DTM/ITC im Technikwahn: Die wilden und teuren Neunziger

, 15.02.2017

Aktive Aufhängungen, Klappflügel und automatische Balanceverschiebung - Die technischen Auswüchse der DTM/ITR in den 1990er-Jahren: Teuer und riskant

Die DTM stellt sich nach mäßig erfolgreichen Jahren derzeit für die Saison 2017 in veränderter Form auf. Die Anzahl der Autos wurde verringert, die Power der Fahrzeuge soll jedoch steigen. Man erwartet sich mehr Spektakel auf den Strecken. Gleichzeitig haben die Verantwortlichen von ITR und den drei Herstellern Audi, BMW und Mercedes ein Thema stets im Blick: die Kosten. Ein mahnendes Beispiel für Kostenexplosion und die Folgen hat man schließlich in der eigenen Geschichte.

Mitte der 1990er-Jahre hatte sich die DTM-Szene als ITC (International Touring Car Championship) breiter aufgestellt, um mit den pfeilschnellen Autos von Alfa Romeo, Mercedes und Opel die Welt zu erobern. Der Schuss ging gewaltig nach hinten los. Nicht wegen der Internationalisierung, sondern wegen des damaligen Class-1-Regelwerks, das mit all seinen Freiheiten extrem teure technische Auswüchse zuließ. Die Kosten waren letztlich der DTM/ITC-Killer am Ende der Saison 1996.

Bis dorthin hatten die beteiligten Entwickler viel Spaß und die engagierten Piloten oftmals große Sorgen. Die Techniker brachten immer wieder neue Lösungen. Nachdem die V6-Triebwerke ausgereizt waren, machte man sich an vielen anderen Baustellen zu schaffen. "Heutzutage ist jede Rennsportserie in extrem enge technische Regelwerke gepackt. Ob das nun Formel 1 ist, IndyCar oder NASCAR. Es gibt kaum Freiheiten. Das ist offenbar ein Trend unserer Zeit", schildert Dario Franchitti im Interview mit racer.com.

Wenn der Ballast nach vorne oder hinten knallt

"Die DTM damals hatte im Verhältnis dazu nichts, was man heutzutage noch wirklich Regelwerk nennen würde. Es war vielleicht gerade mal festgelegt, wie viele Türen das Auto haben musste und welche Achse angetrieben werden sollte", so der Schotte, der in den Jahren 1995 und 1996 für AMG-Mercedes immerhin ein Rennen gewinnen konnte. "Wir hatten zum Beispiel bewegliche Aerodynamikteile und - noch viel extremer - eine variable Balance!"

Bei Testfahrten in Portugal überraschte AMG den damaligen Youngster Franchitti mit einer neuen Lösung. Mit einem Ballastgewicht auf einem beweglichen Schlitten unter dem Auto sollte die Balance der Mercedes-C-Klasse während der Fahrt angepasst werden können. "Ich habe mich sofort gefragt, wie das gehen soll", erklärt der dreimalige Indy-500-Sieger. "Zwei Mann mussten das 50 Kilogramm schwere Teil schleppen. Es wurde dann auf eine Art hydraulisch betriebener Rampe gebaut, die in einem Kanal unter dem Auto verlief."

"Als ich bei einem Test mal so richtig draufgetreten habe, ist das alles nach hinten durchgerutscht und hat alle Karbonteile am Heck zertrümmert", lacht Franchitti und fügt mit noch mehr Spaß in der Stimme an: "Ein paar Wochen später haben wir es noch einmal ausprobiert. Ich habe hart gebremst. Und was passiert? Alles fliegt nach vorne weg." Die wilden Pionierzeiten in der ITC waren mit Rückschlägen nicht vorbei. Man nahm weiteres Geld in die Hand und probierte es weiter.

Der Flügel, der sich auf den Geraden versteckt

"Das klingt alles wild und lustig, aber letztlich hat es sogar funktioniert. Wir hatten sogar ein Trackingsystem, das es uns ermöglichte, dass unser Auto die Balance vor jeder einzelnen Kurve automatisch ins optimale Fenster brachte. In manchen Kurven willst du gut einlenken können, in anderen brauchst du mehr Gewicht auf der Hinterachse - lief alles von selbst", erinnert sich der 43-Jährige. "Jederzeit hat sich das Auto von selbst per Mechanik, Aerodynamik und beweglichem Ballast optimal eingestellt. Das war absolut krass."

"In Hockenheim haben wir mal einen Flügel getestet, der immer, wenn wir geradeaus gefahren sind, in der Heckklappe verschwunden ist. Wir sind in Hockenheim Vollgas die Geraden hinuntergefahren und mussten immer bangen, ob der Flügel beim Bremsen auch herausfährt. Manchmal hat er das nicht getan", schmunzelt der ehemalige Mercedes-Werksfahrer. Neben aktiver Aufhängung, ABS, Traktionskontrolle und vielen weiteren Entwicklungen wollte man die Autos in allen Details revolutionieren.

"Das Seltsame war, dass man unseren Flügel damals verboten hat und im nächsten Rennen fuhr Klaus Ludwig im Opel plötzlich mit genauso einer Lösung ganz easy an mir vorbei. Aber der Opel ging dann irgendwann in Flammen auf, wenn ich mich richtig erinnere", lacht Franchitti. "Als Rennfahrer muss man eigentlich eine Maschine an die Grenzen des Machbaren treiben. Damals hatte man aber im Cockpit das Gefühl, dass das Auto lebt. Da hat man sich oft gefragt, ob man dem allen trauen kann. Oder wird mich das Ding töten?"

Jetzt kommentieren
Jetzt bewerten

Zum Bewerten musst Du registriert und eingeloggt sein.

Weitere DTM-News

Dieter Gass ist seit Januar 2017 neuer Motorsportchef bei Audi

Dieter Gass: Das ist der Ullrich-Nachfolger bei Audi

Das langjährige Le-Mans-Programm gestoppt, die Formel E als neues Betätigungsfeld und die DTM als Konstante. Bei Audi ist auch im Bereich Motorsport vor dem Hintergrund des Dieselskandals und …

Loic Duval triumphierte 2013 bei den legendären 24 Stunden von Le Mans

Neuling Loic Duval: Ein weiterer Le-Mans-Sieger für die DTM

Loic Duval hat im Motorsport schon viele große Erfolge gefeiert. Dazu zählen ein Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans 2013 und der Gewinn der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) im selben Jahr. …

Mike Rockenfeller war im Jahr 2013 der bis heute letzte Audi-DTM-Champion

Kein DTM-Fahrertitel seit 2013: Ursachenforschung bei Audi

Eigentlich liefen die vergangenen drei Jahre für Audi nicht schlecht. 2014 und 2016 sicherten sich die Ingolstädter den DTM-Herstellertitel, dreimal in Folge belegte man in der Fahrergesamtwertung …

Mike Rockenfeller und Mattias Ekström gehören zu den Audi-

Audi-Teams 2017: Mischung aus Erfahrung und frischem Wind

Drei Monate vor dem Auftakt der DTM-Saison 2017 hat Audi seine Teamverteilung bekannt gegeben. Als einziger Hersteller gehen die Ingolstädter mit drei Teams an den Start. Der neue Audi-Motorsportchef …

Hatte wichtige DTM-Entscheidungen zu treffen: Mercedes-Rennleiter Toto Wolff

Toto Wolff: "Fahrerentscheidung war wirklich schwierig"

Die DTM reduziert ihr Starterfeld zur Saison 2017 auf nur noch 18 Fahrzeuge. In Reihen der drei engagierten Hersteller Audi, BMW und Mercedes, die jeweils sechs Autos an den Start schicken werden, hat diese …

AUCH INTERESSANT
BYD: Stella Li verrät das Erfolgsrezept im Interview

AUTO-SPECIAL

BYD: Stella Li verrät das Erfolgsrezept im Interview

BYD kennt inzwischen fast jeder. Doch wer ist Stella Li ? Eine der weltweit mächtigsten Frauen in der Automobilbranche, die wir zum Interview trafen - und Stella Li gab sehr interessante …


Motorsport-Total.com

TOP ARTIKEL
VW Golf R 2024 Test: Der letzte Benziner vor dem E-Motor
VW Golf R 2024 Test: Der letzte Benziner vor dem …
Lamborqhini Revuelto Test: Brutal! V12 mit 3 Elektromotoren
Lamborqhini Revuelto Test: Brutal! V12 mit 3 …
BYD Blade-Batterie: Das Geheimnis der Blade-Klinge
BYD Blade-Batterie: Das Geheimnis der Blade-Klinge
News-Abo
Jeden Morgen kostenlos per E-Mail:
Aktuelle Artikel
German Car of the Year 2025: Die besten Autos des Jahres
German Car of the Year 2025: Die besten Autos …
Jeep Avenger The North Face Edition: Die versteckten Extras
Jeep Avenger The North Face Edition: Die …
BMW & Mini: Kino, Gaming und ein Blick in die Zukunft
BMW & Mini: Kino, Gaming und ein Blick in die …
Bridgestone Blizzak 6 Enliten: Der neue Spitzen-Winterreifen
Bridgestone Blizzak 6 Enliten: Der neue …
Audi A6 e-tron 2025: E-Kombi mit über 700 km Reichweite
Audi A6 e-tron 2025: E-Kombi mit über 700 km …


Speed Heads - Sportwagen- und Auto-Magazin

Das Auto und Sportwagen Magazin mit täglich aktualisierten Auto News, Motorsport News, Auto Tests, Sportwagen Berichten und der streng geheimen Auto Zukunft. Speed Heads ist die Community für echte Auto-Fans und informiert im Sportwagen Magazin über Neuigkeiten aus der Welt der schnellen Autos.

  • emotiondrive Logo
  • World Car Awards Logo
  • Motorsport Total Logo