Die Strategierevolution: Wie Schumacher 1994 Williams schlug

, 04.02.2017

Einer der Hauptgründe für Michael Schumachers plötzlichen Siegeszug im Jahr 1994 blieb lange im Verborgenen: Wie Benetton Williams strategisch in die Knie zwang

Ohne Sperren und Disqualifikationen hätte Michael Schumacher die Formel-1-WM 1994 haushoch gewonnen. Viele meinen, dass die plötzliche Dominanz des damaligen Shootingstars mit der Underdog-Truppe von Benetton vor allem auf den tödlichen Unfall von Ayrton Senna in Imola zurückzuführen war. Andere werfen der Truppe von Flavio Briatore vor, mit einer illegalen Traktionskontrolle getrickst zu haben.

Dabei gab es noch einen anderen Grund, warum Benetton und Schumacher plötzlich den Platzhirschen auf der Nase herumtanzten: die Strategie. Der Hintergrund: 1994 wurden nicht nur elektronische Fahrhilfen wie die Traktionskontrolle, die aktive Radaufhängung und das Fly-by-Wire-System verboten, was dem bis dahin dominanten Williams-Team schadete, sondern auch die Tankstopps eingeführt.

"Wir waren damals die ersten, die strategische und taktische Werkzeuge entwickelt haben", erinnert sich der damalige Benetton-Renningenieur Pat Symonds im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Während andere Teams noch immer auf den richtigen Riecher setzten, hatten wir Programme, die eine große Hilfe waren."

Tankstopps: Warum Ross Brawn cleverer war

Und so gelang es Benetton, die veränderten Vorzeichen bei der Strategie schneller in den Griff zu kriegen als der große Konkurrent von Williams. Warum das so schwierig war? Im Gegensatz zu den reinen Reifenstopps bei konstanter sinkender Spritmenge war es in Zeiten der Tankstopps grundsätzlich ein Vorteil, den Stopp später anzuberaumen als die Konkurrenz. Dann konnte man mit leeren Tanks meist die schnellsten Runden drehen und sich einen taktischen Vorteil herausholen.

"Williams hatte die Strategie, bei der zwischen Spritmenge und Reifenabbau abwägen musste, noch nicht im Griff", gibt Schumacher-Rivale Damon Hill in seiner Biographie "Watching the Wheels" zu. Das lag auch am Know-how des damaligen Benetton-Technikchefs Ross Brawn, wie Hill weiß: "Er war bei der Tankstrategie sehr fit, weil er bei Jaguar im Langstreckensport sehr viel Erfahrung gesammelt hatte."

Zur Erinnerung: Brawn war vor seinem Wechsel zu Benetton im Jahr 1991 drei Jahre lang bei Jaguar in der Sportwagen-WM. Und es gibt kaum ein besseres Rennen als die 24 Stunden von Le Mans, um die Geheimnisse der Tankstrategie zu ergründen.

Zeichenblock gegen Computerberechnung

Ganz anders die Lage bei Williams, wie Hill schildert: "Manchmal fühlte es sich so an, als würden wir uns irgendeine Zahl aus den Fingern saugen." Auch eine fortschrittliche Berechnungsmethode konnte man sich nicht verlassen. Stattdessen verfolgte man zu Saisonbeginn einfach das Ziel, "nicht öfter als notwendig an die Box zu kommen".

Nach einigen Rennen ging man es etwas professioneller an, "als Patrick Head alles auf einem Koordinatenpapier aufzeichnete. Benetton verwendete hingegen bereits die gesamte Saison lang seine Computer, und wir lagen diesbezüglich weit zurück."

Imola-Beschränkungen bremsten Benetton

Doch eines muss man Benetton-Designer Rory Byrne zugutehalten: Wenn man kein gutes Auto hat, dann kann man strategisch noch so gut aufgestellt sein und wird trotzdem keine Seriensiege einfahren. Und der B194 war ein Top-Auto, auch weil das Williams-Konzept noch auf die inzwischen verbotenen elektronischen Fahrhilfen ausgerichtet war.

"1994 hatten wir definitiv ein schnelleres Auto, ehe nach Imola all die Restriktionen kamen. Wir hatten damals eine wirklich gute Aerodynamik", bestätigt Symonds, dass man Williams zu Saisonbeginn nicht nur strategisch, sondern auch beim Auto überlegen war. "Der ursprüngliche Benetton aus dem Jahr 1994 war vielleicht das gutmütigste Auto, mit dem ich je zu tun hatte." Die Reglementänderungen nach dem Horrorwochenende in Imola beschnitten dann aber den Benetton-Vorteil und spielten den Rivalen in die Hände: "Am Ende des Jahres war der Williams wahrscheinlich schneller, auch wegen des Motors."

Benetton-Team war verschworene Einheit

Symonds sieht aber noch einen Vorteil, den der Underdog aus Enstone damals gegenüber der scheinbar übermächtigen Konkurrenz hatte: der teaminterne Zusammenhalt. "Es war vielleicht eines unserer Erfolgsgeheimnisse, dass wir so eine kleine, verschworene Truppe waren", erinnert sich der Brite.

Das ging auch über das Berufliche hinaus: Brawn und Schumacher waren öfter gemeinsam Fischen. Symonds wohnte den Ausflügen allerdings nie bei. "Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen als mit irgendwem Fischen zu gehen", lacht er. "Höchstens im Supermarkt."

Dennoch habe aber auch er eine "sehr enge Beziehung zu Schumacher" gehabt: "Michael hat mich hin und wieder in meinem Haus besucht, und wir haben Partys gefeiert oder ein Barbecue gemacht. Das war gut. Ich war nie im Urlaub mit Michael, aber ich habe ihn einige Male in Monaco besucht."

Der spätere Rekordweltmeister war vor allem dafür bekannt, sich die Namen all seiner Mechaniker sowie persönliche Dinge aus deren Leben zu merken. Das kann Symonds auch von Benetton bestätigen: "Er hatte ein sehr gutes Verhältnis zu den Mechanikern. Das waren damals Leute wie Jonathan Wheatley oder Kenny Handkammer dabei." Beide haben später übrigens bei Red Bull an der Seite von Sebastian Vettel Karriere gemacht - Wheatley als Teammanager und Handkammer als Chefmechaniker. Und sind noch einmal mit einem deutschen Piloten Serienweltmeister geworden.

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