Liberty Media stellt die Grid-Girl-Tradition infrage und Niki Lauda fragt, ob der Formel-1-Eigner "einen Vogel hätte" - Es geht um Emanzipation, Freiheit und Geld
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Sind sie ein Augenschmaus, Tradition oder das Relikt eines Sexismus vergangener Jahrzehnte? Die Grid-Girls - leicht bekleidete Damen, die im Laufe eines Grand-Prix-Wochenendes um die Piloten herumschwirren und auch unter dem flapsigen Begriff "Boxenluder" firmieren - scheinen unter der Ägide des neuen Formel-1-Besitzers Liberty Media zur Debatte zu stehen. Sportchef Ross Brawn nennt sie in der 'BBC' ein "delikates Thema", das im Paddock aber auch seine Befürworter findet.
Mercedes-Lautsprecher Niki Lauda fragt von 'ServusTV' auf eine Streichung der Grid-Girls angesprochen entsetzt: "Haben die einen Vogel?" Neu ist die Idee, auf die Mädels mit Startnummern-Schildern zu verzichten, mitnichten: Die Langstrecken-WM (WEC) verzichtet schon seit drei Jahren auf die Grid-Girls. Beim Monaco-Grand-Prix 2016 standen erstmals Grid-Boys Spalier, nach höhnischen Reaktionen - unter anderem von Sebastian Vettel - ruderten die Organisatoren zurück.
Gut möglich, dass Silverstone einen neuen Anlauf wagt. Stuart Pringle, Geschäftsführer der Strecke, findet keinen Gefallen an Damen in Strumpfhosen. "Lycra kann in den Siebziger- und Achtzigerjahren bleiben. Ich will nichts von dem nuttigen Unsinn." Auch wenn er überzeugt ist, dass niveauvoll und ansprechend präsentierte Frauen für Glamour sorgen könnten, plädiert er für Gleichberechtigung: "Ich will nicht, dass meine Tochter das Tragen von Lycra für erstrebenswert hält."
Fakt ist aber auch: Keine Frau wird gezwungen, als Grid-Girl zu arbeiten. Junge Frauen, die sich solche Vorbilder suchen, können es mit jedem Hochglanz-Magazin. Dass in der Welt des Internets viel intimere Einblicke für Jedermann zugänglich sind, lässt die Relevanz der Diskussion verblassen. Abgesehen von der Grundsatzfrage, ob die Formel 1 sich eine erzieherische Funktion anmaßen darf. Neben moralischen Argumenten gibt es aber wirtschaftliche, die gegen Grid-Girls sprechen.
Die Kundschaft des Motorsports ist männlich dominiert, jedoch nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit. Wie einen Programmpunkt rechtfertigen, der sich nur an Männer richtet? Es will nicht jeder Konzern mit Damen in knappen Kleidchen assoziiert werden - 2017 liefen viele Grid-Girls ohne Schriftzüge auf. Hochkarätige Sponsoren könnten neue Vermarktungswege begrüßen. Auch wenn Unternehmen - von Airlines über Brauereien hin zu Banken - dem alten nicht abgeneigt sind.
Brawn fasst die Debatte in einem Satz zusammen: "Viele Menschen schätzen die Grid-Girl-Tradition, aber es gibt welche, für die sie etwas den Zeitgeist verfehlt." Formel-1-Boss Chase Carey kündigt ergebnisoffene Gespräche an: "Es ist keine Entscheidung, die ich nach meinem persönlichen Geschmack treffe. Ich habe meine Sicht, aber ich muss auch Teams, viele andere Menschen sowie zahlreiche leidenschaftliche Fans einbeziehen. Einen Konsens wird es in der Frage nicht geben."
Careys These unterstreicht, dass sich in einer nicht-repräsentativen Umfrage der 'BBC' 60 Prozent der Teilnehmer für die Grid-Girls ausgesprochen haben - nur eine knappe Mehrheit. Die Piloten schließen sich ihr an. Red-Bull-Fahrer Daniel Ricciardo hält sie für einen Teil der Show. "Ich bin damit aufgewachsen", meint der 28-Jährige. Auch Nico Hülkenberg wünscht sich, dass Sexappeal erhalten bleibt, wenn die Formel 1 in anderen Bereichen "vernünftiger" wird: "Es wäre schade, so einen Augenschmaus zu streichen. Was erwartet uns denn im kommenden Jahr? Halo? Mein Gott!"
Dazu stellt sich die Frage nach Alternativen. "Die Grid-Boys wurden kritisiert", erinnert Red-Bull-Teamchef Christian Horner und spielt auf eine Adaption der Eskorten bei Fußballspielen an: "In Österreich waren bei der Fahrerparade Kinder. Auch das wurde beanstandet. Richtig bekommt man es nie hin." Horner nennt Amtskollegin Claire Williams - seit Kurzem Mutter - als Beispiel dafür, dass Frauen Grid-Girls zum Trotz ihren Platz gefunden hätten: "Sie spielen eine Schlüsselrolle."
Der Ehemann der früheren Spice-Girls-Sängerin Geri Halliwell findet: "Um mich eines Satzes meiner Frau zu bedienen: 'Girl-Power' ist in der Formel 1 eben eine Hausnummer." Für Lauda ist es sogar ein Ausdruck persönlicher Freiheit und damit von Emanzipation, dass es die Damen mit den Startnummern gibt: "Warum dürfen sie also nicht mehr da stehen?", fragt sich die Rennlegende.
Dass mit Liberty ein US-amerikanischer Konzern das Sagen hat - und nackte Haut im Fernsehen in den Vereinigten Staaten ein Skandal für sich ist -, ist für Red-Bull-Berater Helmut Marko kein Indiz für eine Abschaffung der Grid-Girls: "Ich kann es mir nicht vorstellen. Der ganze amerikanische Spitzensport lebt von Cheerleadern. Ich sehe keinen Grund, es in der Formel 1 nicht zu machen." Der Silverstone-Boss und 40 Prozent der Fans schon. Chase Carey sitzt in der Zwickmühle.