Der Ex-Weltmeister über die Schwierigkeit, auf den Adrenalinkick zu verzichten, sowie über Druck und Depression - Offener Umgang mit dem Tabuthema Angst
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Hinter dem Lenkrad treffen Formel-1-Rennfahrer Entscheidungen in Sekundenbruchteilen. Um die vielleicht wichtigste Frage der Karriere zu beantworten, braucht es einen ähnlich kühlen Kopf, aber es dauert wesentlich länger: Wann ist der richtige Moment, um den Helm an den Nagel zu hängen? "Ich denke daran. In jedem Sport ist es der Schlüssel, zur richtigen Zeit aufzuhören", räumt Jenson Button im Gespräch mit der 'Daily Mail' ein, deutet aber an, dass diese im Alter von 32 Jahren noch nicht gekommen ist: "Ich habe Ziele in der Formel 1. Ein weiterer WM-Titel wäre großartig."
Der McLaren-Pilot weiß, wie schwierig es sein kann, in einem Leben unter Vollgas den Fuß vom Pedal zu nehmen: "So viele Fahrer sagen, sie würden sich darauf freuen, aus der Formel 1 zurückzutreten und ein entspannteres Leben zu führen. Nach vier Monaten Abstinenz drehen sie durch, weil sie den ständigen Trubel vermissen", so Button. Die Medienaufmerksamkeit nimmt ab, die eigene Person ist weniger begehrt, der volle Terminkalender hat plötzlich weiße Flecken.
Wenn es dir den Kopf abreißt und die Haut vom Körper zieht
Hinzu kommt, dass die Königsklasse des Motorsports einen ganz besonderen Kick offeriert, der das Karriereende umso schwieriger macht - weil er sonst nicht mehr erfahrbar ist. "Um zu verstehen, wie intensiv es ist, ein Formel-1-Auto zu fahren, musst du darin sitzen", weiß Button und schwärmt von einer Erfahrung im Grenzbereich. "Wenn du mit 750 PS im Rücken mit 320 Stundenkilometern unterwegs bist, sind die Geräuschkulisse und die Vibrationen unglaublich."
Es klingt durch, welche Faszination der Sport auf den Briten ausübt: "Die G-Kräfte in den Kurven fühlen sich an, als wolle dir jemand den Kopf abreißen. Du trittst auf die Bremse und es fühlt sich an, als ziehe es dir die Haut vom Körper. Ich schwitze während der Rennen so viel, dass ich drei Liter Flüssigkeit verliere. Der Adrenalinspiegel ist so hoch, dass mein Herz 150 Mal in der Minute schlägt. Unvergleichlich mit allem anderen auf der Erde."
Die Angst fährt mit
Und damit soll vom einen auf den anderen Tag Schluss sein? Für Button scheint der richtige Umgang mit diesem Problem darin zu bestehen, sich ganz bewusst zu machen, was ein Rückritt für ihn bedeutet. "Wenn ich aufhöre, weiß ich, dass ich nie wieder das unglaubliche Gefühl haben werde, ein Formel-1-Auto zu fahren." Doch damit verbunden ist auch eine Befreiung: die Befreiung von der Angst, die allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz immer mitfährt.
Button räumt auf mit dem Image vom eiskalten Champion, der weder Tod noch Teufel fürchtet. "Du müsstest dumm sein, zu denken, alles sei immer in Ordnung", unterstreicht er. "Die Angst wird mit dem Alter größer, aber es ist dennoch schwierig, aufzuhören." Der Mann aus der südenglischen Kleinstadt Forme weiß, wovon er spricht. Den nach eigener Aussage heftigsten Crash seiner Laufbahn hatte er im Jahr 2003, als er in Monaco ausgangs des Tunnels schwer verunglückte.
"Ich hatte in meiner Karriere einige Unfälle", erinnert sich Button. Durchaus mit Schrecken rekapituliert er, was ihm vor neun Jahren im BAR-Cockpit zustieß. "Bei 290 Stundenkilometern schlug mein Auto in die Leitplanke ein, rutschte in den Notausgang und krachte in die Bande. Als sie mich aus dem Auto holen wollten, war ich einige Minuten lang bewusstlos. Ich hatte eine Höllenangst." Button musste auf Anweisung der Ärzte den Grand Prix auslassen.
Regenrennen malen den Teufel an die Wand
Die psychischen Folgen einer solchen Schrecksekunde heilen jedoch wesentlich langsamer als alle Prellungen. "Wenn du als Fahrer so etwas erlebst hast, verlierst du nie die Befürchtung, dass es wieder passieren könnte", betont der 32-Jährige und erklärt, man müsse schon ein bisschen verrückt sein, um ein Formel-1-Auto am Limit zu fahren. Die pure Vorfreude jedenfalls gibt es nicht, bevor die Ampeln auf Grün schalten. "Am Morgen vor einem Rennen ist es eine Mischung aus Aufregung und Furcht."
Obwohl sich Button wegen seiner fantastischen Leistungen unter widrigen Bedingungen den Ruf eines Regenspezialisten erarbeitet hat, meint er: "Wenn die Strecke nass ist, dann ist es schlimmer - weil du meistens nicht alles unter Kontrolle hast, was die Piloten am meisten fürchten." Er geht ganz offen damit um, dass er sich Schreckensszenarien ausmalt. "Du fährst eine Gerade hinunter und da ist nur eine Wand aus Gischt vor dir. Wenn ein Auto vor dir verunfallst ist, triffst du es mit 320 Stundenkilometern."
Titelgewinn als Moment der Depression
Offeriert die Angst zumindest noch einen gewissen Adrenalinkick, gibt es eine andere Belastung, die an Button noch weit mehr zu nagen scheint. Es ist die Bürde, ein Weltmeister zu sein. Als er sich im Jahr 2009 in Brasilien den Titel holte und mit dem Brawn-Team eine der größten Sensationen in der Geschichte der Sportart perfekt machte, war es für den Mann, der 113 Rennen lang auf den ersten Sieg warten musste, kein rauschendes Fest. Es war ein Moment der Depression.
Button erinnert sich an Momente der Einsamkeit. Momente des Triumphes, in denen er Schwäche zeigte. Er hätte sie für sich behalten können, doch er geht offen damit um. "Es gab eine große Feier für das Team. Aber ich bin nur auf einen Drink geblieben und dann zurück ins Hotel gefahren. Dort habe ich stundenlang alleine gesessen. Es hätte die glücklichste Nacht meines Lebens werden sollen, aber es fühlte sich an wie ein Tiefpunkt." Das Hotelzimmer in Sao Paulo wurde zum Käfig im Kopf.
Enormer Druck als Weltmeister
Denn Buttons Gedanken kreisten nicht um die Erfolgsmomente und das Märchen der Gegenwart, sondern um die Bürde der Zukunft: "Ich dachte daran, was als Nächstes passieren würde. Ich wusste, dass der zweite Platz für mich nie mehr gut genug sein würde. Wenn du ein Weltmeister bist, erwarten die Leute, dass du gewinnst. Du musst jeden Tag und jede Woche ein Superstar sein. Du kannst dir keinen Tag frei nehmen, du kannst dir keine Pechsträhne leisten. Es ist ein enormer Druck."
Doch was kommt, wenn für Button eines Tages tatsächlich Schluss ist? Der in der Öffentlichkeit meistens gut gelaunte und immer freundliche und zu einem Scherz aufgelegte McLaren-Pilot meint trotz einem geschätzten Vermögen von umgerechnet rund 67 Millionen Euro: "Was auch immer passiert: Auf meinem Boot zu faulenzen und mich den ganzen Tag zu sonnen, macht mich nicht nicht glücklich." Dabei hätte Button als Besitzer mehrerer Häuser alle Möglichkeiten, die Seele nur noch baumeln zu lassen.
Schenkt Rentner Button in der englischen Provinz Wein aus?
Eine Ruhestandsbeschäftigung vor der Kamera komme nicht in Frage, sagt er schmunzelnd: "Genauso wenig eine Aufgabe als Formel-1-Experte oder mich im Fernsehen zum Deppen zu machen", spielt er auf eine Tätigkeit an, der viele "Sportrentner" nach ihrem aktiven Karriereende nachgehen. "Ich wäre gerne Mentor für junge Formel-1-Fahrer und würde meine Erfahrung weitergeben", überlegt er. Bereits jetzt ist Button Teilhaber einer Management-Firma, zu deren Kunden unter anderem Paul di Resta zählt.
der wird aus Button doch noch ein Wirt? "Ein Restaurant in Harrogate (eine kleine Stadt in Nordengland, Anm. d. Red.) würde mich auch interessieren", denkt im Gespräch mit der 'Daily Mail' abschließend er über ein Leben abseits der Metropolen und des Jet-Set nach. "Am meisten aber reizt mich der Triathlonsport", meint Button sehnsüchtig und träumt von einer Teilnahme Ironman. Also doch wieder Adrenalin für einen, der in seinem Leben davon schon mehr als genug hatte. Dann aber ohne Angst und ohne Bürde.