Morgens, halb zehn. Vor mir wimmern die Stoßdämpfer eines alten Buicks um Erbarmen, dem man schon lange den ersehnten Gnadenschuss hätte geben müssen. Die kurvigen Bergstraßen Santa Barbaras sind definitiv nichts für ihn - für mich und meinen Gefährten dagegen stellt dies ein Klacks dar. Im zackigen Sport-Modus warte ich auf die nächste kurze Gerade und lasse die brachialen 557 PS mit Bi-Turbo-Aufladung ihren Job verrichten. Bye bye, Du armer Ami-Boy.
Habe ich erwähnt, dass ich mich hier mit einem SUV fortbewege? Falls nicht, wird dies schnell nachgeholt. Mercedes sieht sich als Pionier der hochbeinigen Power-Allradler und bringt die Konkurrenz mit dem neuesten Modell kräftig ins Schwitzen. Um dem liebsten Dauerkonkurrenten noch eins zu verpassen, gab Mercedes dem neuen ML 63 AMG im optionalen Performance-Package zwei Pferde mehr als dem BMW X5/X6 M und machen den neusten Ableger somit zum derzeit stärksten Pferdeschlepper im elitären Power-SUV-Club.
Motor: Kraftpaket mit optionaler Leistungssteigerung
Unter der Motorhaube wummert nun kein 6,2 Liter großer V8-Sauger mehr, sondern ein 5.5-Liter-Biturbo, der selbstverständlich handgefertigt ist. Trotz der Hubraumverkleinerung wurde die Leistung gegenüber dem Vorgängermodell um 11 kW (15 PS) auf 386 kW (525 PS) gesteigert, der Verbrauch aber gleichzeitig um 28 Prozent verringert.
Wem die Leistung unter der Haube nicht reicht, ordert das AMG-Performance-Package und erhält dafür satte 410 kW (557 PS) und einen Drehmomentzuwachs von 700 Nm auf 760 Nm. Erreicht wird dies durch einen von 1,0 auf 1,3 bar angehobenen Ladedruck der Turbolader. Und genau den haben wir uns natürlich geschnappt.
Fahrwerk: Huch, der kann ja Kurven?
Diese Leistungsdaten werden auch bei unserem Ritt auf der kurvigen Bergstraße gebraucht. Kaum fertig mit dem Fotografieren, huscht ein roter Blitz im Form eines alten Dodge Challengers vorbei - und das mit einem beachtlichen Tempo! Die perfekte Herausforderung für den ML 63 AMG. Mit Vollgas sprintet der ML in brachialen 4,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h - bei einem Gewicht von über 2,3 Tonnen mehr als beeindruckend. Theoretisch wären elektronisch begrenzte 250 km/h möglich, aber das ist eher was für die deutsche Autobahn als für die amerikanischen Landstraßen.
Die Kurven mit einem solchen Schwergewicht zu meistern benötigt einige besondere Kniffe, um die Grenzen der Physik außer Gefecht zu setzen. Hierfür sind drei Systeme aufgestellt: Das AMG-Ride-Control-Sportfahrwerk mit Airmatic-Paket, das adaptive Dämpfungssytem (ADS) und die aktive Wankstabilisierung Active-Curve-Sytem.
Bedeutet in der Praxis: Nachdem ich mit Vollgas auf der Geraden voranschreite, senkt sich die Karosserie ab Tempo 70 um 10 Millimeter herab, um den Luftwiderstand zu verringern und die Fahrstabilität zu verbessern. Am Kurveneingang gebe ich der exzellenten Hochleistungsbremsanlage was zum Futtern. Gleichzeitig sorgt das ADS für eine optimale Regelung zwischen den Rädern und einem Minimum an Aufbaubewegungen. Während ich mit ordentlich Speed-Überschuß in die Kurve presche, sorgt das adaptive Dämpfungssystem je nach Schalterstellung (Comfort, Sport, Sport+) zusammen mit der Wankstabilisierung dafür, dass sich die Karosserie in der Kurve nicht zu sehr aufschaukelt. Aktive Querstabilisatoren an Vorder- und Hinterachse regeln derweil die Karosserieneigung automatisch.
Dem Fahrer wird suggeriert, er säße eher in einer sehr sportlichen Limousine als in einem hochbeinigen Offroader. Beim Herausbeschleunigen macht sich die optimierte Allradkraftverteilung im Verhältnis von 40 zu 60 bemerkbar. Keine Frage, Mercedes ist hier ein bemerkenswert agiles Kunststück gelungen. Wenn dazu noch der brummige Achtzylinder-Sound aus den vier Endrohren röhrt, ist "Mann" einfach nur happy. Bei Gesprächen vor Ort machte man kein Geheimnis daraus, dass Porsche mit dem Cayenne Turbo S der Benchmark war, den es zu knacken galt. Rein vom Gefühl her ist ihnen das durchaus gelungen. So oder so bleibt es eh bei den Schwaben.
Perfekt geeignet für die Verfolungshatz
Zurück auf den Asphalt: Nach einer spaßigen Verfolgungsjagd zieht der ML 63 AMG gleich mit dem Challenger, an dem nichts mehr original zu sein scheint. Mercedes lässt dem Fahrer bei der schnellen Speedshift-7G-Tronic die Wahl zwischen "Controlled Efficency" (Öko-Programm), "S" wie Sport und der manuellen Gangwahl. Politisch unkorrekt werden die 7 Gänge bis in den Begrenzer gefahren, bevor mittels der gut erreichbaren Aluminium-Schaltwippen hochgeschaltet wird. Das reicht, um dem Challi am Heck zu kleben.
Bei einem späteren Gespräch nach der Leistung antwortet der Besitzer des Chalengers nur lapidar, dass er die genaue Leistung nicht wisse. Der letzte Test lag wohl bei rund 500 Pferden. Doch wie beeindruckt die beiden von dem AMG waren, zeigt folgendes E-Mail-Zitat: "What really grabbed me though, was your driving skill in that Benz. After all, John and I know 33 like our apartments, every turn, hill and bump is ingrained in our minds, however, you probably don't know the road like we do, and you were right on our tail, bird dogging us at speeds that were not posted!" Was für eine Ehrung für den schwäbischen Hünen.
Nach unserer Muscle Car-Hetzjagd kommen wir endlich zum Verschnaufen. Wie steht es mit den äußeren Werten? Beim Design blieb man beim ML 63 AMG zurückhaltend, aber selbstbewusst. Allzu prolliges Spoilerwerk überließen die Macher lieber der Konkurrenz. Dennoch wirkt der silberne Schrankwandflitzer recht dynamisch in seiner Linienführung und bietet dank der guten Fensteraufteilung eine gute Rundumübersicht. In der Vorderansicht kommt eine markante Frontschürze mit drei großen Kühleröffnungen zum Einsatz. Für den besonderen Feinschliff sorgt eine Zierspange in mattem Silberchrom am unteren Ende der Frontschürze.
Um den dicken 21-Zöllern genug Platz zu geben, wurden die Radhäuser jeweils um 10 Millimeter verbreitert. Selbstbewusst prangert der "V8 Bi-Turbo"-Schriftzug an den vorderen Kotflügeln. Den gelungenen Abschluss geben die zwei verchromten Doppelendrohre und die Heckschürze, die ebenfalls mit drei großen Luftgittern verziert wurde.
Innenraum: Très chic - ist halt ein Daimler
Der Innenraum begrüßt mit angenehmer Linienführung, sauberer Haptik und der für AMG typischen Individualisierung. Dazu gibt es noch eine Menge Platz. Die gut konturierten AMG-Leder-Sportsitze mit Doppelziernähten geben Fahrer und Beifahrer einen sehr guten Seitenhalt und lassen sich individuell verstellen. Das im Vier-Speichen-Design gehaltene Sportlederlenkrad fasst sich dank perforiertem Leder im Griffbereich sehr gut an. Exklusiv für den ML 63 AMG reserviert ist das eigenständig gestaltete Kombi-Instrument mit farbigem TFT-Monitor und AMG-Hauptmenü.
Das Thema Sicherheit ist bei Mercedes schon immer ein primärer Punkt gewesen und steht auch beim ML 63 AMG ganz oben auf der Liste. Die Palette der Sicherheits-Features ist groß, die Aufpreisliste ebenso. Doch bei einem Grundpreis von 108.885 Euro sollte dies wohl ein eher kleines Manko sein. Mercedes hat hier ein wirklich eindrucksvolles Gefährt auf die Beine gestellt. Es scheint, als hätte Mercedes damit einen neuen Benchmark in dieser Klasse geschaffen und ... Oh sorry, da sind gerade zwei Biker vorbeigerauscht, die vernaschen wir auch noch.
Technische Daten Mercedes-Benz ML 63 AMG:
Antrieb: Allrad | Hubraum: 5.461 ccm | Leistung: 386 kW (525 PS) bzw. 410 kW (557 PS) * | Drehmoment: 700 Nm bei 1750-5000 U/min bzw. 760 Nm bei 2000-5000/min * | Vmax: 250 km/h (elektronisch begrenz) | Beschleunigung 0–100 km/h: 4,8 s | 4,7 s * | Durchschnittsverbrauch: 11,8 l/100km | CO2-Emission: 276 g/km | Preis: ab 108.885,00 EUR
* mit AMG Performance Package