Ford Focus Electric Test: Der Straßenflüsterer

, 21.11.2012


Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch - jedenfalls glauben das viele Experten. Auf dem Weg zum praxisgerechten Stromer kommen derzeit immer mehr Elektroautos in Serie auf den Markt. Bisheriger Schwachpunkt: Selbst schwere und teure Batterien mit unklarer Lebensdauer bringen noch zu kurze Reichweiten mit sich, die rein theoretisch zwar für die meisten Autofahrer auf ihren typischen Strecken ausreichen, in der Praxis jedoch eine breite Akzeptanz von Elektroautos verhindern. Ein Knackpunkt ist die Frage sicherheitsbewusster Mobilisten: „Was, wenn ich doch mal weiter als 80 Kilometer fahren möchte?“ Mögliche Antwort: „Dann sei froh, wenn Du einen Ford Focus Electric hast, der verspricht ab Sommer 2013 bis zu 160 Kilometer Reichweite.“

Elektromobilität kann so spannend sein, wie zum Beispiel der „Performance“-Modus des Tesla Roadsters, mit dem das Auto flüsterleise aber gefühlt umso brachialer in 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h explodiert - also mit der Beschleunigung eines Porsche 911 Turbo. Oder der E-Mini, der satt losflitzt und zur Verzögerung den E-Motor wie einen Dynamo zur Energiegewinnung nutzt. Dabei rekuperiert der Mini so stark, dass man fast gar nicht mehr auf das Bremspedal steigen muss. Oder der Rolls-Royce 102 EX, der mit sagenhaften 800 Nm Drehmoment den sprichwörtlichen „Magic Carpet Ride“ elektrifiziert. Während der Tesla in extremen Preisregionen stromert und der E-Mini sowie der 102 EX noch Zukunftsmusik sind, wird der Ford Focus Electric für rund 30.000 Euro ab Sommer 2013 die Herzen von E-Car-Fans zu erobern versuchen.

Wie fährt sich der Ford Focus Electric? Spektakulär unauffällig. Spektakulär, weil er dank der sofort voll verfügbaren 250 Newtonmeter des Elektromotors einen ordentlichen Bums hat, und weil sich dieser dank der flüsterleisen Fahrgeräusche umso intensiver empfinden lässt, wenn man drin sitzt. Unauffällig für Außenstehende, eben weil die nahezu geräuschlose Elektromobilität von der Umwelt fast nur optisch, kaum aber akustisch wahrgenommen wird.

Außerdem unauffällig, weil sich das elektrische Fahren nach einer Eingewöhnungszeit gar nicht so sehr vom Fahren mit Verbrennungsmotor unterscheidet. An die optischen Reize und Belohnungen für sparsames Fahren gewöhnten wir uns ebenso schnell wie etwa in Hybridmodellen mit Blümchen- oder Blätter-Anzeigen.

Vollwertiger Focus in puncto Komfort, Ausstattung und Sicherheit

Was auf Dauer bleibt, ist der Eindruck eines vollwertigen Ford Focus in puncto Komfort, Ausstattung und Sicherheit. Ausnahmen: Die Reichweite und der Kofferraum, der wegen der Lithium-Ionen-Akkus spürbar schrumpft. Dafür glänzt der Stromer mit einem subjektiv forschen Durchzug.

Für den Sprint von 0 auf Tempo 100 benötigt der Ford Focus Electric zwar mit 9,6 Sekunden eine Sekunde mehr als der vergleichbare 150-PS-Benziner, dürfte ihm aber zum Beispiel bei Überholmanövern zwischen 60 und 100 km/h ebenbürtig sein. Bei der Top-Speed kann der Ford Focus Electric mit 136 km/h nicht mithalten (Focus 1.6 Ecoboost 210 km/h), das sollte aber für den Einsatz des Elektromobils kaum relevant sein.

Nicht nur die elektrische Servolenkung arbeitet Ford-typisch angenehm direkt. Eine Vielzahl an serienmäßigen Sicherheits- und Schutzsystemen stellt ein weiteres Kennzeichen des neuen Ford Focus Electric dar. Dies umfasst sechs Airbags und eine elektronische Traktionskontrolle ebenso wie das sprachgesteuerte Kommunikations- und Entertainmentsystem SYNC sowie das schlüssellose KeyFree-System von Ford oder eine Klimaanlage.

Die Zugeständnisse, die ein Grün angehauchter Automobilist mit dem Focus Electric machen muss, halten sich in erträglichen Grenzen. Fahrspaß kommt zweifelsohne mit den 107 kW/145 PS und den 250 Nm Drehmoment auf, die der Focus Electric entwickelt. Zusätzliche Motivation zu sparsamem Fahren soll der „Butterfly Effect“ bringen: Das ist eigentlich die Behauptung, eine noch so kleine Veränderung, wie zum Beispiel der Flügelschlag eines Schmetterlings, könne den Lauf der Dinge verändern. Dementsprechend belohnen möglichst viele im Display auftauchende Schmetterlinge den Focus Electric-Piloten für sparsame Fahrweise.

Kostenpunkt: In Anlehnung an das US-Modell erscheinen 30.000 Euro realistisch

Derzeit ist unklar, wie viel der Elektro-Focus bei uns kosten wird. Ford wird dies erst 2013 bekannt geben. Orientiert man sich am derzeitigen Dollar-Preis des US-Modells, dann dürfte der Preis wohl bei rund 30.000 Euro liegen. Vergleichbar erscheint der Electric mit dem konventionellen Benziner-Focus 1.6 EcoBoost mit 110 kW/150 PS, und der kostet lediglich 21.950 Euro.

Warum sollte jemand selbstlos und kostenintensiv von einem Verbrennungsmotor auf Elektroantrieb umsteigen? Zum Beispiel wegen niedriger Spritkosten, Fahrverboten in Fußgängerzonen oder um ein Unternehmen als besonders umweltbewusst darzustellen. Dazu gehört jedoch eine auffällige Lackierung oder Beklebung; denn äußerlich lässt sich der Ford Focus Electric nur am veränderten Kühlergrill und an der „Tank“-Klappe vorne links erkennen.

Um künftigen Besitzern das umweltfreundliche Autoleben etwas leichter zu gestalten, bietet Ford künftig seinen Elektrokunden in Kooperation mit dem Versorger RheinEnergie CO2-neutralen Strom an. Der Ladevorgang dauert an einer konventionellen Steckdose 8 bis 9 Stunden - ist also über Nacht oder während eines Arbeitstages zu schaffen. Mit Starkstrom reduziert sich der Vorgang auf 5 bis 6 Stunden.

Hilfreich wird in Zukunft das sogenannte „Value Charging“ sein, das den im Netz verfügbaren Strom zum Aufladen nur in den günstigsten Phasen abgreift, zum Beispiel über Nacht, wenn es keine Nachfragespitzen gibt. Die Amerikaner beteiligen sich derzeit aktiv daran, zusammen mit Stromversorgern die Einführung von „Value Charging“ in Europa voranzutreiben.

Fazit: Schwierige Geburt, aber es kann was draus werden

Ford selbst sieht die Sache realistisch: „Einige hundert Fahrzeuge“ lautet die eigene Einschätzung vom Marktvolumen 2013 in Deutschland. Ermutigend sind die Begleitumstände trotzdem; denn völlig neuartige Mobilität braucht ihre Zeit. Das war mit Verbrennungsmotoren einst nicht anders: Benzin-Pioniere mussten sich den Treibstoff noch in Kleinstmengen in der Apotheke kaufen. Da erscheinen 8 bis 9 Ladestunden in der eigenen Garage oder der Büro-Garage geradezu human.


Technische Daten Ford Focus Electric:

Antriebsart: Elektroantrieb | Leistung: 107 kW/145 PS | Drehmoment: 250 Nm | Vmax: 136 km/h | Beschleunigung 0-100 km/h: 9,6 Sekunden | CO2-Emission: 0 g/km (bei CO2-neutral gewonnenem Strom) | Lithium-Ionen-Akkus mit 23 kWh | Basispreis (Schätzung): etwa 30.000 EUR

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