Pickups sind Rackerer. Harte, ehrliche Arbeiter, für die man sich bei der Fahrt zum Theaterbesuch immer ein wenig schämt. Zu Recht? Motorvision hat den Nissan Navara einem unerbittlichen Autobahncheck unterzogen.
Autos wie der Nissan Navara sind der Traum eines jeden Hobby-Spediteurs. Zum Fahren reicht der normale Pkw-Führerschein, und trotz vergleichsweise kompakter Ausmaße schleppen die Pickups einiges weg. Dank der Ladefläche mit Gardemaß, rund einer Tonne Zuladung und drei Tonnen Anhängelast ist der Japaner für die meisten Transportherausforderungen gerüstet. Mit zuschaltbarem Allradantrieb, Getriebeuntersetzung, Hinterachssperre, günstigen Rampen- und Böschungswinkeln und einer Wattiefe von 450 Millimetern geht´s bei Bedarf auch ins Unterholz. Für ausgeprägte Reisequalitäten sind die Nutztiere nicht bekannt. Zu Recht? Es wird Zeit, dieses Vorurteil kritisch zu hinterfragen.
Übermut tut selten gut – macht aber Spaß!
Der Weg zur Autobahn verheißt nicht viel Gutes. Zu schwammig das Fahrwerk, zu indirekt die Lenkung, zu hoch das Leergewicht (gut zwei Tonnen), um hier wirklich glänzen zu können. Der recht labberig geführte Schalthebel lädt nicht gerade zu schnellen Gangwechseln ein. Kollege "Untersteuern" ist ein ständiger und unsichtbarer, dafür stets auf sich aufmerksam machender Begleiter. Doch Agilität fühlt sich - wenig überraschend – anders an. Wer sich mit einem gezielten Gasstoß behelfen will, sollte auf der Hut sein und über fahrerisches Talent verfügen, denn ein Stabilitätsprogramm fehlt gänzlich. Also doch besser mit gut 80 km/h zwischen den richtigen Lkw´s herumturnen, um sicher ans Ziel zu kommen?
Die blau beschilderten Strecken nahen. Mit ein wenig Übermut geht es auf die ersten Autobahnkilometer. Sofort muss der Navara zeigen, was er drauf hat. Der 2,5-Liter-Turbodiesel, der einzige Treibsatz, der für ihn zur Verfügung steht, passt gut zum Charakter des Japaners. Klar, aus einem kleinen Turboloch muss die Drehzahlnadel erstmal klettern, aber dann geht es kraftvoll nach vorne. Zum gemütlichen Cruisen im hohen Gang, garniert mit diversen Zwischensprint-Einlagen, reicht das Drehmoment-Maximum von 403 Newtonmetern (bei 2.000 Touren) locker aus. Wichtig für "Linke-Spur-Fetischisten": Tempo 170 (offiziell; gut 180 laut Tacho und auf abschüssiger Piste noch ein wenig mehr) ist trotz Wolkenkratzer-Aerodynamik locker drin.
Souverän und komfortabel
Die wahre Überraschung ist aber die Souveränität, die der Navara in diesen Geschwindigkeitsregionen an den Tag legt. Trotz hinterer Starrachse und Blattfedern gerät die Fuhre nie ins Schwimmen, selbst fiese Querfugen bringen den Pickup nicht aus der Ruhe. Auch den Bremsen gebührt ein Lob: Obwohl an der Hinterachse noch antiquierte Trommel-Stopper arbeiten, machen sie einen sehr standfesten Eindruck. Der Komfort stimmt ebenfalls: Im Innenraum versprüht der Japaner viel mehr Pkw- als Brummi-Ambiente, die Sitze sind auch am Ende einer 500 Kilometer-Tour noch bequem. Sensible Ohren werden sich über das angenehme Geräuschniveau freuen: Motor und Wind halten sich dezent zurück.
Einige Mankos lassen sich dann aber doch nicht wegdiskutieren: In der "King Cab"-Variante (Basispreis 27.730 Euro) ist der Pickup nur ein Fall für zwei. Denn das, was Nissan als „Notsitze“ bezeichnet, möchte man nicht mal den nervigen Nachbarskindern für die Fahrt zum Fußballtraining zumuten. Will man zu viert verreisen und dabei keinen der Passagiere auf die Ladefläche verfrachten, muss man zur „Double Cab“ greifen (1.400 Euro Aufpreis). Er ist nur nach der Euro 3-Abgasnorm eingestuft, der Diesel-Partikelfilter kostet 600 Euro Aufpreis! Und wer den Navara unbarmherzig tritt, bezahlt dies mit einem Spritverbrauch von 15 Litern - bei gemütlicher Fahrt kann es aber auch einstellig werden. Eher ungemütlich wird einem bei dem Gedanken, dass Nissan Seiten- und Kopfairbags erst ab der höherwertigen SE-Ausstattung (3.000 Euro Aufpreis) - und dann auch nur ins 1.130 Euro teure Komfort-Paket integriert – anbietet.
Überraschung: Nissan hat seinem Nutztier tatsächlich Manieren beigebracht. Der Navara ist kein eindimensionaler Schlepper, sondern fühlt sich auch in der Rolle des konditionsstarken Reisebegleiters wohl. Dass sich der Pickup aber gerade bei Umwelt- und Sicherheitsaspekten nicht auf Pkw-Niveau präsentiert, wird den totalen Durchbruch dieser so eigenwilligen Autospezies vorerst verhindern.
Technische Daten (Werksangaben):
Leistung: 126 kW (171 PS) / 4.000 U/min
Max. Drehmoment: 403 Nm / 2.000 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 170 km/h
Beschleunigung 0 – 100 km/h: 11,3 s
Durchschnittsverbrauch: 9,8 l / 100 km
CO2-Emission: 264 g/km
Grundpreis: 27.730 Euro