Ross Brawn will echte Überholmanöver in die Formel 1 zurückbringen: Wieso 2017 ein Schlüsseljahr werden wird, er DRS gerne loswerden würde und welchen Plan er hat
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Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Das Überholen wird dieses Jahr aller Voraussicht nach schwieriger. Die Boliden werden schneller, die Aerodynamik aufgewertet, die Bremswege kürzer. Alles keine guten Vorzeichen. Doch nun will sich der von Neo-Formel-1-Eigentümer Liberty Media eingesetzte Top-Ingenieur Ross Brawn der Sache annehmen und in der Überholproblematik, die in den vergangenen Jahren durch DRS für viele unzureichend gelöst wurde, endlich für einen Durchbruch sorgen.
Er glaubt, dass das nur über eine aerodynamische Abrüstung führt. "Das ist vielleicht ein Aspekt, den wir uns ansehen müssen - das Verhältnis zwischen Aerodynamik und mechanischem Grip", erklärt er gegenüber 'ESPNF1'. "Das sagen zwar alle schon lange, aber wir haben es nie getan." Das führt der Brite darauf zurück, dass viele Ingenieure ihre heilige Kuh nicht opfern wollen: "Wenn man ein Windkanalprogramm laufen hat, dann werden die Zahlen immer besser. Und man weiß, dass einen das schneller macht, also macht es süchtig."
Da die Aerodynamik 2017 noch mehr Bedeutung erhält, sieht er die kommende Saison als Schlüsseljahr: "Wir gehen noch weiter in diese Richtung, also wird uns dieses Beispiel ganz genau zeigen, ob es dadurch besser oder schlechter wird. Die kommende Saison wird eine Art Feldversuch." Sollte das Überholproblem somit wie erwartet größer werden, weil sich eine beim Hinterherfahren gestörte Aerodynamik nun negativer auswirkt, könnte die Reglementrevolution 2017 rückgängig gemacht werden.
Ist die Reglementrevolution 2017 bald Geschichte?
"Dann müssen wir das als klaren Hinweis werten, dass langfristig ein Umdenken notwendig ist", stellt Brawn klar. Langfristig, weil eine erneute Reglementänderung für 2018 einigen Teams einen Strich durch die Rechnung machen könnte.
Glaubt man Renault-Pilot Nico Hülkenberg, der die neue Bolidengeneration bereits im Simulator getestet hat, dann könnte es übrigens durchaus sein, dass 2017 eine durchaus überholfreundliche Saison werden könnte. Allerdings nicht auf eine Art und Weise, wie es sich die Puristen wünschen. "Der DRS-Effekt ist deutlich stärker ausgeprägt als bei den 2016er Autos", spielt der Emmericher gegenüber 'auto motor und sport' darauf an, dass der nun breitere Heckflügel auch beim Flachstellen mehr Wirkung erzielt.
Auf engen Kursen werde es jedoch wegen der breiteren Fahrzeuge schwieriger: "In Monte Carlo wirst du jetzt gar nicht mehr überholen können. Du fährst mit den breiten Autos einfach mitten in der Straße, und das war's."
Brawn sagt DRS den Kampf an
Brawn wünscht sich jedoch alles andere als eine größere Bedeutung von DRS. "Ich bin kein großer DRS-Fan", stellt der ehemalige Mercedes-Teamchef klar. "Es stellt eine künstliche Lösung eines Problems dar, dem wir uns nicht stellen wollten. Die Tatsache, dass man auf einen Knopf drückt und fast vorbeikommt, sorgt dafür, dass wir kaum echte Überholmanöver sehen - es hat nicht die gleiche Qualität und ist nicht ganz verdient. Und wenn es dann doch einmal irgendwo anders auf der Strecke passiert, dann sagen wir: Verdammt, war das genial!"
Bislang nahm sich bloß die FIA der Überholthematik an. Die Arbeitsgruppe Überholen schlug vor mehr als einem Jahrzehnt einen doppelten Heckflügel vor, der sich nie durchsetzte. Auch die Reglementänderungen 2009 mit einem breiten, verstellbaren Frontflügel und einem schmalen Heckflügel brachten nicht den erwünschten Durchbruch.
Nun bringt Brawn den Rechteinhaber ins Spiel: "Bislang hatte Formula One Management nie die Kapazitäten, diese Dinge zu studieren, und musste sich stets auf die Ansichten anderer verlassen. Ich möchte nun aber eine kleine Gruppe innerhalb FOM zusammenstellen, die genug Erfahrung und Wissen besitzt, um sich mit diesen Problemen und Herausforderungen auseinanderzusetzen, damit wir selbst eine Lösung vorschlagen können." Man darf also gespannt sein, ob es Brawn gelingt, das leidige Thema endlich aus der Welt zu schaffen.