Renault-Rennleiter Cyril Abiteboul über die Entwicklung des französischen Formel-1-Antriebs 2017: Performance überraschend, Standfestigkeit enttäuschend
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Nach 16 von 20 Grands Prix der Formel-1-Saison 2017 zieht man im Hause Renault eine erste Jahresbilanz. Dabei stehen sowohl die sichtbaren Fortschritte der Werksmannschaft um Nico Hülkenberg als auch die Entwicklungen im Bereich Antrieb im Vordergrund. Das Team aus Enstone ist generell auf einem guten Weg, meint Rennleiter Cyril Abiteboul, aber bei der Betrachtung des R.E.17-Hybridaggregates fällt ein erheblicher Mangel auf.
"Die Zuverlässigkeit war das, was ins in dieser Saison die größte Enttäuschung und Frustration gebracht hat", meint Abiteboul im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. Die Gründe hat man angeblich im Lager der Franzosen erkannt. Die Aufrüstung im Bereich Personal bringt seine Tücken mit sich. "Wir haben das alles immer ganz genau im Blick. So kann ich nun zwei Baustellen als die wichtigsten herausgreifen: Die erste ist die Tatsache, dass viele neue Leute mit wenig Erfahrung bei uns arbeiten."
"Wenn viele junge Menschen an einem Projekt neu zusammenarbeiten, dann leidet die Standfestigkeit immer. Das liegt an mangelnder Erfahrung - nicht nur eines jeden Einzelnen, sondern auch der Gruppe im Zusammenspiel", erklärt Abiteboul. Vor diesem Hintergrund könne man guter Dinge sein, dass sich die Situation im kommenden Jahr zum Positiven ändern werde. "Dann haben alle ein Jahr mehr Erfahrung. Das wird hoffentlich entsprechende Auswirkungen haben."
Entwicklungszyklen wurden angepasst
"Der zweite - und viel wichtigere - Punkt ist, dass wir unsere Philosophie etwas angepasst haben. Dies betrifft sowohl die Chassis- als auch die Antriebsseite", sagt der Einsatzleiter der Franzosen. Um für den Beginn der Wintertests 2018 bereits ein gut aussortiertes Fahrzeug zu haben, wurden Entwicklungszyklen nach vorn verschoben. Dies behindert die Arbeit am aktuellen Auto und Antrieb etwas. Die Ressourcen sind begrenzt, die parallele Arbeit ist mehr geworden.
"Wir wollen sicherstellen, dass wir sofort zum Auftakt der Tests viele Kilometer abspulen können. Das wird sich dann hoffentlich positiv auf die Saison auswirken", meint Abiteboul. Diese veränderte Herangehensweise baut erheblichen Druck auf. Vor allem Antriebschef Remi Taffin mache den Mitarbeitern "ordentlich Feuer unter dem Hintern". Es gilt, gewisse Entwicklungsziele früher zu erreichen als in den Vorjahren. Dies sei ein nachvollziehbarer Grund für Standfestigkeitssorgen.
"Es ist eigentlich witzig", meint Abiteboul", denn wir haben auf der einen Seite Bauteile am Antriebsstrang, die tausende - vielleicht sogar zehntausende - Kilometer halten. Das sind zum Beispiel Energiespeicher und MGU-K. Dann haben wir auf der anderen Seite aber Baugruppen, die uns wirklich Kopfzerbrechen bereiten. Das sind Teile, die unsere Zuverlässigkeit in diesem Jahr so schlecht gemacht haben. Potenziell kann uns das auch im kommenden Jahr weiterhin Sorgen bereiten. Man weiß es aber noch nicht genau."
Bei Renault in Enstone (Chassis) und Viry-Chatillon (Antrieb) wurde ein umfassendes Programm zur Verbesserung von Qualität und Standfestigkeit gestartet. "Da sind wir derzeit sogar unserem Plan um Monate voraus", verrät Abiteboul. "Hoffentlich wird das im kommenden Jahr entsprechende Auswirkungen haben." Eine Steigerung der Standfestigkeit ist enorm wichtig, weil ab der Formel-1-Saison 2018 nur noch drei Aggregate pro Fahrzeug zum Einsatz kommen dürfen.
Muss Renault im Qualifying mehr Risiko gehen?
"Natürlich wirkt sich das auf die Anforderungen bezüglich Zuverlässigkeit aus", sagt der Renault-Formel-1-Boss, "aber nicht nur: Es sorgt auch für Veränderungen bei den Entwicklungsplänen. In der Theorie bringt man pro Jahr nur noch drei Motoren. Das bedeutet, dass man auch nur noch drei Chancen für die Implementierung von Updates hat. Und eigentlich muss man schon drei Motoren mit nach Australien nehmen. 2018 bereitet uns Kopfschmerzen, nicht nur in Sachen Standfestigkeit, sondern auch bei der weiteren Entwicklung der Performance."
Die Leistung des Renault-Antriebs, die nach Aussagen aus dem Renault-Lager nur noch geringfügig von jener der Mercedes-Aggregate entfernt ist, soll weiter gesteigert werden. Vor allem die Performance im Qualifying hat man dabei im Blick. "Wir haben auch jetzt schon einen Modus für das Qualifying, aber der ist auch auf Standfestigkeit getrimmt. Es geht dabei um das Management des Energiespeichers und um Laden und Entladen", beschreibt Abiteboul.
Mercedes habe ein ähnliches System, kitzele aber in den Zeitenjagden zusätzlich auch mehr Leistung aus dem 1,6-Liter-V6-Verbrenner. "Damit fangen wir jetzt gerade erst an", erklärt der Renault-Verantwortliche. "Das sind eigentlich schlechte Nachrichten, denn es wird allen klar, dass wir in diesem Bereich hinterherhinken. Auf der anderen Seite ist es gut, dass wir bisher zusätzliche Leistung herausholen, ohne dabei die Standfestigkeit aufs Spiel zu setzen. Wir wollen das im kommenden Jahr so beibehalten: Leistungszuwachs ohne zu viele Risiken."
"Eigentlich ist das etwas, das für unsere Motorenleute gar nicht geht. Für sie steht immer fest, dass zusätzliche Leistung auch geringere Laufleistung bedeutet. Aber so arbeitet Renault immer schon. Vielleicht ist das sogar ein kleiner Makel", meint Abiteboul. "Wir waren immer auf der konservativen Seite, wenn es um Leistungssteigerungen ging - vielleicht ein Handicap. Wir sollten versuchen, uns etwas von dieser Philosophie zu verabschieden. Das erfordert ein Umdenken, das mit neuen Leuten vielleicht ganz automatisch einsetzen wird."