Rückblick auf die Saison 2017 in der DTM und eine Vorausschau auf die künftigen Entwicklungen und Schauplätze: DTM-Boss Gerhard Berger im exklusiven Interview
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Die Ankündigung des Mercedes-Ausstiegs, sinkende TV-Einschaltquoten und lange Debatten um die Performancegewichte haben die DTM-Saison 2017 für die Verantwortlichen zu einer schwierigen Aufgabe gemacht. Der neue DTM-Boss Gerhard Berger hatte zum Einstieg viele Hürden zu überwinden, dennoch ist es dem Österreicher gelungen, wichtige Baustellen wie beispielsweise TV-Vertrag und Kalendergestaltung zu bearbeiten. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' blickt Berger umfassend auf das Jahr zurück.
Frage: "Gerhard Berger, ein intensives und arbeitsreiches Jahr geht nun zu Ende. Sind Sie froh, dass 2017 bald vorbei ist?"
Berger: "Nein, eigentlich nicht. Das liegt daran, dass es innerhalb einer Saison - also während des Rennbetriebs - immer so wunderbar viel Spannung und Spektakel gibt. Jetzt geht es halt um die Vorbereitung der kommenden Saison. Da ist immer etwas Nervosität dabei. Hat man den Kalender gut hingebracht? Sind die Events passend gestaltet? Ist die Mannschaft richtig zusammengestellt? Das sind die Fragen, die einem durch den Kopf gehen. Antworten gibt es da noch nicht. Während der Saison ist es immer angenehmer als zwischen den Jahren."
Frage: "An vielen Stellen der DTM spürt man eine Art Aufbruchstimmung. Wie empfinden Sie das?"
Berger: "Die Aufbruchstimmung spüre ich selbst auch, aber es gibt noch reichlich Hürden zu nehmen, um sich endlich sicher fühlen zu können. Klar ist aber: Es darf nicht so sein, dass der Ausstieg eines Herstellers die gesamte Bühne zum Zusammenbruch bringt. Da muss ausreichend Substanz vorhanden sein - Fans, Teams und Organisatoren -, sodass man einen Rückschlag kompensieren kann."
Hersteller haben viel politische Macht
Frage: "Die Diskussionen um Performancegewichte waren ewig lang. Immer wieder waren die Interessen der Werke wichtiger als alles andere. Muss man Hersteller bei so etwas zu ihrem Glück regelrecht zwingen?"
Berger: "Die Teilnahme von Herstellern ist sehr wichtig und richtig für eine Serie. Das bringt Substanz. Ohne ein Engagement von Werken würde der Motorsport überhaupt nicht existieren. Sobald ein Hersteller ein solches Bekenntnis abgibt, fordert er natürlich auch eine Gegenleistung in Form von Mitspracherecht. Wer zahlt, schafft an - so in etwa nach diesem Motto."
"Das mag verständlich erscheinen, aber es bringt auch gewisse Schwierigkeiten mit sich. Jeder Hersteller schaut durch seine ganz eigene Brille, man sinnt auf Vorteile. Hier muss man das passende Maß finden. Auf der einen Seite soll ein Hersteller viel Spaß an dem jeweiligen Rennsportengagement haben, auf der anderen Seite aber auch hier und dort mal die Eigeninteressen zugunsten der gesamten Serie hintenanstellen. Das ist ein Spagat, den man immer schaffen muss - schwierig, sehr schwierig zuweilen."
Frage: "Ist die politische Macht der Hersteller in der DTM zu groß?"
Berger: "na ja, ich kann mich eigentlich nicht beschweren. Die Hersteller in der DTM haben bisher immer ein offenes Ohr für meine Empfehlungen gehabt. Beim Thema Performancegewichte war es etwas zäh, aber sonst sind eigentlich alle immer gut mitgegangen. Ein großes Ziel für die Zukunft wird sein, dass die Werke auch mal Ideen und Wege mittragen, die im ersten Moment vielleicht für das ganz eigene Glück nicht durchweg zuträglich erscheinen. Da muss das Interesse der Serie und des Sports manchmal einfach vorgehen."
Frage: "Strietzel Stuck hat über die Abschaffung der Performancegewichte erzählt, dass Sie irgendwann die Nase voll hatten, alle den Raum verlassen sollten und Sie allen mit den Herstellervertretern gesprochen haben. Zehn Minuten später sei das Thema erledigt gewesen ..."
Berger: "Nein, ganz so war das nicht. Der Strietzel wollte damit darstellen, dass man ab einem gewissen Punkt die Herstellerinteressen nicht über den Wunsch der Fans stellen darf. Es gab viele Verhandlungs- und Gesprächsrunden. Im letzten Meeting sind die Vorstände der Hersteller diesen Empfehlungen gefolgt. Sie haben dem Wunsch des Kunden - also des DTM-Fans - klare Priorität eingeräumt."
"Es ist im Kerngeschäft der Automobilhersteller doch genauso. Ein Unternehmen hinterfragt doch mittels Marktforschung oder sogenannten Design-Kliniken sehr genau, welches Produkt sich der Kunde wünscht. Erst dann wird auf Grundlage der Ergebnisse das Design festgelegt, das Fahrzeug entwickelt und schließlich auf den Markt gebracht. Wenn ich einem Kunden etwas verkaufen möchte, dann muss mir komplett klar sein, was der Kunde wünscht und braucht. Der Kunde der DTM ist der Fan. Da muss es genauso laufen."
Alle träumen von Spa, aber Brand Hatch ist die Realität
Frage: "Die Weichen für 2018 sind gestellt - unter anderem mit einem Rennkalender, der je fünf Veranstaltungen in und außerhalb von Deutschland umfasst. Ist das die passende Balance für die Zukunft?"
Berger: "Ich glaube, dass ist das passende Gemisch für die DTM. Der Kern der Fans sitzt natürlich in Deutschland. Diese DTM-Liebhaber werden mit fünf Veranstaltungen gut bedient. Für die Hersteller ist es allerdings auch wichtig, dass es über die Grenzen von Deutschland hinaus geht. Dann ist deren Return-of-Investment besser. Dafür muss man in andere europäische Kernmärkte. Ich denke, dass wir die richtige Balance haben."
Frage: "Warum Brands Hatch und Misano? Viele Fans und Fahrer träumen von Spa-Francorchamps ..."
Berger: "Alle Rennfahrer träumen von Spa. Das geht mir selbst ganz genauso. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es gerade in England eine große Tourenwagen-Fangemeinde gibt. Außerdem ist es ein wichtiger Markt für die Hersteller. Großbritannien ist als die Motorsportnation schlechthin ein Muss für die DTM.
Frage: "Das Rennwochenende in Brands Hatch umfasst wegen dortiger Vorgaben nur 2 Tage. Wie sieht das Programm dann dort aus?"
Berger: "Wir fahren das gleiche Programm wie an den Wochenenden über drei Tagen. Es fällt halt nur das Freie Training am Freitagnachmittag weg."
Frage: "Es gab zunächst Gespräche mit Imola, bevor man die Entscheidung pro Misano getroffen hat. Warum ist Imola vorerst gescheitert?"
Berger: "Wir haben mit einem Veranstalter in Imola gesprochen und waren wirklich sehr interessiert. Es gibt dort eine Veranstaltung, die wir gemeinsam als Plattform hätten nutzen können. Die DTM braucht mit ihren Rahmenrennen an einem Rennwochenende sehr viel Streckenzeit. Da passte es nicht hinein, es ist sich halt nicht ausgegangen."
Dritter Hersteller (noch) nicht in Sicht
Frage: "Warum der DTM-Event in der Lausitz gleichzeitig mit der Formel-E-Veranstaltung in Berlin?"
Berger: "Das ist wirklich Zufall. Zu dem Zeitpunkt, als wir den Lausitzring-Termin ins Auge fassten, kannten wir den Formel-E-Kalender noch nicht. Es gab den Wunsch seitens des neuen Streckenbesitzers Dekra, diesen Termin zu nehmen. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Unser TV-Partner SAT.1, ebenso wie früher die ARD, hat ganz klar den Wunsch geäußert, dass wir einen vernünftigen Rhythmus im Kalender haben. Es sollten höchstens drei Wochen Pause zwischen zwei Veranstaltungen sein."
"Idealerweise hast du ab Saisonstart konstant alle zwei, drei Wochen einen Event, damit ein Flow entsteht, an den sich der Zuschauer gewöhnen und auf den er sich verlassen kann. Dies war auch ein Faktor, der zu dem Termin für den Lausitzring geführt hat. Der Saisonstart in Hockenheim war fix und von den Veranstaltern dort vorgegeben. So ist der Termin für den Lausitzring entstanden. Formel E in Berlin ist am Samstag, wir fahren auch am Sonntag noch ein Rennen. Da können Fans und Medienvertreter gleich zu uns rüberkommen."
Frage: "Wie wichtig ist das Signal, dass der neue TV-Vertrag gleich über 2 Jahre läuft?"
Berger: "Das signalisiert, dass wir auch 2019 wieder gut aufgestellt sein werden. Das ist wichtig. Auf der anderen Seite zeigt es auch, dass man großes Vertrauen in uns setzt. Wir wollen und müssen einen dritten und möglichst sogar vierten Hersteller finden. Wir kämpfen darum."
Frage: "Ist denn ein dritter Hersteller in Sicht?"
Berger: "Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich noch nicht viel dazu sagen. Wir reden mit einigen, aber es ist derzeit nicht so konkret, dass wir vermelden könnten: 'Jawohl, jetzt haben wir einen'. So ist es nicht. Wir arbeiten weiter daran, unter Hochdruck. Das hat Priorität."
SAT1 wird ähnlich viel Geld bringen wie die ARD
Frage: "Viele Gerüchte gibt es zurzeit um die Zahlungen im Zusammenhang mit dem neuen TV-Vertrag. SAT1 zahlt 3 Millionen wie bisher die ARD, heißt es teils. Hersteller bezahlen SAT1, damit überhaupt übertragen wird, heißt es woanders. Was ist denn wahr?"
Berger: "In meinem gesamten Rennfahrerleben habe ich nicht gern über Zahlen gesprochen. Eines kann ich aber klar sagen: Die angebliche Summe von drei Millionen Euro, die uns die ARD in der Vergangenheit bezahlt haben soll, ist schlichtweg falsch. Die Zahlen, die jetzt gerade hier und dort berichtet werden, sind allesamt falsch. Es ist nicht so, dass man uns drei Millionen zahlt. Es ist schon gar nicht so, dass womöglich die Hersteller an SAT.1 sogar Geld bezahlen, damit die DTM übertragen wird - kompletter Unfug!"
"Ein solcher TV-Deal besteht immer aus unterschiedlichen Komponenten. Da arbeitet die ARD anders als SAT.1. Für uns steht unter dem Strich ein sehr gutes Geschäftsmodell mit einem sehr guten Sender. Die Zahlen, die herumgeistern, stimmen aber einfach nicht. Eines kann ich sagen: Die Summen werden sich auch beim neuen Partner in einem ähnlichen Bereich bewegen wie zuvor - vielleicht etwas darunter, vielleicht sogar etwas darüber."
Frage: "BMW bringt Philipp Eng 2018 in die DTM - also einen weiterer Österreicher. Wann wird aus der DTM die ÖTM?"
Berger: "(lacht) Der Philipp Eng ist ein schneller und sehr sympathischer Kerl. Klasse, dass BMW ihn in die Szene bringt. Für uns ist insgesamt wichtig, dass wir international aufgestellt sind. Mal abwarten, wer am Ende alles in der Startaufstellung stehen wird."
Frage: "Die Rückkehr von Pascal Wehrlein wäre ein gutes Pfund für die DTM?"
Berger: "Ich würde ihn gern bei uns sehen. Der Ex-Champion kehrt zurück - das wäre nicht so schlecht. Auf der anderen Seite könnte auch die DTM sehr wichtig für Pascal Wehrlein sein. Ich sehe die DTM nach der Formel 1 immer noch als eine der besten und wichtigsten Plattformen für Rennfahrer."
Frage: "Welche Wünsche haben Sie für die Saison 2018?"
Berger: "Ich wünsche mir am allermeisten, dass wir einen dritten und vierten Hersteller finden, die dann gut zur DTM passen. Und 2019 wollen wir dann unter dem neuen Technischen Reglement den Fans noch spektakulärere Rennen liefern."