Bottas' Zittersieg: Niki Lauda wollte Motorschaden riskieren

, 30.04.2017

Auf dem Weg zum ersten Formel-1-Erfolg geriet der Finne in ein Strategiedilemma und stellte sich unter größtem Druck vor, er sei zu Hause - Nervenspiel an der Box

Eine deutlichere Lektion hätte Valtteri Bottas seinen Kritikern nicht erteilen können: Der neue Mercedes-Fahrer triumphierte am Sonntag beim Russland-Grand-Prix in Sotschi und beeindruckte mit seiner Abgebrühtheit, als er im 81. Rennen seiner Formel-1-Karriere den ersten Erfolg landete - nur neun Sieger mussten länger ausharren. "Es hat eine Weile gedauert, aber es war das Warten wert", jubelt ein glücklicher Bottas auf dem Podium. Für die Mercedes-Box war es eine Nervenschlacht.

"Scheiße, die Erleichterung war wirklich riesengroß", platzt es aus Sportchef Toto Wolff. Um seine Nerven in den Griff zu bekommen, sündigte er vor laufenden TV-Kameras und wird sich einen Rüffel seiner Ehegattin Susie abholen: "Ich habe absolutes Kaugummi-Verbot von meiner Frau zu Hause und Bradley (Mercedes-Pressechef Lord; Anm. d. Red.). Aber heute musste ich etwas machen."

Auch Niki Lauda zitterte mit und hörte anschließend nicht mehr auf, Bottas zu loben. Er sei "wie ein Gott gefahren" und die "coolste Socke" des Feldes, schwärmt der Österreicher. Was die TV-Zuschauer während des Rennens nicht erfuhren: Wolff und Lauda diskutierten in der Box in einer Szene, in denen beiden die Anspannung ins Gesicht geschrieben war, über ein riskantes Manöver. Dabei ging es darum, wie viel Leistung Bottas abrufen dürfe, als sein Auto zu überhitzen begann.

Windschatten war das Geheimnis des Raketenstarts

Nicht aufzudrehen bedeutete, den Sieg auf das Spiel zu setzen: "Wir waren uns einmal untreu und haben den Daten nicht vertraut. Das war mit Nico (Rosberg; Anm. d. Red.) in Monza vor zwei Jahren, als uns der Motor in die Luft geflogen ist", erklärt Wolff die Brisanz der Situation. "Niki hat gesagt: 'Dreht einfach auf, ich nehme es auf meine Kappe.'" Doch Mercedes ging das Risiko nicht ein und setzte auf Bottas' Verteidigungskünste im Kampf mit Sebastian Vettel - ein kluger Schachzug.

Denn schon zuvor hatte Bottas demonstriert, dass auf ihn Verlass ist: Sein Rennen begann mit einem Raketenstart, der ihn vom dritten Platz vorbei an den Ferrari von Kimi Räikkönen und Vettel auf die Spitzenposition brachte. Wolff vermutet, dass es von Vorteil gewesen wäre, aus der zweiten Reihe zu kommen und auf 844 Metern bis zur ersten Kurven den Sog der Vorderleute zu nutzen. "Der Windschatten ist hier der Schlüssel. Ich habe es in der ersten Kurve auf die Innenbahn geschafft. Noch stärker war der Restart nach der Safety-Car-Phase", bestätigt Bottas.

Schwacher Supersoft-Pneu und Überhitzung sorgten für Zittern

Anschließend brannte er auf Ultrasoft-Reifen ein Feuerwerk ab und zog auf bis zu 5,722 Sekunden von Vettel weg. Erstaunlich, da der Mercedes in Sotschi zu Beginn der Longruns am Freitag Probleme offenbarte, die Reifen auf Temperatur zu bringen. Doch spontane Änderungen am Set-up scheinen sich ausgezahlt zu haben, zumindest bei Bottas. "Vor allem die Pace, die er am Anfang hatte", hebt Wolff hervor, was seinem Mann zum Sieg verholfen hätte. "Er ist auf und davon gefahren."

Dass der Finne den Undercut unternahm und zuerst Reifen wechselte, war nicht dem schrumpfenden Vorsprung geschuldet. Seine Gummis waren nach 27 Runden noch in Ordnung. "Wir wollten draußen bleiben, aber jedes Mal, wenn wir einen Boxenstopp gemacht hätten, wären wir im Verkehr steckengeblieben", erklärt Wolff die Hochrechnungen und die Entscheidung, Bottas so reinzuholen, dass er ohne störende Gegner zurück auf die Bahn kommt - auch auf Kosten eines langen Supersoft-Stints.

Erster Sieg in einem Autorennen seit sechs Jahren

Was er nicht ahnte: Der andere Pneu funktionierte am Mercedes nicht so gut wie der Ultrasoft, es kam doch Verkehr auf und es gab das Überhitzungsproblem. So rückte Vettel mit sieben Runden jüngeren Reifen Bottas in der Schlussphase auf die Pelle. Das Polster von 4,7 Sekunden dampfte er fast komplett ein. Unter dem steigenden Druck verbremste sich Bottas heftig. Die Mercedes-Analysen zeigten "gravierende Schäden" durch Bremsplatten an beiden Vorderreifen. Unbeeindruckt nahm Bottas wieder Tempo auf. Er hatte Vibrationen zu beklagen, beschwerte sich im Funk aber nicht.

Bottas erklärt: "Ich habe in den letzten zehn Runden um Ruhe gebeten, weil ich mich wie zu Hause fühlen wollte. Das hat geholfen. Die Strecke hat einen speziellen Rhythmus. Wenn du aus dem Tritt kommst, verlierst du sofort an Boden." Doch der Verbremser blieb Bottas' einziger Fehler, selbst als Vettel zwei Runden vor Schluss in der DRS-Zone war. Auf dem Weg zu seinem ersten Sieg in einem Autorennen seit einem GP3-Erfolg im Jahre 2011 blieb er cool.

Den letzten Überrundungsverkehr meisterte er der nötigen Portion Glück, wie er selbst einräumt - um sich zum erst fünften Formel-1-Sieger für das Mercedes-Werksteam zu küren. Bottas steht nun in einer Reihe mit Juan Manuel Fangio, Stirling Moss, Nico Rosberg sowie Lewis Hamilton und ist auch der fünfte Finne, der einen großen Pokal in Empfang nahm. Gut, dass niemand auf Niki Lauda gehört hat.

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