Tohuwabohu trifft Jugendstil: DTM zieht Zwischenbilanz

, 30.07.2013

ITR-Boss Hans-Werner Aufrecht und die Motorsport-Chefs sehen neue Spannung dank DRS und verkürztem Zeitplan - Zuschauerzahlen trotzdem gesunken

Die DTM hat Kritiker en masse. Mangelnde Risikobereitschaft lässt sich den Verantwortlichen des Dachverbandes ITR und der Hersteller allerdings nicht vorwerfen. Vor der Saison 2013 hat die Serie trotz des gelungenen Einstandes in die Ära BMW nochmals Neuerungen präsentiert. Nach einem halben Jahr sind sich die Verantwortlichen einig, dass es sich gelohnt hat. "Wir wollen spannenden und abwechslungsreichen Motorsport bieten. Das Ziel haben wir erreicht", zieht Dieter Gass Bilanz.

Hans-Aufrecht hatte befürchtet, dass ausgerechnet der eigene Erfolg zum Bumerang werden könnte, schließlich sind mit der Qualität der Unterhaltung auch die Erwartungen des Publikums gestiegen. "2012 war ein Sensationsjahr", blickt der ITR-Boss zurück und erinnert sich: "Deswegen hatten wir vor 2013 schon ein bisschen Bammel. Können wir das toppen? Können wir diese Faszination wahren?" Aufrecht meint, die Aufgabe gemeistert zu haben: "Ich denke, unsere Zuschauer sind mehr als zufrieden. Ich deshalb auch."

In den Zuschauerzahlen findet das erst auf den zweiten Blick Wiederhall. Bewegt sich der Schnitt derzeit bei 68.600 zahlenden Gästen pro Rennwochenende, waren es im Vorjahr noch 77.350. "Der Einstieg von BMW hat uns einen Publikumsboom gebracht", analysiert Aufrecht und erklärt sich die hohe Zahl von 2012 mit dem Reiz des Neuen. Allerdings liegen die aktuellen Werte noch immer weit über denen von 2010 (62.318 Zuschauer) und 2011 (63.050 Zuschauer). "So ist der Trend insgesamt gesehen steigend, das Konzept funktioniert", unterstreicht der 74-Jährige.

Keine künstlichen Überholmanöver

Gemeint sind damit auch die technischen Neuerungen. Der umklappbare Heckflügel (DRS) und die Option-Reifen als Überholhilfen hatten bei einem teilweise chaotischen Auftakt in Hockenheim und dem kontroversen Rennen auf dem Norsiring aber auch kritische Stimmen hervorgerufen. "Es war für den Zuschauer anfangs etwas gewöhnungsbedürftig", räumt Audi-Rennleiter Gass ein und sieht noch Spielraum für Verbesserungen: "Wir sind auch da auf einem guten Weg, dass der Zuschauer schwierig zu lesende Rennen versteht", verspricht er und denkt dabei etwa an die neuen TV-Grafiken.

Die Zahlen drücken aus, dass eine Menge los war während der Wertungsläufe 2013. Zwischen 239 und 350 Positionsveränderungen zählten die Statistiker. "Es ist Überholen und nicht einfach Vorbeifahren", freut sich BMW-Motorsportchef Jens Marquardt über tolle Zweikämpfe. Der Audi-Rennleiter hat nicht nur deshalb Gefallen gefunden am DRS: "In der Formel 1 wird Überholen dadurch teilweise zu einfach gemacht. In der DTM haben wir keine künstlichen Manöver gesehen. Kein einziges Mal", betont Gass, dass Positionswechsel nur dann möglich waren, wenn das hintere Auto wirklich schneller unterwegs war als das vorausfahrende.

Dennoch sieht er den Klappflügel nicht ausschließlich verantwortlich für die neue Würze: "Auf den meisten Strecken war es eine genaue Punktlandung. Auf Kursen wie Brands Hatch wird das alleine nicht der Schlüssel, aber da haben wir uns mit den Option-Reifen beholfen." Eine weitere Zutat war die bei den Fans unbeliebte, aber nach DTM-Angaben stark kostensenkende Maßnahme, nur noch am Samstag sowie am Sonntag auf die Strecke zu gehen und die Vorbereitung auf ein 90-minütiges Freies Training zu begrenzen.

Jugend forscht - mit Erfolg

Dadurch kann auch ein gut aufgestelltes Team schnell Opfer eines schlechten Setups werden, was Unwegbarkeiten statt mathematischer Präzision und Vorhersagbarkeit bedeutet. Das wiederum provoziert Geschwindigkeitsunterschiede und viel Action auf der Piste: "Durch das neue Format: Wenn du da nicht aussortierst bist, dann kann es schwierig werden", bemerkt Marquardt, der davon ein Lausitzring-Lied singen kann: "Es gibt keine Freitagnacht mehr, es gibt kein Warmup mehr. Wenn du einen Schritt neben dran stehst, dann wird es eng."

Was den Wagemut angeht, hat allen voran ein Hersteller mitgezogen: Mercedes. Nicht nur die Reduktion des Engagements auf sechs Autos mehrheitlich unter dem Werksdach von AMG war ein einschneidender Schritt: "Wir haben mit fünf Junioren etwas riskiert, was wir am Jahresanfang noch nicht abschätzen konnten", erinnert Projektleiter Wolfgang Schattling an das Vertrauen, was in Youngster wie den frisch gebackenen Rennsieger Robert Wickens gesetzt wurde. "Jetzt haben wir bewiesen, dass man mit wenig Erfahrung, aber viel Talent in der DTM für Furore sorgen kann."

Die Bilanz fällt also nicht nur in München positiv aus: "Fünf Rennen, fünf Sieger, eine enge Meisterschaft. Mehr kann man sich nicht wünschen", findet Marquardt und glaubt nicht, dass sich an der ständig wechselnden Hackordnung so rasch etwas ändert. Der Mann weiß, wovon er spricht: "Eine Dominanz wird es in der DTM nicht geben. Da reichen zwei Rennen und alles sieht anders aus." Auch Aufrecht blickt zuversichtlich in die Zukunft und hofft auf spannenden Rennsport: "Es ist davon auszugehen, dass es so weitergeht."

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