Erst gereizt, jetzt vergiftet: In der dunkelblauen Box dürfte es nach einer eindeutigen Geste Mark Webbers brodeln - Hat Christian Horner ein Autoritätsproblem?
© Foto: xpbimages.com
Haben Sie es gesehen? Bei genauer Betrachtung der TV-Bilder des Malaysia-Grand-Prix vom Sonntag kommt eine ganz neue Facette des Teamduells zwischen Mark Webber und Sebastian Vettel zum Vorschein. Kurz nach dem umstrittenen Überholmanöver des Deutschen zeigte der Australier in Richtung seines Stallgefährten den Stinkefinger. Die Onboard-Bilder des Red Bull mit der Startnummer zwei lassen keinen Zweifel daran, welche Geste der offenbar erzürnte Webber vollführte.
Webber hatte offenbar allen Grund, vor Wut zu schäumen. In Runde 27, also weit vor dem Manöver Vettels, hatte sein Renningenieur ihm über Funk mitgeteilt, dass er das Tempo anziehen und "hohe 41er-Rundenzeiten anvisieren" müsse. Gesagt, getan. Webber legte zu, hatte zuvor das Tempo bewusst kontrolliert. Vettel dahinter war schon zu diesem Zeitpunkt ungeduldig: "Mark ist zu langsam. Schafft ihn mir aus dem Weg! Er ist zu langsam", wies er den Kommandostand äußerst eindringlich an.
Einer Warnung Guillaume Rocquelins ("Sei vorsichtig") ließ Vettel die Attacke folgen. Beinahe hätte es gekracht. Der Heppenheimer hatte Absprache, Haussegen und Teamfrieden ruiniert. "Das ist dumm, Seb, komm schon!", harschte Teamchef Christian Horner höchstpersönlich in den Funk. Nach der Zieldurchfahrt Vettels dämmerte auch seinem französischen Renningenieur, dass der Grand-Prix-Sieg einer mit Geschmäckle war: "Gute Arbeit, Seb, gute Arbeit. Aber das wirst du jetzt erklären müssen", so Rocquelin.
Das Rätsel um "Multi 21"
Kurz vor dem Gang auf das Podest war Webber nun auch im doppelten Wortsinn "stinksauer", was nicht nur an seinem finsteren Gesichtsausdruck abzulesen war. Er raunzte Vettel mit den Worten "Multi 21" an. Bei Red Bull ist das keine Einstellung für das Benzingemisch oder das Motorenmapping, sondern ein Funk-Codewort. "Multi 21" heißt nichts anderes als Auto zwei vor Auto eins, Webber vor Vettel also. Sollte diese Anweisung über den Äther gelaufen sein, wie es das Verhalten des 36-Jährigen nahelegt, gab es eine klare Absprache.
Dazu passt der Funkspruch, den Simon Rennie kurz nach dem Manöver absetzte: "Wir haben es ihm gesagt." Was wirklich kommuniziert wurde und was nicht, bleibt im Dunkeln, weil die Teams etwa in Gegensatz zur DTM nicht sämtliche Kommunikation für die Öffentlichkeit preisgeben müssen. Die bekannten Passagen legen für Gary Anderson jedoch nahe, dass Christian Horner kein starker Teamchef ist. Der 'BBC'-Experte ortet sogar ein Autoritätsproblem bei seinem britischen Landsmann.
Den Funkspruch Horners nach dem Manöver kommentiert Anderson so: "Das ist keine Anweisung, das ist eine Meinungsäußerung." Der Ex-Designer will nicht davon ausgehen, dass die ominösen Worte "Multi 21" wirklich gefallen sind: "Soweit wir wissen, hat Red Bull Vettel zu keinem Zeitpunkt gesagt, er solle hinter Webber bleiben." Die Sache lässt Spielraum für Interpretation. Einerseits könnte man argumentieren, die Österreicher ließen ihre Piloten fahren und würden so den offenen Wettbewerb fördern.
Horner als Teamchef ohne Durchsetzungsvermögen?
Anderseits gab es für das Team nichts zu gewinnen. 43 WM-Zähler, die maximale Ausbeute an einem Wochenende, waren im Sack. Mercedes machte zeitgleich vor, wie eine solche Situation anders zu lösen ist. Das Verhalten Nico Rosbergs, der trotz des schnelleren Autos wie ein braver Soldat hinter Lewis Hamilton blieb, als er eine entsprechende Order erhielt, sieht Anderson im krassen Kontrast. Was am Teamchef läge: "Ross Brawn hat mit Michael Schumacher sieben WM-Titel gewonnen und da respektiert man wahrscheinlich, was er sagt."
Über das "Superhirn" meint der TV-Experte, er sei eine "Autorität im Funk". Bei Horner bleibt der Eindruck hängen, dass er das nicht ist. Schließlich widersetzte sich auch schon Webber einer Anweisung, die Position hinter Vettel zu halten. Das war in der Saison 2011 in Silverstone, zum Brechstangen-Manöver kam es damals allerdings nicht. Interessant: Während Horner damals not amused war, stärkte Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz Webber den Rücken und schwächte damit gleichzeitig den Teamchef. Es spricht einiges dafür, dass die Geschehnisse nicht dazu beigetragen haben, dass der Australier die Stimmen unter dem Helm nun als Ultima Ratio betrachtet.