Hockenheim in der Analyse: Die Eroberung

, 16.04.2008

Die traditionelle Mercedes-Festung Hockenheim wurde von Audi im Sturm erobert. Weniger stürmisch verlief das Rennen selbst...

Schon vor einem Jahr hatten die Festungsmauern der Hockenheimer Mercedes-Hochburg durch Mattias Ekströms und Martin Tomczyks Doppelsieg empfindlichen Schaden genommen. Am vergangenen Sonntag rissen sie endgültig ein: Mit einem Podest komplett in Audi-Hand endete der Saisonauftakt spektakulärer, als er sich während der 60 Minuten zuvor für die Zuschauer präsentiert hatte...

Stumpfe Waffen am Kommandostand

Mit Spannung waren die Auswirkungen des neuen Boxenstoppfensters im zweiten Renndrittel erwartet worden. Würden die Verfolger das Nachsehen haben, denen nun die Möglichkeit verbaut war, sich mit einem frühen Stopp in Runde sechs freie Fahrt zu verschaffen? Oder würden die Führenden erhöhte Gefahr laufen, mit ihrem ersten Boxenstopp in den Verkehr zu geraten? Die Überlegungen erwiesen sich als überflüssig: Die rennstrategische Komponente der Boxenstopps fiel in Hockenheim fast völlig aus, nachdem das gesamte Feld die Box nahezu gleichzeitig aufsuchte. Ekström und Scheider erlebten nur kurzfristig eine Schrecksekunde, nachdem sie im Anschluss an ihre ersten Stopps auf Bernd Schneider aufliefen - der wiederum wenig später selbst in die Boxengasse abbog...

In Reihen der Spitzengruppe profitierte lediglich Tom Kristensen von den Geschehnissen des mittleren Renndrittels - und schob sich von Platz fünf aus an Bruno Spengler und Paul di Resta vorbei. Letzteren passierte der Däne jedoch nur mit freundlicher Unterstützung schwächelnder Mercedes-Technik. "Bei Paul hatten wir ein Problem beim Boxenstopp, das ihn 30 Sekunden gekostet hat. Er hatte leider Schwierigkeiten mit der Kupplung, die nicht getrennt hat", erläuterte Norbert Haug, "wir hätten ansonsten einen sehr kompakten Zieleinlauf auf den ersten drei Plätzen gesehen."

Verhinderte Gegenwehr?

"Wir haben gesehen, dass wir mit Paul den nötigen Speed gehabt hätten - er ist die schnellste Runde gefahren", führt Haug fort. Er verweist auf die drei Zehntelsekunden Audi-Rückstand in der Tabelle der Schnellsten Rennrunden - und den mutmaßlichen Verlauf des Rennens ohne di Restas missglückten Boxenstopp. So wäre der di Resta mit einem reibungslosen zweiten Boxenbesuch zwar tatsächlich zunächst auf Rang drei vor Kristensen und Spengler gelandet. Doch auch der Mercedes-Sportchef muss gestehen: "Auf die beiden Audis an der Spitze aufzuschließen wäre möglich gewesen - zu überholen wahrscheinlich nicht."

Und das, obwohl auch die aktuelle C-Klasse die besseren Anlagen zum Überholen mitbringt als der 2008er-Audi. Wie seine Vorgänger ist der neueste DTM-Mercedes seinem Ingolstädter Gegenstück auf den Geraden überlegen - und könnte sich somit zumindest theoretisch günstige Ausgangspositionen zum Passieren der Gegner verschaffen. Doch di Restas schnellster Runde zum Trotz zeigte sich der neue A4 DTM beim Stuttgarter Heimspiel überraschend überlegen. Die wie gewohnt eher abtriebsorientierte Auslegung des Audi zahlt sich erstmals seit 2004 so gut aus, dass sie auch auf vergleichsweise schnellen Kursen wie Hockenheim nicht zum Nachteil wird. Eine Beobachtung, die Mercedes mit Blick auf die ohnehin als "Audi-Strecke" bekannte Motorsport Arena Oschersleben Kopfschmerzen bereiten dürfte...

Stumpfe Waffen auf dem Asphalt

Die Fahrzeugcharakteristiken sorgten für eine Verschärfung des Überholproblems, das in der spektakulären 2007er-Saison fast schon überwunden schien. Während Mercedes bedingt durch die unterlegene Gesamtperformance meist erst gar nicht in Schlagdistanz zu Audi kam, mühten sich auch die Herren der Ringe im Zweikampf vergeblich. In den Anbremszonen und den Kurven gewonnene Meter gingen auf den Geraden immer wieder verloren. "Ich hatte vier Mal die Möglichkeit zu überholen, einmal war ich in der Spitzkehre direkt neben ihm, aber am Ende hat es nicht funktioniert", berichtet Martin Tomczyk vom vergeblichen Kampf gegen Bruno Spengler um Rang vier.

Ähnlich erging es Markus Winkelhock im markeninternen Duell mit Alexandre Prémat. Nach einer Berührung mit den Franzosen kam es zwar nicht zum Debüt der neuen, milderen "Boxengassenstrafe", die nach dem Absitzen der Strafe einen direkt folgenden Pflichtstopp erlaubt. Doch auch die folgenlose Verwarnung durch die Rennleitung konnte Winkelhock nicht ganz nachvollziehen: "Ich bin der Meinung, dass im Tourenwagensport Kontakt dazu gehört. So wie es zwischen Alex und mir passiert ist, war das weit entfernt davon, unfair zu sein. Insofern war die Verwarnung vielleicht ein bisschen übertrieben."

Die DTM erobert?

Hinter dem Kampfduo aus Prémat und Winkelhock lauerte neben di Resta auch Ralf Schumacher - der als prominentester Debütant auf Anhieb so viel Aufmerksamkeit wie Mika Häkkinen in seinen besten Zeiten. "Er hat sich hier als ein sympathischer Fahrer gezeigt - er ist vor fünf Jahren noch gegen McLaren-Mercedes und Ferrari um die WM gefahren. Er muss sich mühen, 14. zu werden, nicht deswegen, weil er so schlecht wäre, sondern die anderen so gut sind", brach Norbert Haug eine Lanze für Schumacher, dessen Performance sich während des Rennens kontinuierlich gesteigert hatte. Dass Schumacher mit einer Berührung in der Spitzkehre am späteren Aus für Christijan Albers nicht ganz unschuldig war, geriet da beinahe in Vergessenheit.

Auch Albers' Teamkollegin Katherine Legge im zweiten 2006er-Audi erlebte kein leichtes Rennen. Anders als ihrerzeit Vanina Ickx blieb ihr immerhin die Überrundung durch die Spitzengruppe erspart. Und während Maro Engel zum Debüt mit dem Setup seiner Vorjahres-C-Klasse kämpfte, wusste Oliver Jarvis nach seinem Blitzstart im Phoenix-Audi überwiegend Positives über seinen Einstand zu berichten: "Ich musste auf Platz sechs versuchen, die anderen Autos hinter mir zu halten, aber sie waren einfach schneller. Dennoch war meine Pace sehr gut. Leider habe ich gegen Bernd Schneider nach dem Boxenstopp einen Platz verloren, als uns Ralf Schumacher passiert hat. Schade, dass es nicht zu Punkten gereicht hat, denn das war das Ziel."

Eroberte Mercedes-Hochburg

Am Ende ging Mercedes dank Platz sieben von Gary Paffett nur aus dem Kampf der Jahreswagen als Sieger hervor. In Reihen der Neuwagen gaben sich bei Audi auch die Piloten keine Blöße: Während sich Jamie Green durch eine frühe Berührung gehandicapt sah und Bernd Schneider nach einem mäßigen neunten Startplatz im Verkehr die Hände gebunden waren, bewegte das Abt-Audi-Trio seine Boliden auf einem ähnlich hohen Niveau. Mattias Ekström und Timo Scheider verwalteten souverän ihre Führung - Martin Tomczyk und Tom Kristensen traten die Flucht nach vorne an. Für den Dänen ging nach seinem schweren Hockenheim-Unfall vor einem Jahr eine lange Durststrecke ohne Podestplätze zu Ende: "Als ich aus der Box kam, kämpfte ich eine halbe Runde mit Bruno Spengler, bevor ich mich absetzen konnte. Ein tolles Gefühl!"

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