Mit Mark Webber verlässt der vielleicht authentischste Charakter im Fahrerfeld die Formel 1 - In Erinnerung bleibt ein großer Pilot mit Ecken und Kanten
© Foto: xpbimages.com
"Letzte Runde, Mark. Genieß es nochmal!", rauschte der Boxenfunk in den Ohren Mark Webbers, als er in seine 11012. und letzte Formel-1-Runde zwischen den Seen von Sao Paulo ging. Nötig war diese Aufforderung an den Australier vermutlich nicht: Spätestens nachdem er den zweiten Platz beim Saisonfinale 2013 über die Ziellinie gebracht hatte, genoss er. Webber entledigte sich noch während der Ehrenrunde seines Helmes und ließ sich den Fahrtwind durch das schweißnasse Haar wehen. Während er den zahlreichen Fans am Autodromo Jose Carlos Pace zuwinkte, inhalierte er mit ernster Miene den Moment. Die eine oder andere Träne in seinen Augenwinkeln spielte er anschließend in typischer Manier herunter: "Es war der Wind. Da haben mir durchaus die Augen getränt."
Während sich Fernsehkommentatoren womöglich rund um den Globus fragten, was nicht alles bei einem Unfall würde passieren können, und ob die Aktion des Routiniers wohl Argwohn bei der FIA auslösen würde, kann an dieser Stelle wohl bedenkenlos behauptet werden, dass sich Webber um derartige Fragen wenig scherte. Das ließ nicht nur der Gesichtsausdruck des 37-Jährigen vermuten, sondern ebenso sein spezieller Charakter, den Motorsportfans über ein Jahrzehnt kennenlernen konnten und der der Formel 1 in Zukunft fehlen wird. Mit Webber verlässt ein Unikat die große Bühne.
"Es ist schade, dass er geht. Ich war bei jedem einzelnen seiner Rennen dabei", erinnert sich Weggefährte Jenson Button, der zweifelsohne der gleichen Fahrergeneration entstammt. "Er ist ein ganz eigener Typ, sagt immer, was er denkt. Ich wünsche ihm viel Erfolg für seine weitere Karriere; ich bin mir sicher, man läuft sich in der Zukunft wieder über den Weg. Auf Wiedersehen", wünscht sich der McLaren-Pilot. "Er ist ein guter Kerl, sehr ehrlich und engagiert", findet auch Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali. "Ich freue mich sehr, dass er in einer anderen Umgebung einen zweiten Frühling in seiner Karriere erlebt. Wir wünschen Mark das Beste."
Sein eigener Weg
Die ehrliche und oft schonungslose Art des ehemaligen Red-Bull-Piloten polarisierte stets. Während ihn viele für seinen authentischen und eigenen Charakter bewunderten, bereitete er seinem Team auch den einen oder anderen Kopfschmerz. Besonders im ewigen Zwist mit Teamkollege Sebastian Vettel nahm Webber oftmals auch in der Öffentlichkeit kein Blatt vor den Mund. "Er war ein Stehaufmännchen, hat sich stets selbst angespornt - manchmal in einer Art und Weise, die für das Team nicht unbedingt bequem zu handeln war", meint sein Ex-Teamchef Christian Horner. "Aber das hat für ihn optimal funktioniert, sodass er das Beste aus sich herausholen konnte."
"Ich bin stolz auf meine Formel-1-Karriere, die so lange andauerte", meldet sich der Betroffene zu Wort. "Ich bin so viele Jahre in Formelautos gefahren und habe mir während dieser Zeit sicherlich nicht nur Freunde gemacht. Ich bin oft allen auf den Keks gegangen, weil ich so ehrgeizig war." Seine öffentliche Wahrnehmung war für Webber jedoch nie das Wichtigste. Mit dieser Einstellung holte er in zwölf Jahren Formel 1 insgesamt neun Grand-Prix-Siege (alle mit Red Bull), verpasste zudem nur knapp die Weltmeisterschaft beim dramatischen Finale von 2010 in Abu Dhabi.
In seiner letzten Saison hatte Webber zusammen mit Vettel erneut das beste Auto im Feld, dennoch ging der Titel einmal mehr an den ungeliebten Stallnachbarn. So groß, wie der Rückstand letztlich schwarz auf weiß im Klassement steht, war er aus Webbers Augen dann aber auch nicht: "Wenn man sich diese Saison mal anschaut, dann sieht man, dass ich beispielsweise einige Ausfälle hätte (vier, Vettel dagegen nur einen; Anm. d. Red.). Es war ein schwieriges Jahr mit vielen Stolpersteinen. Man muss eben alles zusammenbringen, es muss wirklich alles passen. Sebastian ist jetzt die Benchmark. Das Timing ist perfekt für ihn, und es klappt bei ihm alles."
Sein süßester Moment
Webbers süßester Moment war wohl sein erster Sieg in der Königsklasse im Jahr 2009 auf dem Nürburgring - dem Wohnzimmer des Teamkollegen. Besonders über die Art und Weise seines Erfolges freut sich der Mann aus Queanbeyan noch heute: "Ich wollte keinen Glückssieg, und das war kein Glückstreffer, sondern ein wohlverdienter Erfolg im Kampf gegen die besten Piloten." Gemeint ist nicht zuletzt Vettel, der mit fast zehn Sekunden Rückstand ins Ziel kam. "Das ist natürlich ein Highlight, wenn man seinen ersten Sieg schafft. An jenem Tag hatte ich sogar eine Durchfahrtsstrafe. Mein Vater war vor Ort und hat das alles mitbekommen, dort wurde die Nationalhymne für mich gespielt. Es war ein sehr emotionaler Moment."
Auch seinen Triumph in England 2010 hebt Webber im Nachhinein hervor: "Das war schon besonders, weil Silverstone mein zweites Heimrennen war. Das Wochenende war einfach irgendwie anders. Ich hatte im Rennen zuvor einen schweren Unfall in Valencia gehabt, mir taten die Knochen noch etwas weh. Danach sofort das nächste Rennen zu gewinnen, war einfach perfekt." Allerdings offenbarte Webber in jenem Rennen auch seine ruppige Seite, brachte Red Bull mit seinem Funkspruch "Nicht schlecht für einen Nummer-2-Fahrer" in die Bredouille.
Zuvor im Rennen hatte er mehrere Anweisungen des Teams missachtet, einen Drei-Sekunden-Abstand hinter dem Führenden - Kollege Vettel - zu halten. Ohne darauf zu reagieren, griff er den Teamkollegen an und holte am Ende den Sieg. Gute drei Jahre später sollte sich die Situation unter umgekehrten Vorzeichen in Malaysia wiederholen: Bei der "Teamorder-Affäre" zu Beginn der Saison 2013 überholte Vettel seinerseits entgegen der Anweisungen von Red Bull. Webber präsentierte sich diesmal als hintergangenes Opfer, das sich nur an die Befehle gehalten habe. Im Endeffekt dürften sich Vettel und Webber in dieser Hinsicht wohl nicht allzu viel genommen haben.
Sein Unglück: Sebastian Vettel
Gegen Ende der diesjährigen Saison blühte das Verhältnis der beiden Streithähne aber doch noch ein wenig auf: "Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich viel von ihm gelernt habe", lobt Vettel. "Aufgrund seiner Fähigkeiten habe ich gelernt, ein besserer Fahrer zu werden. Deshalb betrachte ich ihn als einen der talentiertesten Fahrer im Feld. An diesem Punkt wäre es nicht angebracht zu lügen - wir hatten nicht das beste Verhältnis. Wären manche Dinge nur ein bisschen anders gelaufen, dann hätte sich die Geschichte anders entwickeln können. Unabhängig davon hatten wir immer großen Respekt voreinander." Auch Webber hatte kürzlich immer wieder die fahrerische Klasse Vettels betont.
Wie ein roter Faden scheint sich der gut elf Jahre jüngere Heppenheimer durch die meisten Aussagen zu Webbers Charakter zu ziehen - und damit durch diesen Artikel. Offenbar scheint Vettels Beitrag unumgänglich zu sein, um die Wesensart des Routiniers erschöpfend zu umreißen, denn allein durch ihn hat Webber auch Schwächen offenbart. "Es war ziemlich unglücklich für ihn, dass er einen Teamkollegen namens Sebastian Vettel hatte", bedauert Horner deshalb. "Die Leute unterschätzen aber, wie gut Sebastian wirklich ist; Mark ist ein sehr, sehr guter Rennfahrer."
Während seiner Zeit bei Red Bull (2007 bis 2013) habe sich Webber stetig weiterentwickelt: "Als er zu uns kam, war er noch immer ziemlich jung. Er ist mit dem Team gewachsen", so Horner gegenüber 'Sky Sports F1'. "Die sieben Jahre, in denen er hier war, sind eine unglaubliche Reise für ihn und das Team gewesen. Natürlich gab es auch schwierige Augenblicke, doch er ist ein großer Teamplayer. Er darf unheimlich stolz auf das sein, was er erreicht hat. Adrian (Newey; Anm. d. Red.) und alle anderen Jungs haben sehr gern mit ihm zusammengearbeitet", schwärmt der Brite.
Am meisten freut Horner jedoch, dass Webber selbst in seinem letzten Rennen noch "in absoluter Topform" gewesen ist. "So viele Sportler treten mit einem leisen Winseln oder Wimmern ab. Ich denke, die Art, wie er seine Formel-1-Karriere beendet hat, beweist, dass er noch immer am Maximum ist. Er hat sich mit großartigem Stil verabschiedet." Nun steht Webber ein neues Kapitel in der Langstreckenszene bevor. Sein künftiger Teamkollege bei Porsche, Neel Jani, heißt ihn via Twitter bereits willkommen: "Gutes letztes Rennen! Die Formel 1 ist großartig, aber du wirst viel Spaß bei Porsche in der WEC haben: gute Rennen und entspanntere Teamkollegen ;-) !" Bezeichnend, dass dieser Artikel mit einer Anspielung auf Vettel endet.