Er gehört zu den ganz großen, legendären Supersportwagen und war mit 349,4 km/h das schnellste Serienauto der Welt: der Jaguar XJ220, der jetzt 25 Jahre alt wird. Dieses Monster bietet eine bewegende Geschichte, bei der es um viel Geld geht. Mehr noch: Dieser Supersportler lässt noch heute moderne Super Cars erblassen. Grund genug, zusammen mit Phil Talboys, Leiter des Jaguar-Testcenters am Nürburgring, dem XJ220 einen Kurz-Test zu unterziehen, um zu erleben, wie unfassbar brutal dieses Auto ist.
Es war eine Zeit der Traumwagen und Legenden, die noch heute Autoenthusiasten bereits bei der Nennung der Namen in den Bann ziehen: Ende der 1980er-Jahre kamen Supersportwagen, regelrechte Biester wie der Ferrari F40 und der Porsche 959, auf den Markt. Doch Mitarbeiter von Jaguar wollten den ultimativen Straßensportwagen schaffen und entwickelten unter Leitung des damaligen Chefkonstrukteurs Jim Randle den Jaguar XJ220.
© Foto: Gudrun Muschalla, Jaguar
Zum Bau eines derartigen Supersportwagens fehlte Jaguar jedoch das Budget, so dass 12 passionierte Jaguar-Designer und Ingenieure zusammen mit Jim Randle in ihrer Freizeit ohne Bezahlung den XJ220 konstruierten. Daher lief das Projekt intern unter der Bezeichnung „Saturday Club Car“. Die Ziffer im Typennamen war Programm: 220 stand für die angestrebte Höchstgeschwindigkeit von 220 mph, was rund 350 km/h entspricht - eine in jener Zeit nie erreichte Top-Speed eines Serienautos und noch heute eine extrem hohe Geschwindigkeit.
Dann war es soweit: Die Konzeptstudie des Jaguar XJ220 wurde am 18. Oktober 1988 gegen 3 Uhr morgens fertiggestellt, in Windeseile zur British Motor Show nach Birmingham gebracht, wo das Concept Car um 11 Uhr des gleichen Tages enthüllt wurde und für Furore sorgte. Die Flunder mit dem spektakulären Design besaß Scherentüren wie ein Lamborghini, einen Allradantrieb und einen 6,2 Liter großen V12-Saugmotor mit gut 500 PS.
Eigentlich war das Concept Car nicht für die Produktion gedacht. Die Briten wollten einfach demonstrieren, dass sie einen Supersportwagen bauen können. Doch die Begeisterung war so groß und die Nachfrage derart hoch, dass Jaguar im Dezember 1989 bekannt gab, mindestens 220 und bei entsprechender Nachfrage maximal 350 Einheiten des XJ220 bauen zu wollen.
Jaguar rief, wie der damalige Projekt-Manager Mike Moreton in seinem Buch „Jaguar XJ220: The Inside Story“ berichtet, einen Verkaufspreis von 290.000 Britische Pfund netto auf. Das waren in Deutschland, inklusive Steuern, knapp 710.000 Deutsche Mark (D-Mark). Dazu mussten die Interessenten mit Order sofort 50.000 Britische Pfund (inklusive Steuern in Deutschland fast 125.000 D-Mark) anzahlen, die bei einer Akzeptanz der Bestellung nicht mehr rückzahlbar waren.
© Foto: Gudrun Muschalla, Jaguar
Die Nachfrage erwies sich als derart hoch, dass in wenigen Tagen 1.200 Vorbestellungen eingingen - darunter aufgrund der Limitierung der Stückzahlen eine groß Zahl Spekulanten, die den Jaguar XJ220 nach Erhalt mit einem fetten Profi verkaufen wollten.
Geplatzte Träume: Plötzlich ein komplett verändertes Serienmodell
Im 1992 anlaufenden Serienmodell sorgte allerdings ein 3,5 Liter großer V6-Biturbo-Motor für den Antrieb, der aber mit 549 PS noch stärker war als das V12-Triebwerk. Das V6-Aggregat basierte auf dem bewährten, im Gruppe-B-Rallyesport eingesetzten Rennmotor des MG Metro 6R4 - ein echtes Biest. Da das Concept Car zu groß und zu schwerfällig war, kappten die Macher für die Serie außerdem die Länge von 5,14 Meter auf 4,93 Meter und ersetzten den Allrad- durch einen Hinterradantrieb. Die Modifikationen drückten das Gewicht auf 1.470 Kilogramm. Anstelle von Scherentüren gab es konventionelle Türen.
Zum Verkauf der ursprünglich angestrebten 350 Autos kam es jedoch nicht, da etliche Kunden vom Kaufvertrag zurücktraten. Nicht die Änderungen der ursprünglichen Spezifikationen waren ausschlaggebend, sondern der in Folge einer Inflation deutlich auf 470.00 Britische Pfund erhöhte Verkaufspreis, was in Deutschland über 1 Million D-Mark entsprach. Ein Ferrari F40 (478 PS) kostete nur rund 440.000 D-Mark.
Ein weiterer Schlag stellte eine Wirtschaftsrezession Anfang der 1990er-Jahre dar, die nach der Bestellfreigabe des Jaguar XJ220 begann und viele Länder auf der Welt betraf. Infolgedessen wollten viele ursprüngliche Spekulanten den XJ220 nicht mehr erwerben; entweder, weil sie es nicht mehr konnten, oder glaubten, den Supersportwagen nicht verkaufen zu können.
© Foto: Gudrun Muschalla, Jaguar
Zwischen 1992 und 1994 entstanden insgesamt 285 Jaguar XJ220, inklusive der 10 Vorserienmodelle. Zu den Erstkunden des XJ220 gehörten Popstar Elton John und der Sultan von Brunei.
Design: Die besten Ideen beim Jaguar XJ220
Mein Atem stockt. Jetzt steht der Jaguar XJ220 vor mir, ein Traumwagen meiner Jugend. Phil Talboys gibt mächtig Gas und der XJ220 brüllt bereits im Stand seine Kraft laut heraus, so dass die Haare auf meinen Armen zu Berge stehen. Das Design des Jaguar XJ220 fasziniert noch heute und zieht die Blicke auf sich. Unverkennbar diente der Jaguar XJ13 den Designern als Inspiration, ein Rennwagen-Prototyp, von dem 1966 nur ein Exemplar entstand. Dazu die unglaubliche Länge: Der Jaguar XJ220 ist 4,93 Meter lang - und damit so lang wie die heutige Mercedes-Benz E-Klasse Limousine (W213). In der Breite kommt der XJ220, inklusive Außenspiegel, auf unglaubliche 2,22 Meter. Die Höhe fällt mit 1,15 Meter sehr gering aus.
Bei diesem aerodynamisch ausgefeilten Supersportwagen folgt alles nach dem Prinzip „Form folgt Funktion“. Die Linien sind flüssig, der XJ220 wirkt gleichzeitig aggressiv und elegant. Dazu kommen strategisch positionierte Lufteinlässe und Luftauslässe zur Beatmung des leistungsstarken Motors und zur Kühlung der Bremsen.
Sehr cool: Die Frontscheinwerfer fahren nicht nach oben aus, hier senken sich die Abdeckungen nach unten ab. Sanfte, sinnliche Kurven bestimmen jedes Bauteil der Außenhülle, während sich das in Mittelmotor-Bauweise positionierte V6-Triebwerk durch die Heckscheibe bewundern lässt. Fast wirkt das Aggregat klein und verloren in dem großen Motorraum, in dem die Turbolader auf beiden Seiten klar zu sehen sind. Aber dieses Triebwerk hat es wahrlich in sich und wird noch seine brachiale Seite zeigen.
© Foto: Jaguar
Weit nach hinten zieht sich die flache Dachlinie bis zum Heck. Statt extrovertiertes Flügelwerk gibt es nur einen diskreten Flügel. Darüber hinaus besitzt der Jagur XJ220 als einer der ersten Sportwagen einen riesigen Heckdiffusor. Geschmackssache: die schwarzen Lamellen vor den Rückleuchten. Nicht weniger schön waren die Gitter vor den Heckleuchten des Ferrari 348 zur gleichen Zeit.
Innenraum: Hineinzwängen und eine Besonderheit in den Türen entdecken
Die Türen öffnen sich nicht weit. Wer es erst einmal schafft, sich in das Auto zu zwängen, ist über den unglaublich geräumigen Innenraum des Jaguar XJ220 überrascht. Ein zweisitziger Supersportwagen mit einer dermaßen hohen Raumgefühl und viel Platz ist außergewöhnlich. Die komfortablen, an den Seiten bestens gepolsterten Leder-Sportsitze sorgen für einen guten Seitenhalt und zugleich viel Komfort. Dazu ist das Interieur umfangreich mit Leder bezogen und mit einer Kontrastnaht versehen.
Das Cockpit, so war es in jener Zeit, besitzt eine ganze Armada an Anzeigen und strotzt aus heutiger Sicht vor Unübersichtlichkeit. Direkt hinter dem Lenkrad sitzen der bis 220 mph beziehungsweise 360 km/h reichende Tacho und der Drehzahlmesser. Direkt daneben befinden sich vier kleine Anzeigen, die über den Kraftstoffstand, den Öldruck, die Öltemperatur und die Wassertemperatur informieren. In die Tür integrierte Jaguar vier weitere, auf den Fahrer ausgerichtete Instrumente: eine Analoguhr, eine Ladedruckanzeige, eine Anzeige für den Status der Autobatterie und sogar eine Einheit, die über die Öltemperatur im Getriebe Auskunft gibt. Ein weiteres Relikt aus alten Zeiten: das Radio mit Kassetten-Teil.
Muskelkraft ist gefragt: So fährt sich der Jaguar XJ220
Nach dem Einschalten der Zündung leuchtet der Startknopf des Jaguar XJ220 signalrot auf und startet mit großem Radau das mächtige V6-Triebwerk, das aus einem Hubraum von 3,5 Litern satte 549 PS bei 7.000 U/min generiert. Das maximale Drehmoment von kraftvollen 642 Nm steht bei 4.500 Touren zur Verfügung. In Kombination mit einem 5-Gang-Handschaltgetriebe spurtet der hinterradangetriebene Jaguar XJ220 in nur 3,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h.
© Foto: Gudrun Muschalla, Jaguar
Wie schnell der XJ220 tatsächlich lief, testete Jaguar mit Hilfe seiner Werks-Rennfahrer auf geschlossenen Prüfgeländen. 1991 erreichte Andy Wallace auf der Firestone-Testbahn in Fort Stockton (Texas) eine Spitzengeschwindigkeit von 341,6 km/h. Im italienischen Nardò steigerte Martin Brundle 1992 die Höchstgeschwindigkeit auf 349,4 km/h. Damit war der Jaguar XJ220 das schnellste Serienauto der Welt und löste den Bugatti EB110 ab, der 1991 auf eine Top-Speed von 336 km/h kam.
Das Turboloch ist groß. Aber wenn die Turbolader ihren vollen Ladedruck abgeben, was ziemlich plötzlich und explosiv erfolgt, gibt es bei 3.500 Touren einen regelrechten Kick in den Rücken und der XJ220 spurtet mit lautem Gebrüll brutal nach vorne. Der Sound ist dabei rau, nicht künstlich kreiert wie bei etlichen modernen Performance-Fahrzeugen, und erinnert stets daran, dass der XJ220 im Kern die Gene eines Rennwagens in sich trägt.
Es ist allerdings auch viel Muskelkraft erforderlich, um dieses Schiff unter den Supersportwagen zu fahren. Die Kupplung ist schwergängig und die Lenkung ohne Servo-Unterstützung ist schwerfällig. Dennoch erweist sich der Jaguar XJ220 als reaktionsschnell - sogar bei niedrigen Geschwindigkeiten. Je höher die Speed, desto einfacher fühlt sich das Handling an. Hartes Bremsen erfordert ebenso schwere Arbeit. ABS (Antiblockiersystem)? Fehlanzeige!
Auf der anderen Seite legten die Macher das Fahrwerk für einen Supersportwagen überraschend komfortabel aus. Die Insassen werden hier nicht durch ein hammerhartes Fahrwerk verprügelt. Mit dem Jaguar XJ220 lassen sich locker Langstrecken zurücklegen. Mehr noch: Ohne das Gaspedal durchzudrücken, ist der XJ220 sogar bis etwa 150 km/h relativ leise.
© Foto: Gudrun Muschalla, Jaguar
Noch besser: Action mit moderner Pirelli-Bereifung
Alte Reifen für den Jaguar XJ220, die mittlerweile bis zu 25 Jahre alt sind, eignen sich nicht mehr für einen Supersportwagen, der knapp 350 km/h schnell ist. Erschwerend kommt hinzu, dass der XJ220 eine seltene Mischbereifung im Format 255/45 R17 vorne und 345/35 R18 hinten besitzt.
Glücklicherweise entwickelte Pirelli mit dem „Collezione“-Sortiment eine spezielle Variante des „P Zero“, die für prestigeträchtige Old- und Youngtimer erhältlich ist, so auch für den Jaguar XJ220. Obwohl der neue Reifen den klassischen Look des ursprünglichen „P Zero“ besitzt, handelt es sich um ein modernes Produkt. Dazu gehört die interne Dämpfung im Reifen, die Stöße ausgleicht, die Geräuschemission reduziert, eine präzisere Kontrolle ermöglicht und mehr Grip bietet. Heutzutage ein wichtiger Pluspunkt, wenn jemand das Glück hat, einen Jaguar XJ220 erleben zu dürfen.
Technische Daten Jaguar XJ220
Antriebsart: Hinterradantrieb
Hubraum V6-Biturbo-Motor: 3.498 cm³
Leistung: 404 kW/549 PS bei 7.000 U/min
Drehmoment: 642 Nm bei 4.500 U/min
Getriebeart: 5-Gang-Handschaltgetriebe
Vmax: 349 km/h
Beschleunigung 0-100 km/h: 3,8 Sekunden
Gewicht: 1.470 Kilogramm
Preis (1992): 470.000 Britische Pfund (über 1 Million Deutsche Mark)