Solide Schadensbegrenzung im Grand Prix von Österreich 2017 und die Erfahrung aus zahlreichen WM-Schlachten: So schnell gibt Lewis Hamilton nicht auf
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Mit dem vierten Platz im Grand Prix von Österreich 2017 hat Lewis Hamilton am gestrigen Sonntag in Spielberg erfolgreich Schadenbegrenzung betrieben. Der Mercedes-Superstar hatte nach einem Wechsel des Getriebes nur vom achten Rang starten dürfen. Seine Aufholjagd endete am Heck des Red Bull von Daniel Ricciardo (3.), WM-Rivale Sebastian Vettel fuhr im Ferrari unterdessen auf Rang zwei. Der Abstand in der Gesamtwertung wuchs auf 20 Zähler an.
"20 Punkte Rückstand - das klingt nicht toll. Aber es könnten 30 oder 40 Zähler sein. Ich denke, wir haben erfolgreich Schadensbegrenzung betrieben. Ich habe maximal mögliche Punkte geholt", meint der Brite, der allerdings nach dem Rennen in der Steiermark alles andere als zufrieden aussah. "Mal ganz ehrlich, und ich glaube, jeder Fahrer denkt so: Wenn man Zweiter, Fünfter oder was auch immer wird, dann ist man angepisst", gibt Hamilton schonungslos zu Protokoll.
Man ordne sein gesamtes Leben dem Wettbewerb in der Formel 1 unter, man trainiere und gebe in den Rennen immer alles - da müsse die Öffentlichkeit Verständnis dafür aufbringen, dass eine "erfolgreiche Schadensbegrenzung" kein Grund für überschwängliche Freude sei. Hamilton hatte sich nicht selbst in diese knifflige Lage gebracht. In Baku verlor er einen nahezu sicheren Sieg, weil sich der Kopfschutz löste, in Spielberg warf ihn eine Getriebestrafe zurück. Man dürfe leichten Frust nicht als Anzeichen einer Aufgabe im WM-Kampf werten.
Wenn das Team es verbockt, ist es nicht so schlimm?
"Wenn man so konkurrenzfähig ist wie wir es in Spielberg waren, dann fühlt sich das einfach übel an, wenn man einen solchen Tag erlebt", weiß Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. "In Baku verliert er den Sieg wegen einer Kleinigkeit, dann kommt die Getriebestrafe und noch im Training ein Bremsdefekt hinzu. Waren nicht unsere besten Tage. Aber: Er fühlt sich nicht so schlecht wie an Tagen, an denen er es vielleicht selbst verbockt hat."
Hamilton kennt die Rolle des Jägers im WM-Kampf bestens. 2014 lag er nach neun Saisonrennen vier Zähler hinter Nico Rosberg, nach zwölf Rennen war er gar 29 Zähler zurück. Den Titel bejubelte der Brite am Ende dennoch. "Ich habe keine allwissende Kristallkugel. Natürlich sind 20 Punkte Rückstand nicht toll, aber es kann sich theoretisch innerhalb von nur einem einzigen Rennen alles umdrehen", sagt er. "Je größer der Abstand wird, desto höher wird aber auch der Druck. Wenn dann noch eine Nullrunde folgt ..."
Genau dieses Signal haben die Verantwortlichen bei Mercedes verstanden. Hamilton will es selbst in der Hand haben und nicht unter Fehlern des Teams leiden. Offene Kritik gibt es nicht, aber zumindest einen Wink mit dem Zaunpfahl. "Es ist nicht so, dass das Team nicht auf meiner Seite ist, dass nicht alle unendlich Gas geben oder ich selbst nicht alles versuche. Ich kann doch nur das tun, was ich in Spielberg getan habe: Alles geben im Rennen."
Niki Lauda nimmt das Team in die Pflicht
Die vorsichtige Aufforderung an das Team der Silberpfeile, jetzt endlich für einen technisch reibungslosen Ablauf zu sorgen, kommt an. "Ich muss mich jetzt mal mit Toto zusammensetzen. Wir müssen uns fragen: Was machen wir jetzt? Denn 20 Punkte Vorsprung ist schon ein Haufen. 25 wären schon ein voller Rennsieg. Mercedes muss jetzt ohne Ende nachlegen, um zu versuchen, das wieder aufzuholen", sagt Aufsichtsrat Niki Lauda. "Silverstone muss ein Heimsieg werden" lautet der Schlachtruf des Österreichers.
"Schlimmer kann es für Lewis nicht werden. Hoffentlich hört das Pech endlich auf", meint Toto Wolff. "Wir haben gesprochen. Ich habe gesagt, dass wir in Spielberg zwölf Punkte gewonnen haben. Wir haben nichts verloren. Wenn er es gegen Ricciardo ultimativ versucht hätte, dann wäre vielleicht ein Nuller dabei herausgekommen, weil sie kollidiert wären." Der Red-Bull-Pilot, bis vor wenigen Wochen eine Randerscheinung im WM-Kampf, ist ein ernster Konkurrent geworden.
Ricciardo mag in der Gesamtwertung auf Rang vier derzeit 44 Zähler weniger als Hamilton auf dem Konto haben, aber der Trend spricht für den Australier. Seit dem Europaauftakt in Barcelona haben Vettel und Ricciardo jeweils 85 Punkte geholt, Lewis Hamilton (78) und Valtteri Bottas (73) weniger. "Ich habe jetzt ein paar Tage, um runterzukommen, und dann freue ich mich auf meine Heimfans in Silverstone. Hoffentlich können wir dort ein problemloses Wochenende haben", so die Ansage des erschöpft wirkenden Hamilton.