Die DTM ist so unvorhersehbar wie selten zuvor: Wie kommen die plötzlichen Leistungsschwankungen zustande? - Reifen könnten ein wichtiger Faktor sein
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Mit drei Siegen aus vier Rennen ist Jamie Green in die DTM-Saison 2015 gestartet. Der britische Audi-Pilot sah nach dem Rennwochenende am Lausitzring wie der klare Dominator des Jahres aus. Doch was folgte? Nach den überzeugenden 75 Punkten im Mai folgten nur noch 32 weitere Zähler aus den Rennen im Juni, Juli, August und September. Seit dem Norisring hat die DTM in zwölf Wertungsläufen elf verschiedene Sieger hervorgebracht.
"Es ist momentan sehr schwierig, die DTM generell zu verstehen. Man hat extreme Hochs und Tiefs. Fahrer, die gestern noch ganz vorne waren, sind heute plötzlich ganz weit hinten", sagt Timo Scheider. "Maxime Martin fährt beispielsweise am Samstag zum Sieg, steht sonntags weit hinten und spielt keine große Rolle. Von Samstag auf Sonntag ändern sich keine Gewichte und auch sonst nichts. Das kann man nicht mehr verstehen."
"Ich sehe viele fragende Gesichter, und genau das gilt auch für mich selbst. Ich kann keine Antworten geben, warum es solch ein Durcheinander ist", meint der zweimalige DTM-Champion aus dem Lager von Audi. Wenn schon Fahrer und Teamverantwortliche die DTM-Welt nicht mehr verstehen, wie sollen dann Fans die Vorgänge und Schwankungen begreifen? Helden bringt eine Szene nur dann hervor, wenn sie konstant gute Leistungen zeigen können. Das ist in der DTM derzeit kaum machbar.
Von Hui auf Pfui in 24 Stunden: Wie zu erklären?
"Das stimmt genau", sagt Scheider. "Früher war es so, dass du mit einem optimalen Paket ganz weit vorne warst. Wenn dann mal nicht ganz alles ganz zu hundert Prozent gepasst hat, dann bist du auf P9 oder P10 gelandet. Heutzutage ist es aber so, dass du von heute auf morgen einfach so komplett hinten landen kannst. Du änderst nichts am Auto, einfach gar nichts - und bist trotzdem weg vorm Fenster. Das sorgt bei mir und anderen für Kopfzerbrechen."
"Wir müssen gar nicht anfangen, den Zuschauern das zu erklären. Wie sollen wir das machen, wenn wir es selbst nicht verstehen?", rätselt der 36-Jährige. Viele Mitglieder des DTM-Zirkus berichten hinter vorgehaltener Hand, dass die Hankook-Reifen entsprechende Schwankungen bringen. "Nächste Frage", lacht Scheider bei der konkreten Nachfrage, ob die Pneus aus Südkorea die Ursache für die Unvorhersehbarkeit seien.
"Wir haben schwarze, runde Reifen - und da gibt es eben doch immer mal einen Unterschied", bezieht Mike Rockenfeller klar Stellung. "Manchmal hast du Grip, manchmal hast du keinen Grip. Das ist schon so. Wir reden hier nicht von großen Abständen. In anderen Serien würde das gar nicht so auffallen. Hier ist es aber ausschlaggebend", sagt der DTM-Champion von 2013, der sich auch in anderen Szenen (unter anderem Le-Mans-Sieg 2010) bestens auskennt.
Sind die Reifen für Schwankungen verantwortlich?
"Auch wir stehen da oft, schauen auf die Zeitenlisten und wundern uns: Da stehen Auer oder Martin vorn, dann wieder ganz hinten. Wie geht das? Edo Mortara war Samstag bester Audi-Fahrer, am Sonntag im Qualifying plötzlich 20. Kein Grip, da ging nichts", berichtet Rockenfeller von der DTM-Realität 2015. Für die Fahrer bringt die aktuelle Ungewissheit nicht nur Freude. "Was wirklich extrem frustrierend ist: Du hast es nicht selbst in der Hand."
"Wenn dir wegen etwas geringerem Grip mal eineinhalb Zehntel fehlen, dann ist das ja nicht viel. So etwas ist immer drin. Das kann auch an der Lagerung der Reifen oder an der Heizmethode liegen. Wie fährst du ihn an? Ist Dreck auf der Strecke oder nicht? Es sind Kleinigkeiten", schildert Rockenfeller, der betont, dass er Hankook keinesfalls einen Schwarzen Peter zuschieben möchte. "Vielleicht hast du auch nur eine Windböe in einer Kurve. Es geht um nichts."
"Ich würde gern in einem Mercedes in der Formel 1 allen auf und davon fahren. Da kannst du easy herumeiern und bist der Größte. Und das sind dann die Helden? Ist es wirklich heldenhaft, wenn das Auto zwei Sekunden schneller ist als alle anderen? Ich sehe da ein Problem", bringt der erfahrene DTM-Pilot aus Neuwied seine Meinung auf den Punkt. Man dürfe angesichts von erheblichen Unterschieden bei den Fahrzeugen in Formel 1 und Co. nicht die gleichen Maßstäbe in der DTM anlegen.
"Die deutsche Öffentlichkeit kennt Schumacher und Vettel. Das sind Seriensieger gewesen. Zurecht Helden, Schumacher war auch mein Idol. Aber die Unterschiede in den Autos im Vergleich zum Rest des Feldes waren teilweise enorm. Und genau das hast du in der DTM nicht", sagt Rockenfeller. "Deswegen hat es hier noch keine Seriensieger gegeben. Es liegt nicht daran, dass die Fahrer es vielleicht nicht können. Im Gegenteil: Es liegt daran, dass es zu eng ist."
Große DTM-Ausgeglichenheit kann zum Fluch werden
"Wenn du hier mal im Qualifying zwei Zehntel liegen lässt - was immer mal drin ist -, dann macht es in der DTM den Unterschied zwischen Platz eins und P15 aus", erklärt der 31-Jährige. "Wenn Nico Rosberg so etwas passiert, ist er immer noch Zweiter. Ist auch schlecht, zumindest für ihn persönlich. Er ist dann vom Teamkollegen geschlagen worden. Hier in der DTM hast du immer sieben Teamkollegen, die das gleiche Auto fahren. Das macht es nicht leichter."
"Du kannst die Formel-1-Fahrer oder die LMP1-Piloten nehmen. Es wird keiner daherkommen und die DTM an der Spitze dominieren können. Das gibt es nicht", ist "Rocky" sicher. "Das muss man mal an der DTM hervorheben. Es gibt keine Serie mit dieser Dichte. Wir haben hier keine Manor-Marussias oder so, sondern nur Topautos. Für uns Fahrer heißt das: Wir können zu jedem Wochenende kommen in der Gewissheit, dass wir eine Chance auf Erfolg haben - wenn die Gewichte nicht wären..."
"Was mir derzeit fehlt: Ich fahre ein richtig gutes Rennen, komme von Platz zwölf bis auf Rang sieben nach vorn - aber mehr geht nicht", sagt der Audi-Pilot. Rockenfeller setzte am Sonntag am Nürburgring auf eine ganz eigene Taktik: lange fahren bis zum ersten Stopp. Gut Idee, aber begrenzte Auswirkungen. Dies sei in der Vergangenheit in der DTM ganz anders gewesen. "Früher konntest du beispielsweise über den Option-Reifen unterschiedliche Strategien fahren. Da war es leichter, du konntest im Rennen wirklich was machen."