Geldstrafe, Punktabzug, Sperre - oder doch nur ein "blaues Auge"? Vor dem FIA-Tribunal stellen Paddock-Insider Fragen wie: "Wie weit hängt die FIA da mit drin?"
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Am kommenden Donnerstag tagt im FIA-Hauptquartier am Place de la Concorde in Paris erstmals in seiner Geschichte das 2010 ins Leben gerufene Internationale Tribunal, um den Fall Mercedes zu bewerten. Konkret geht es dabei um die Frage, ob der zunächst geheim gehaltene Pirelli-Test mit einem 2013er-Silberpfeil und den Stammfahrern Lewis Hamilton und Nico Rosberg am Steuer am 15., 16. und 17. Mai in Barcelona bestraft werden muss oder nicht.
Dass es sich bei dem Test grundsätzlich um einen Verstoß gegen Artikel 22.1 des Sportlichen Reglements handelt, steht außer Frage. Unklar ist jedoch, ob die FIA, wie von Mercedes-Verantwortlichen angedeutet, den Test in irgendeiner Form legitimiert hat. Unbestätigten Paddock-Gerüchten zufolge soll der FIA-Delegierte Charlie Whiting Mercedes zumindest per E-Mail genehmigt haben, auf Pirellis Angebot eines solchen 1.000-Kilometer-Tests einzugehen.
Sollte die FIA Mercedes tatsächlich (möglicherweise auch irrtümlich) signalisiert haben, dass ein Test legal wäre, könnte das die auf den ersten Blick relativ klare Beweislage komplett auf den Kopf stellen. "Für mich ist der große Knackpunkt: Wie weit hängt die FIA da mit drin? Denn wenn sie selbst einen Fehler gemacht haben, können sie nicht das Team bestrafen", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer.
Bietet sich Brawn als Sündenbock an?
"Ich denke schon, dass Ross Brawn nicht einfach von sich aus gegen das Reglement verstößt, sondern er muss irgendeine Zusicherung gehabt haben - und das wird wahrscheinlich jetzt rauskommen", glaubt der ehemalige Formel-1-Pilot aus der Schweiz. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Brawn die Entscheidung für den Test bereits öffentlich auf seine Kappe genommen hat und sich damit im Falle einer Bestrafung durch das Tribunal regelrecht als Sündenbock aufdrängt.
"Ross Brawn hat bei der FIA-Pressekonferenz gesagt, dass Mercedes alles offenlegen und dem Tribunal dann klar werden wird, warum sie getestet haben", sagt Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Ich verstehe das alles nicht, deshalb warte ich gespannt darauf, was dabei herauskommt." Klar sei nur eins: "Während der Saison darf man keine Testfahrten mit dem diesjährigen Auto durchführen. Was das Tribunal entscheidet, muss man aber abwarten."
Die meisten Konkurrenz-Teamchefs sind sich darüber einig, dass Mercedes in irgendeiner Form bestraft werden sollte - was angesichts des harten Konkurrenzkampfs in der Formel 1 in der Natur der Sache liegt. Welche Strafe es gibt, "sollte die FIA entscheiden", so etwa Martin Whitmarsh (McLaren) zu 'Motorsport-Total.com': "Aber normalerweise sollte für ein sportliches Vergehen eine sportliche Strafe ausgesprochen werden." Also keine Geldstrafe.
Surer: Geldstrafe ist zu wenig
"Nur eine Geldstrafe", stimmt Surer zu, "würde ja bedeuten, dass ein Team wie Red Bull auch 1.000 Kilometer testen kann und dafür halt zum Beispiel 25 Millionen überweist. Das wäre relativ teuer, aber machbar. Also muss es eine sportliche Strafe geben." Zum Beispiel einen Abzug von Punkten in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft: "Ein Punktabzug wäre sicherlich fair, weil das am Ende der Saison vielleicht eine Platzierung in der Teamwertung und damit wiederum auch Geld kostet."
Von allzu harten Sanktionen rät Surer der FIA ab: "Es ist ja nicht so ein offensichtlicher Betrug wie damals, als BAR mit einem zweiten Tank rumgefahren ist. Damals wurde bewusst betrogen. In diesem Fall war es eher eine Grauzone", sagt er. Nachsatz: "Auch wenn die dunkelgrau war!" Unsere Leser sehen das ähnlich: 63,31 Prozent finden, dass "die Sache stinkt", 16,96 Prozent geben kein Urteil ab - aber immerhin 19,73 Prozent sind überzeugt, dass seitens Mercedes "alles legal" war.
Frage an die Juristin: Impliziert ein Verstoß gegen das Sportliche Reglement automatisch eine sportliche Strafe? "Das impliziert es nicht", findet Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn, "denn es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die Richter im Rahmen ihres Ermessens ergreifen können. Da gehört von Geldstrafen bis hin zu anderen Disziplinarstrafen alles Mögliche dazu. Sie haben dieses Repertoire und werden davon das nehmen, was sie für angemessen halten."
Stoddart hofft, dass Daimler nicht aussteigt
Zurückhaltend auch Ex-Minardi-Teamchef Paul Stoddart: "Vielleicht war Mercedes der Meinung, dass der Test völlig legal war, und wenn man ihnen keine böse Absicht nachweisen kann, sollte es nur eine kleine Strafe geben", erklärt er gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Wenn es bei dem Ganzen auch eine dunkle Seite gibt, dann sollte die Strafe etwas heftiger ausfallen. Aber die Wahrheit ist, dass wir noch nicht alle Fakten kennen und warten sollten, bis diese bekannt sind und vorliegen."
Der Australier, in Kanada seltener Paddock-Gast an einem Formel-1-Wochenende, wünscht sich nur, dass der Daimler-Konzern nicht durch eine allzu drakonische Strafe zum Ausstieg bewogen wird: "Hoffen wir, dass die Strafe dann dem Vergehen angemessen ist und ein großartiges Team wie Mercedes nicht aus der Formel 1 verjagt." Genau das fordert ja dieser Tage der eine oder andere Investor beim Stuttgarter Automobilhersteller.
Bei Mercedes blickt man der Verhandlung jedenfalls gelassen entgegen: "Wir haben unsere Unterlagen aufbereitet, mehr können wir nicht machen", wird Motorsportchef Toto Wolff von der 'Welt am Sonntag' zitiert. "Am Donnerstag kommt das Urteil, dann werden wir sehen, ob wir damit leben können. Wir haben kein Gefühl, weder ein positives noch ein negatives. Unsere Überzeugung ist, nichts Falsches getan zu haben."