Von Lewis Hamilton zur Nummer 2 gestempelt: Nico Rosberg platzt vor der Siegerehrung der Kragen, Formel-1-Experte Marc Surer zeigt Verständnis dafür
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Nicht Lewis Hamiltons (bereits im Vorfeld erwarteter) WM-Gewinn war das bestimmende Thema nach dem Grand Prix der USA in Austin, Texas, sondern der kontroverse Ablauf der Siegerehrung zwischen den beiden Mercedes-Piloten. Denn Nico Rosberg zeigte sich im ersten Moment zwar als artiger Verlierer, doch dann kam es zu einem Zwischenfall, der von den britischen Medien prompt als "Cap-gate" bezeichnet wurde.
Was war passiert? Hamilton, geschüttelt von Emotionen, kniete an einem Tisch nieder und lehnte dort seinen Kopf an, während Rosberg ein paar Meter weiter, ein Loch in die Wand starrend, in einem breiten Sessel saß. Wie groß die Kluft in der Gefühlswelt der beiden in jenen Momenten gewesen sein muss, ist für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Und so kam es dann wohl zu einem folgenschweren Missverständnis.
Hamilton griff sich seine Kappe für die Siegerehrung, standesgemäß mit einer "1" drauf - und warf Rosberg jene mit der "2" zu. Mutmaßlich ohne böse Absicht, doch das dürfte der Verlierer des Tages falsch verstanden haben. Rosberg interpretierte diese Geste offensichtlich so, dass ihm Hamilton zeigen wollte, wer die Nummer 1 und wer die Nummer 2 ist - und schleuderte die Kappe entnervt zurück. Vor laufenden Fernsehkameras.
Miese Laune bei der FIA-PK
Während Hamilton sich seine WM-Party nicht vermiesen wollte und auf diese Situation ebenso wenig einging wie auf sein knallhartes Manöver in Kurve 1, konnte Rosberg seine stinkige Laune auf der Sieger-Pressekonferenz nicht verbergen: "Was zur Hölle?", grummelte er, um sich dann doch gerade noch rechtzeitig zu sammeln: "Was soll ich sagen?" Zu entlocken war ihm lediglich (im deutschen Teil der PK), dass er von Hamilton genervt sei.
Verständlich, findet Formel-1-Experte Marc Surer: "Wir haben vor dem Rennen gesagt, dass Nico immer so beherrscht ist. Jetzt ist ihm halt mal der Kragen geplatzt und der Frust kam raus. Finde ich eine völlig normale Reaktion nach diesem Rennen, die man nicht überbewerten sollte." Und dass Hamilton ganz bewusst Psychospielchen spielt, um seine Vormachtstellung zu demonstrieren, lohne sich schließlich: "Hamilton ist kein Netter. Der ist Weltmeister."
Urteil: Alle gegen Hamilton
Was die Kollision selbst angeht, gibt es nicht einmal Mercedes-intern zwei Meinungen: Sportchef Toto Wolff findet, dass ein Sieger Rosberg "moralisch richtig" gewesen wäre, Hamilton-Fan Niki Lauda meint, sein Superstar sei diesmal zu weit gegangen, und Hamilton selbst schweigt eisern. Und was sagt Surer? "Lewis liegt in der Kurve leicht vorne und innen. Dann macht er das, was ich schon in Suzuka angekreidet habe, nämlich dass er Nico keinen Platz lässt", so der Schweizer.
"In Suzuka war ich offensichtlich der Einzige, der ihn dafür kritisiert hat", fährt Surer fort und zeigt Verständnis für die emotionalen Spannungen nach dem Rennen: "Jetzt macht er's wieder, und jetzt platzt Nico natürlich der Kragen. Er ist innen, ihm gehört die Kurve, aber dass er dem anderen keinen Platz lässt und neben die Strecke drückt, das ist Lewis Hamilton und das weiß Nico auch. So gesehen muss er sich nicht wundern."
Übrigens hat Hamilton offenbar noch während des Rennens realisiert, dass seine Aktion in der ersten Kurve über das Ziel hinausgeschossen ist: "Lewis meldete sich zu Beginn des Rennens am Funk und sagte, dass er das nicht wollte", berichtet Technikchef Paddy Lowe und kritisiert: "Ob es regelkonform war oder nicht, spielt keine Rolle. Es war auf jeden Fall ein hartes Manöver gegen den eigenen Teamkollegen, und das hat Lewis noch während des Rennens eingesehen."