Sportchef Wolff ahnt, dass sein neuer Pilot die Krallen ausfahren wird, wünscht sich aber weniger Ablenkung im Team - Differenzen mit Lewis Hamilton sind ausgeräumt
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Mercedes-Sportchef Toto Wolff hofft, dass im neuen Teamduell zwischen Lewis Hamilton und Valtteri Bottas weniger die Fetzen fliegen, als es noch in der Konstellation mit Nico Rosberg der Fall war. Das ruhige und abgeklärte Gemüt des finnischen Neuzugangs stimmen ihn zuversichtlich, sich in der Saison 2017 weniger um die Befindlichkeiten zweier Streithähne kümmern zu müssen. "Valtteri ist ein unpolitischer Typ", beschreibt Wolff seinen früheren Zögling im Gespräch mit der 'BBC'.
Obwohl die Silberpfeile es zur Maxime erklärten, durch den internen Fight keine Siege in Gefahr geraten zu lassen, deutet der Österreicher an, dass die Rivalität Hamiltons und Rosbergs zur Ablenkung wurde - nicht nur, weil das Thema in den Medienrunden in der Endlosschleife lief. "Der neue Faktor gibt uns mehr Zeit, uns um andere Dinge zu kümmern als uns um das Verhältnis der Fahrer", sagt Wolff, in dessen Brust bei der Frage nach einer möglichen Stallorder zwei Herzen schlugen: "Wir haben oft mit uns selbst gerungen. Wir wollten auch Kontroverse, weil der Sport sie bracht."
Mercedes löste das Problem mit einem geheimen Verhaltenskodex, den Bottas als neuer Pilot offenbar nicht exakt von Rosberg übernehmen wird. "Wir haben ihn noch nicht fertiggestellt", antwortet der Neuzugang auf die 'Motorsport-Total.com'-Frage, ob die "Rules of Engagement" aus dem Vorjahr 2017 wieder Gültigkeit besäßen. Nötig könnte ein internes Regelwerk sein: Obwohl Bottas bei Williams nie durch Ellenbogen auffiel, aber Hamiltons Vater Anthony mit seiner "Karriere-Killer"-Aussage die ersten Psychospielchen mit dem neuen Teamkollegen seines Sohnes anstrengte.
Als Fan hätte Toto Wolff sich Fernando Alonso gewünscht
Wolff ist sich sicher, dass Bottas die Zähne zeigen würde, wenn es hart auf hart kommt: "Man kann im Auto keinen Jagdhund und außerhalb des Cockpits einen Welpen wollen. Auch mit ihm ist der Umgang nicht immer einfach. Ich erwarte nicht, dass alles glatt läuft." Die schroffe Seite des coolen Finnen musste zuletzt Claire Williams erleben, die erfolglos versuchte, ihn im Team aus Grove zu halten: "Wenn jemand mitbekommen hätte, wie wir miteinander gesprochen haben: Er hat Emotionen im Blut", pustet die Co-Teamchefin durch. "Er war total scharf darauf, Mercedes zu fahren."
Immerhin: Bottas trifft in Brackley auf einen Hamilton, der alle Differenzen mit seinen Bossen ad acta gelegt hat. Die Manipulationsvorwürfe von Malaysia, die Bummelzugaffäre von Abu Dhabi - alles Schnee von gestern, behauptet Wolff nach einem Gespräch unter vier Augen in seinem Haus in Oxford. "Während der Saison geht es so intensiv zu, dass man vieles nicht bespricht", erklärt er den Termin. "Es ist der große Unterschied zwischen Menschen und Affen, dass wir reden und sie nicht."
So besänftigt, dass Mercedes sich mit Fernando Alonso den ehemaligen Erzfeind Hamiltons in die eigenen Reihen geholt hätte, ist der Brite offenbar nicht: "Wenn ich Fan wäre, mir hätte es gefallen, wenn die alte Rivalität von 2007 wiederaufgelebt hätte. Aber aus Teamsicht geht es nicht", meint Wolff auf die Personalie Alonso angesprochen - in dem Wissen, dass Daimler-Boss Dieter Zetsche die Verpflichtung nach dem Eklat in der Spionageaffäre vor zehn Jahren kaum geduldet hätte.
Zweifel an Bottas fahrerischem Können hegt Wolff nicht. Anders Ex-Formel-1-Pilot Stefan Johannson, der in seinem persönlichen Blog davon schreibt, dass der neue Mercedes-Mann nur Superstar werden oder in der Versenkung verschwinden könne: "Ein Underdog zu sein ist immer einfach. Da genügt auch noch ein durchschnittlicher Auftritt. Wenn man an einem Wochenende richtig auslässt - und Siebter statt Vierter wird, was Bottas mehr als einmal passiert ist - ist es nicht der Rede Wert. Bei Mercedes, Red Bull, Ferrari oder McLaren darf man sich das nicht erlauben", so Johansson.