Tabubruch und Selbstmord: Träumen von der "Grünen Hölle"

, 27.08.2013

Manuel Reuter will ein Nordschleifen-Comeback: Technisch möglich? Zu gefährlich? Überhaupt wünschenswert? 'Motorsport-Total.com' hat sich umgehört

Es sorgt auf den Tribünen immer wieder für leuchtende Augen, wenn in den Rennpausen die Bilder von über die Nordschleife des Nürburgrings fliegenden DTM-Autos gezeigt werden. Mit Piloten wie Klaus Ludwig, Roberto Ravaglia oder Hans-Joachim Stuck am Steuer ging es in irrem Tempo mit vier Reifen in die Luft, über die Randsteine der Traditionsbahn und darüber hinaus. Vor prall gefüllten Rängen war das Spektakel von 1988 bis 1993 das Saisonhighlight der DTM. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Aber müssen sie auch für immer und ewig Archivmaterial bleiben? Manuel Reuter ist der Meinung, dass dem nicht so sein sollte: "Sie ist die schwierigste Rennstrecke der Welt. Die DTM ist das Maß der Dinge im Tourenwagen-Sport - diese zwei Sachen gehören einfach zusammen", sagt der TV-Experte und Ex-Champion im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Reuter erkennt im Verkauf der Strecke eine Gelegenheit, dem Projekt neues Leben einzuhauchen: "Bei einer Neustrukturierung durch einen Investor kann man sich Gedanken machen, die DTM zurück auf die Nordschleife zu bringen."

Einmal Augen zu, zurücklehnen, träumen: Zwischen Döttinger Höhe, Schwedenkreuz und Pflanzgarten donnern Bruno Spengler, Mike Rockenfeller und Gary Paffett in ihren High-Tech-Boliden durch die 'Grüne Hölle'. Dirk Adorf lässt dieser Vorstellung das Wasser im Munde zusammenlaufen: "Mein Motorsportler-Herz schlägt höher. Ich würde mich riesig freuen", meint das Nordschleifen-Ass aus BMW-Reihen. Auch Pierre Kaffer ist entzückt: "Die DTM auf der Nordschleife wäre ein Hammer. Die Fans würden ein riesiges Spektakel erleben", so der Ur-Eifelaner aus Bad Neuenahr, der einst selbst für Audi in der Tourenwagen-Serie aktiv war.

Nächster großer Unfall "eine Frage der Zeit"

Adorf hält das Comeback für nicht so unrealistisch, wie es auf den ersten Blick anmutet: "Ich glaube, dass es mit den aktuellen Autos geht", vermutet er und stimmt mit überein Kaffer: "Grundsätzlich denke ich, dass man sogar die aktuellen Fahrzeuge für eine Fahrt auf der Nordschleife entsprechend einstellen könnte. Rein technisch dürfte das gar kein Problem sein." Dieter Gass ist anderer Meinung: "Die Strecke ist für unsere Autos nur bedingt geeignet", erklärt der Audi-Rennleiter mit Stirnrunzeln. Hauptproblem dürfte die mangelnde Bodenfreiheit sein.

Die allerdings ließe sich relativ simpel anpassen. Eine Pilotin ist auch schon gefunden: "Ich würde direkt reinspringen und lossausen", sagt Sabine Schmitz auf Nachfrage von 'Motorsport-Total.com' und fragt sich: "Was soll groß anders sein als im GT-Sport?" Doch genau das ist die größte Hürde, findet Reuter: "So, wie es im Moment ist, ist die Sicherheit nicht gewährleistet und es ist zu gefährlich. Ich würde dort nicht mehr volles Rohr mit einem GT3-Auto fahren." Mittlerweile verfügen die Sportwagen über so viel Abtrieb, dass ihre Acht-Minuten-Schallmauer ins Wanken gerät.

Uwe Alzen war nahe dran. In einem BMW Z4 GT3 gelang dem Urgestein im Rahmen eines VLN-Qualifyings ein Umlauf in 8:02,418 Minuten bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 181,769 km/h. Hans Werner Aufrecht, Chef des DTM-Dachverbandes ITR, glaubt an Rundenzeiten von sieben Minuten und ein paar Sekunden. Solche Werte lassen bei Reuter ernsthafte Bedenken aufkommen - nicht nur, wenn es um die DTM geht. "Obwohl seit Jahren diskutiert wird, werden die Wagen immer schneller und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder etwas passiert", befürchtet der 51-Jährige.

"Sich die Rübe abfahren kann man überall

Der Schluss des früheren Champions: "Vor diesem Hintergrund könnte man sich überlegen, was an der Strecke zu ändern ist." Alarmglocken an! Für Traditionalisten und eingefleischte Nordschleifen-Fans dürfte diese Aussage so etwas wie das roteste Tuch der Motorsport-Welt sein. Auch Adorf bereitet die Vorstellung Unbehagen, wie er 'Motorsport-Total.com' schildert: "Es wäre schade, wenn für irgendein Rennen die Nordschleife umgebaut werden müsste. Sie sollte unangetastet bleiben. Wenn in Macao und Co. gefahren wird, geht es dort auch." Reifenstapel-Schikanen auf der Döttinger Höhe? Einfach befremdlich.

Reuter fühlt sich an Diskussionen um das Einbremsen auf einer anderen der ganz großen Traditionsstrecken des Planeten erinnert: "Ich bin noch Le Mans ohne Schikanen gefahren, in der Qualifikation mit über 400 km/h", meint er mit Blick auf eine Hunaudiere-Gerade ohne künstliche Bremse, wie es sie heute Streckenverlauf gibt: "Damals gab es die Traditionalisten, die gesagt haben: 'Le Mans wird nicht mehr Le Mans sein. Ihr zerstört den Mythos.' Wenn man zurückschaut: Es hat sich nichts geändert. Es ist der Lauf der Zeit." Die Technik bestimme, wie Kurse aussehen.

Während BMW-Motorsportchef Jens Marquardt schon mit Blick auf den GT3-Sport "das Maximum, was wir dort haben sollten" erreicht sieht, sind für Schmitz Umbauten an der Strecke sowieso ein No-Go. "Das bringt doch nichts", schüttelt die zweimalige Gesamtsiegerin des 24-Stunden-Rennens den Kopf. "Da muss man eben am Auto basteln. Es sind Formelfahrzeuge mit Kohlefaser drumherum. Aber das Cockpit dürfte ja stabil sein und sich die Rübe abfahren - das kann man überall. Dafür muss man nicht unbedingt auf die Nordschleife."

Überholen unmöglich?

Hinzu kommt noch ein ganz anderes Philosophieproblem. Die Nordschleife steht seit Jahrzehnten für Bodenständigkeit. Für Camping. Für Leidenschaft. Nicht für VIPs. Nicht für Marketing. Nicht für das DTM-Zauberwort Premium. Wie passt da eine Serie rein, die sich genau dieses Image ihrer Teilnehmer auf die Fahnen geschrieben hat? Marquardt jedenfalls sieht die DTM nicht unbedingt auf dem Weg nach Hause: "Moskau, China, Hockenheim oder Spielberg - so etwas passt gut." Es gibt auch Zweifel daran, ob ein Rennen in der "Grünen Hölle" wirklich das Megaevent wäre, das sich mancher verspricht.

"Wenn das Auto nur siebenmal vorbeikommt, dann ist es vielleicht doch ein bisschen wenig", befürchtet Gass. Denkt der Audi-Verantwortliche dann noch an zwei Pflichtboxenstopps, merkt er schmunzelnd an: "Könnte ein etwas zerrissenes Rennen werden." Auch ist zu befürchten, dass aus dem Spektakel eine Prozession wird. Überholen scheint schon beim 24-Stunden-Rennen oder den VLN-Läufen wegen der hohen Geschwindigkeiten fast nur noch auf dem Grand-Prix-Kurs möglich, wenn man nicht Maxime Martin heißt. Mit Blick auf die DTM winkt Adorf ab: "Da geht gar nichts mehr."

Sportliches Reglment geht vor

Über allen Überlegungen schwebt das Damokles-Schwert des laufenden Streckenverkaufs. Reuter sieht den Schlüssel in der Eigentümerfrage. "Die Frage ist, wer für den Nürburgring in Zukunft verantwortlich ist. Hat derjenige die nötigen Mittel zur Verfügung, sehe ich es als realistisch an. Ein Bruchteil dessen, was dort investiert worden ist, hätte gereicht, um die Nordschleife für DTM-Autos brauchbar zu machen", erinnert er an die Millionengräber Ring-Boulevard und Achterbahn, die die Strecke überhaupt erst in die derzeitige Schieflage gebracht haben und längst zum Politikum geworden sind.

Apropos Schieflage: Die würde auch die DTM lieber schleunigst korrigieren, ehe sie sich in ein Eifel-Abenteuer stürzt: "Wir haben genügend andere Probleme, die wir abarbeiten müssen. Da wollen wir uns keine neuen schaffen", beendet Aufrecht gegenüber der 'Motorsport aktuell' die Diskussion und lässt die Tagträumer unsanft aufwachen. Das Sportliche Reglement, bei dem einiges im Argen liegt, hat Vorrang. Auch Vordenker Reuter weiß, dass es nicht das erste Ziel sein darf, die Serie um jeden Preis auf die Nordschleife zu bringen: "Es ist eine Vision. Erst muss man schauen, dass der Sport wieder mehr zur Geltung kommt."

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