Die Formel 1 ist sich weitestgehend einig, dass Sebastian Vettel potenziell zu den Großen seiner Zunft zählt - Aber reicht es auch zum besten Rennfahrer aller Zeiten?
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Sebastian Vettel sichert sich durch den Gewinn seiner vierten Weltmeisterschaft beim Großen Preis von Indien ein weiteres Kapitel in den Geschichtsbüchern der Formel 1. Außerdem betritt er, zumindest was die Zahlen anbelangt, den illustren Kreis der Allerbesten seines Sports. Einige Größen wie Ayrton Senna oder Niki Lauda hat Vettel am Sonntag hinter sich gelassen, mit Alain Prost ist er gleichgezogen, und nur noch Juan Manuel Fangio (fünf Titel) und Michael Schumacher (sieben) liegen in dieser wohl bedeutendsten Statistik vor dem Deutschen.
Ob Vettel tatsächlich das Zeug dazu hat, einer der besten - oder vielleicht sogar der beste - Formel-1-Fahrer aller Zeiten zu werden, darüber scheiden sich auch weiterhin die Geister. "Ich glaube, da hat jeder seine eigene Meinung, die es zu respektieren gilt", meint sein Hauptrivale der vergangenen Jahre Fernando Alonso: "Ich denke, die Meinungen gehen von Land zu Land auseinander. Viele Leute sehen Ayrton als den besten Fahrer der Geschichte an. Im Vergleich zu anderen Fahrern, die mehr Titel gewonnen haben, hat er nur drei."
"Andere Leute denken, dass Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) aufgrund der Zahlen - 91 Siege und sieben Titel - der Beste aller Zeiten ist. Ich glaube, da wird es immer unterschiedliche Meinungen geben. Das ist auch eine gute Seite dieses Sports", so der Ferrari-Pilot. Ob Vettel das Zeug zum Allerbesten hat, weiß er nicht: "Was Sebastian betrifft, so ist es unmöglich, das vorherzusagen. Persönlich kenne ich ihn nicht gut genug, um das bewerten zu können. Ich kann nur seine Leistung auf der Strecke einschätzen, und die spricht für sich. Er ist ein fantastischer Fahrer, und ich kann ihm nur gratulieren."
Hingabe könnte irgendwann nachlassen
Eddie Jordan, der 1991 Rekordhalter Schumacher in die Formel 1 holte und somit das rohe Potenzial einer Formel-1-Legende miterlebt hat, will ebenfalls noch keine Prognose abgeben, wenngleich die Karriere Vettels bisher auch wie geschmiert läuft: "Er ist damals in Monza schon mit einem wahren Geniestreich in die Formel 1 gestartet - und zwar nicht in einem Red Bull, sondern beim kleinen schwächelnden Schwesterteam. Da hat er die Pole-Position geholt, die schon vollkommen unerwartet war, und dann hat er auch noch gewonnen. Seitdem hat er dominiert - nun vier Jahre in Folge", erinnert der Ire gegenüber 'talkSPORT'.
Wie viele Weltmeisterschaften Vettel noch holen wird, und ob er eines Tages alle Rekorde brechen kann, sei laut Jordan noch nicht abzusehen: "Er ist gerade einmal 26 Jahre alt. Wahrscheinlich kann er noch zehn Jahre fahren. Eigentlich ist es aber wie in jedem anderen Sport: Du verlierst nach und nach vielleicht ein bisschen deiner Hingabe oder deiner Entschlossenheit, so etwas kann abnehmen. Wir müssen also sehen, inwiefern ihn das beeinflussen wird. Er spricht ja bereits davon, älter zu werden, und dass er alles mittlerweile etwas leichter nimmt."
Was für eine enorme Klasse Vettel aber bereits jetzt hat, zeige das einseitige interne Teamduell bei Red Bull. Somit liege der Erfolg also nicht ausschließlich am überlegenen Auto des Heppenheimers: "Man muss auch sehen, dass Vettel sich selbst in diese Position gebracht hat, denn Mark Webber hat nunmal dasselbe Auto. Wir wissen, wie gut Mark Webber ist. Er ist in einer Klasse von Fahrern, die Grands Prix gewinnen können, aber er sieht keinen Stich in diesem Jahr! Er hat nicht ein einziges Rennen mit demselben Auto gewonnen."
Bei Red Bull schon eine Legende
Im eigenen Lager hat Vettel bereits jetzt den Status einer Formel-1-Legende: "Für mich steht er nun auf einer Stufe mit Juan Manuel Fangio, Jim Clark, Jackie Stewart, Ayrton Senna, Alain Prost und Michael Schumacher", erklärt Teamchef Christian Horner gegenüber 'Sport Bild'. "Und neben all diesen Jungs - den Besten aller Zeiten - ist Seb in einer sehr komfortablen Lage. Selbst wenn er Ende des Jahres aufhören würde, hätte er eine außergewöhnliche Karriere hingelegt."
Ob Vettel die Rekorde von Schumacher brechen kann, weiß aber auch der Brite nicht und stimmt Alonso in diesem Punkt zu: "Das lässt sich unmöglich vorhersagen. Zum jetzigen Zeitpunkt seiner Karriere ist seine Siegquote schon absolut unglaublich, aber in diesem Sport hängt der Erfolg von so vielen Faktoren ab. Rein vom Talent her gibt es keinen Grund, warum er den absoluten Rekord nicht erreichen sollte", so Horner.
Für seinen Chefdesigner Adrian Newey ist Vettel nicht mehr weit von der Perfektion entfernt: "2009 und 2010 konnte man ihn noch für noch für ein paar nicht so geschickte Aktionen und die daraus folgenden Unfälle kritisieren. Möglicherweise konnte man ihn damals auch noch dafür kritisieren, dass er nicht in der Lage gewesen sei, andere zu überholen - weil manche glaubten, er sei nicht so gut, wenn er nicht von der Pole-Position startet und das Rennen kontrollieren kann. Aber ich denke, diese Kritik ist heute absolut nicht mehr tragbar. Es ist schwer, eine Schwachstelle bei ihm auszumachen."
Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz sieht die Situation ähnlich: "Die Kontinuität seiner Leistung, die andauernde Höchstgeschwindigkeit, die er über eine Renndistanz halten kann - das alles wird schon schwer zu überbieten sein. Da kommt kaum etwas rüber. Sebastian ist schon einzigartig, wie er seine Topleistungen auf Abruf bereit hat. Es ist aber auch einzigartig, was das Team aus dem Auto herausholte." Es bleibt also abzuwarten, wie sich Vettel in den nächsten - von Jordan zitierten - zehn Jahren schlagen wird. Das Potenzial, der größte Rennfahrer der Geschichte zu werden, hat er in den Augen vieler jedenfalls.