lässt sich nur unter großen Anstrengungen überwinden. Und so weiter und so fort: Allzu oft fordert die schicke Schale ihren Tribut.
Und typisch italienischer Dick- und Charakterkopf, wie der Brera nun mal ist, zieht er auch beim Thema ,,Bedienung" seine Eigenarten konsequent durch. Ständig erwischt man sich dabei, einen der wild über´s Cockpit verstreuten Knöpfchen zu suchen. Oder würden Sie die Kofferraum-Verriegelung in der Mittelkonsole erwarten?! Verwirrende Lichtschalter, ungünstig platzierter Tempomat (unter dem Blinkerhebel), viel zu tief angeordnete Klimaregelung (direkt vor dem Schaltknauf) und hoffnungslos überfrachteter Scheibenwischer-Hebel - nur einige ergonomische Sünden, die der Brera seinem Fahrer zumutet.
Doch wieder ist es die Optik, die versöhnt. Alfa-typisch sitzen die Instrumente in tiefen Höhlen. Die mit gebürstetem Aluminium vertäfelte Mittelkonsole wendet sich leicht dem Fahrer zu. Leider bewegt sich die Verarbeitungsqualität nicht auf dem Niveau der eingangs erwähnten Konkurrenz. Alfa-Fans hätten aber auch gar nichts anderes erwartet. Ein nettes Detail sind die italienisch bezeichneten Anzeigen für Tankinhalt sowie Wasser- und Öltemperatur. Gestartet wird per Knopfdruck, gesessen auf bequemem Gestühl, das aber Seitenhalt vermissen lässt.
[strong]Antrieb und Fahrwerk[/strong]
Alfa Romeo und V6-Motoren: Eine traditionsreiche Verbindung, die im Brera ihre Fortsetzung findet - wenn auch als Mogelpackung. Denn der 260 PS starke 3,2-Liter-V6 stammt nicht aus der Ahnenreihe hauseigener Sechszylinder, sondern ist ein Überbleibsel aus der kurzen Ehe zwischen General Motors und dem Fiat-Konzern. Ob es daran liegt, dass Tritt auf´s Gaspedal keine rechte Begeisterung aufkommen will? Oder am stattlichen Leergewicht von mehr als 1,7 Tonnen, dass der Brera durch seine zu schwere Plattform (die auch der Mittelklässler 159 nutzt) mit sich herumschleppt?
Okay, eine gewisse Drehfreude kann man dem Triebwerk nicht absprechen. Bei hohen Touren packt der Motor sogar richtig gut an. Beim Zwischensprint muss man aber das knochige Getriebe bemühen: Da das maximale Drehmoment von 322 Newtonmetern erst bei 4.500 Umdrehungen anliegt, sollte vor Überholmanövern in weiser Voraussicht ein niedrigerer Gang eingelegt werden. Irgendwie Durchschnitt also, wenn nicht auch das Triebwerk auf andere Art und Weise die Sinne ansprechen würde. Durch seinen Klang zum Beispiel. Kernig röhrend untermalt er jeden Gasbefehl, bei Gaswegnahme tourt er freudig brabbelnd wieder runter.
Beim Fahrverhalten outet sich der Brera als Spießer. Brav folgt er jener Spur, die der Fahrer vorher mit der etwas zu indirekten Lenkung vorgegeben hat. Das fühlt sich zwar eher unspektakulär an, erlaubt aber hohe Kurvengeschwindigkeiten. Nur durch heftige Provokationen erreicht der Italiener den Grenzbereich, der sich durch sanftes Schieben über die Vorderräder bemerkbar macht. Dank des serienmäßigen Q4-Allradantriebs ist stets genug Traktion vorhanden, um beim Herausbeschleunigen wieder gut auf Tempo zu kommen.
[strong]Kosten[/strong]
Mit dem aus Gründen eines besseren Raumgefühls unbedingt empfehlenswerten ,,Sky View"-Panorama- dach kostet das Brera-Topmodell 42.200 Euro. Bedient man sich sonst noch in der umfangreichen Aufpreisliste und bringt den Brera auf ein ordentliches Ausstattungs-Niveau, kratzt er an der 50.000 Euro-Hürde. Sogar die Diebstahlwarnanlage kostet Aufpreis - so dreist ist nicht mal BMW! Und dann ist da noch der Verbrauch: Im Test hat sich der trinkfeste Italiener gut 15 Liter auf 100 Kilometer genehmigt. Das lässt die Kosten/Nutzen-Bilanz endgültig zur falschen Seite kippen.
[strong]Fazit[/strong]
Der Alfa Brera 3.2 JTS V6 24V Q4 will der Dressman unter den Mittelklasse-Coupés sein - ein Anspruch, den er zweifellos erfüllt. Wer ihm einmal verfallen ist, verzeiht ihm auch die zahlreich vorhandenen Schwächen und die nicht sonderlich ausgeprägte Sportlichkeit. Bei Alfas sehr selbstbewusst kalkulierter Preisgestaltung und dem viel zu hohen Verbrauch fällt es jedoch schwer, ein Auge zuzudrücken.
[strong]Technische Daten (Werksangaben):[/strong]
Leistung: 191 kW (260 PS) / 6.400/min
Max. Drehmoment: 322 Nm / 4.500/min
Beschleunigung 0 - 100 km/h: 6,8 s
Höchstgeschwindigkeit: 240 km/h
Durchschnittsverbrauch: 11,5 l / 100 km
Grundpreis Brera ,,Sky View": 42.200 Euro