Warum Gerhard Berger Red Bull trotz der mäßigen Tests als klaren Favoriten sieht, wieso er bei McLaren Probleme ortet und wie er die Mercedes-Truppe einschätzt
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Die rapide verschleißenden Reifen und die niedrigen Temperaturen machten aus den Winter-Testfahrten ein Pokerspiel ohne wahre Anhaltspunkte. Niemand weiß, wie die Pirelli-Pneus bei 40 Grad Asphalttemperatur in Malaysia funktionieren werden. Und selbst die Longruns waren in Barcelona nicht aussagekräftig, denn nach nur einer Runde setzte bei den Reifen das "Graining" ein und die Zeiten purzelten in den Keller.
Vor allem Red Bull hat sich in Spanien nicht besonders hervorgetan und blieb - auch wenn man davon ausgeht, dass das Weltmeister-Team meist deutlich mehr Sprit als Mercedes an Bord hatte - unauffällig. Ex-Formel-1-Pilot und -Teammanager Gerhard Berger sieht dies dennoch nicht als Grund, Sebastian Vettel & Co. beim Saionstart in Melbourne nicht an der Spitze zu sehen.
Berger sieht Red Bull wieder als "Benchmark"
"Es hat sich bei den Tests alles nur noch um das Reifenthema gedreht", sagt der Österreicher gegenüber der 'APA'. "Ich denke daher, Red Bull wird wieder vorne sein, weil das Auto, auf dem man aufbaut, im Vorjahr das Beste war. Leute wie Adrian Newey sind die Besten, dazu kommt ein Fahrer wie Sebastian Vettel. Also wird Red Bull wieder die Benchmark sein."
Dass Berger so sicher ist, mag verwundern, denn beim österreichischen Team mit Sitz in Milton Keynes verdunkelten sich an den letzten Testtagen die Mienen - die Balance des RB9 macht der Weltmeister-Truppe Sorgen. Die Frage ist nun: Liegt das am letzten Update des Autos, oder am Verbot der Motormappings von Renault?
Berger vermutet, dass man bei Red Bull entspannt ist und die Katze bewusst nicht aus dem Sack gelassen hat: "Red Bull kann es sich leisten, die Karten erst in Melbourne oder Malaysia auf den Tisch zu legen." Zudem sieht er Vettel als große Bereicherung für das Team - der dritte Titel hat den 25-Jährigen laut Berger zusätzlich befreit.
Geht Vettel auf "Schumis" Rekorde los?
"Er hat jetzt den Rücken frei", glaubt der ehemalige Teamkollege von Ayrton Senna. "Den einzigen Druck, den er hat, macht er sich selbst. Er hat seine Visitenkarte abgegeben. Für ihn geht es nur noch darum, immer im richtigen Auto zu sitzen. Er hat jetzt sicherlich im Visier, die Rekorde eines Michael Schumacher zu schlagen."
Dass vor allem Erzrivale Fernando Alonso Vettels Qualitäten in Frage stellt, weil dieser im besten Auto sitze, nimmt Berger nicht ernst: "Das sind die üblichen Spielchen in der Formel 1. Da geht es um alles. Aber man vergisst, dass Vettel seinen ersten Sieg mit einem Toro Rosso gefeiert hat. Also einem Auto, mit dem kein anderer gewonnen hat." Außerdem zählt am Ende nur der Triumph - "und gewinnen tut am Ende immer noch der Seb."
Berger sieht Mercedes neben Ferrari als zweite Kraft
Dass Mercedes bei den Wintertests so geglänzt hat, führt Berger auch darauf zurück, dass man "zunächst einmal aus der Schusslinie der Kritik kommen" müsse. Dennoch sieht er bei den "Silberpfeilen", wo nun seine Landsleute Toto Wolff und Niki Lauda das Kommando übernommen haben, Fortschritte.
Der Motor sei ohnehin der vermutlich "beste" in der Formel 1, "dazu kommen jetzt zwei Bombenfahrer". Nun sollte auch das Chassis besser funktionieren. "Nicht dass sie deshalb jetzt gleich auf Red-Bull-Niveau zusteuern. Aber sie können sich mit Ferrari die zweite Kraft teilen", prognostiziert Berger.
Bei seinem Ex-Team McLaren sieht er hingegen Probleme: "Die scheinen eher ein bisschen zu schwächeln". Das führt er auf den Abgang von Hamilton, der auch "eine starke Triebfeder für Button" war, und auf die mäßigen Testergebnisse zurück. Dem Lotus-Rennstall attestiert er neben Red Bull, Ferrari, Mercedes und McLaren ebenfalls das Potenzial für Spitzenplätze. Zumal man mit Kimi Räikkönen auf den "coolsten Typen der Formel 1" zurückgreifen kann. Den Berger vor seinem Comeback unterschätzt hatte: "Ich hätte ihm nicht gleich so eine Performance zugetraut. Er ist sicher eine Bereicherung für die Formel 1."