Sportchef Toto Wolff hat die Nase voll von Teamcrashes: Lewis Hamilton und Nico Rosberg müssen sich darauf einstellen, dass Mercedes bald aktiv eingreift
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Mit dem zweiten Teamcrash der Saison beim Österreich-Grand-Prix am Sonntag könnten die zwei Mercedes-Kampfhähne Lewis Hamilton und Nico Rosberg den Bogen überspannt und die Geduld ihrer Chefs überstrapaziert haben. Die sportliche Führung der Silberpfeile erklärt ganz offen, über ein Eingreifen per Stallregie nachzudenken, sollten sich ihre Alphatiere in Zukunft wieder zu nahe kommen. "Es ist das zweite Mal passiert. Jetzt ist es genug!", haut Toto Wolff mit der Faust auf den Tisch.
Das ist nicht nur sinnbildlich gemeint. Als es in Spielberg krachte, schlug ein wütender Sportchef auf sein Pult in der Mercedes-Box. Kurze Zeit später war Wolff auf Betriebstemperatur abgekühlt, der Doppelerfolg war jedoch verschenkt. Und das wurmte ihn. Er liebäugelt damit, die so häufig beschworene Doktrin des Freien Fahrens über Bord zu werfen. "Alles Reden hilft scheinbar nicht. Vielleicht muss man unpopuläre Entscheidungen treffen und sie einfach nicht mehr gegeneinander fahren lassen."
Konkret bedeutet das: Stallregie. Wie sie konkret aussehen könnte, ist fraglich. Mercedes wird sich aber kaum an einem Modell wie zu Zeiten Michael Schumachers bei Ferrari orientieren und einem der Piloten a priori den Vorzug geben. Eher geht es darum, riskante Zweikämpfe auf der Strecke auszufechten. "Als Team hätte ich in den letzten beiden Runden gesagt: Position halten! Zu meinen Zeiten war es üblich, wenn es Sprit- oder Bremsprobleme gab", kommentiert Rennlegende Gerhard Berger.
Mercedes-Krisenmeeting findet noch vor Silverstone statt
Auch Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve erkennt Grund für Mercedes, dem "Friendly Fire" einen Riegel vorzuschieben. "Sie können es sich nicht mehr leisten, weil Ferrari und Red Bull nicht weit weg genug sind. Aber daran denken die Fahrer nicht", befürchtet er im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com', dass es einen lachenden Dritten geben könnte. Wie einst bei McLaren 2007, als der Zank zwischen Hamilton, Fernando Alonso und Boss Ron Dennis Kimi Räikkönen den Weg zum Titel ebnete.
Wolff lässt offen, ob eine Teamorder-Politik wirklich kommt und wie sie aussehen könnte, wenn sich das gesamte Rennteam noch dem vor dem Großbritannien-Grand-Prix in Silverstone zu einem Meeting trifft: "Alles kommt auf den Tisch. Es gibt keine heiligen Kühe." Es wird aber über ein Eingreifen des Kommandostandes diskutiert werden, macht ein verstimmter Wolff klar: "Wenn die beiden es nicht begreifen, dass sie sich nicht ins Auto fahren sollen, werden wir für sie nachdenken müssen!"
Motorsportlern kann das nicht schmecken. Da ist Vollgastier Hamilton keine Ausnahme: "Ich will Rennen fahren, ich will der Beste sein, indem ich besser bin als andere", spricht er sich für normale Zweikämpfe aus und betont, in Zeiten vor seinem Formel-1-Einstieg am liebsten harte Bandagen gesehen zu haben. "Als Fan war ich enttäuscht", erinnert er an frühere Rennen, in denen die Chefs das Zepter in die Hand nahmen. "Stallregie wollte ich nie sehen. Hoffentlich ändert sich nichts", so Hamilton.
Hamilton und Rosberg wehren sich (noch) nicht gegen Teamorder
Opposition ist das nicht wirklich - trotz des beherzten Plädoyers. Auch Rosberg, der in Österreich von einem Eingreifen profitiert hätte, gibt den Markensoldaten: "Toto und Paddy (Technikchef Lowe; Anm. d. Red.) sind extrem kompetent. Wenn sie diesen Weg einschlagen, akzeptiere ich es", meint der Deutsche. "Ich denke an das große Ganze und schlucke das." Nicht nur weil er bei den Stuttgartern um einen neuen Kontrakt kämpft, muss er das. Denn der angesäuerte Wolff gibt auf die Frage, ob die Piloten Stallregie akzeptieren würden, eine deutliche Antwort: "In Großbuchstaben: JA!"
Hamilton scheint keinen Anlass zu sehen, um einzugreifen. Vielmehr scheint er es zu bevorzugen, wenn Rosberg einen Einlauf erhielte. "Ich gehe nicht auf die Außenbahn, um zu kollidieren. Ich bin so weit außen wie nur möglich gefahren und habe ganz viel Platz gelassen. Es hätten drei Autos durchgepasst", betont der Brite und hofft darauf, dass sich die Situation nach der Spielberg-Erfahrung von selbst reguliert. Trotzdem hat Hamilton Verständnis für die Überlegung, Rennsiege nicht mehr den Piloten zu überlassen: "Als Teamboss willst du einen Doppelerfolg, als Fahrer will ich vorne sein. Aber wir fahren da mit 300 km/h herum. Erwartet da jemand, dass es nie Probleme gibt?"
Der "neue Nico" als Grund für erhöhte Crashgefahr?
Nein. Auch Toto Wolff nicht. Aber der zweiten Unfall, der gleichbedeutend war mit dem Einbüßen eines Doppelerfolges, macht das Maß offenbar voll. "In Barcelona war ich noch viel entspannter", erklärt er mit Blick auf die Kollision in Runde eins beim Spanien-Grand-Prix. "Da hatten wir 30 Rennen ohne eine Kollision hinter uns. Und in meiner Naivität dachte ich: 'Okay, jetzt haben sie die Konsequenzen gesehen und ihre Lehren daraus gezogen. Das wird nicht wieder passieren.'" Er hatte sich getäuscht.
Mercedes hatte selbst immer wieder davon gesprochen, dass die Crashgefahr omnipräsent sei. In Japan und in den USA 2015 hätte es schon krachen können, in Kanada vor wenigen Wochen ebenfalls. In allen drei Fällen steckte Rosberg zurück. In Spielberg wehrte sich der zweimalige Vizeweltmeister mit Händen und Füßen. Und schon schepperte es. Der "neue Nico", der schon so viele Rennen gewonnen hat, könnte der Grund - wenn auch nicht der Auslöser - für den Silber-Alarm sein.
Auch ein Marketing-Problem: Mercedes-Teamorder wäre "transparent"
Auch Berger, der Rosberg in Vertragsangelegenheiten berät und für ihn mit Mercedes verhandelt, kokettiert damit, dass sich sein Schützling eines Tages von seiner raubeinigen Seite zeigen könnte. "Wenn ich der WM-Führende bin, nehme ich bestimmt Lewis mit ins Aus. Dann ist das zu meinem Vorteil", skizziert er eine schmutzige Praxis, die für Mercedes ein Grund sein muss, Teamorder durchzusetzen. Doch Berger sagt auch: "Ich habe viel Sympathie dafür, die Leute Rennen fahren zu lassen."
Denn für Mercedes ist die Formel 1 allen voran eine Marketingangelegenheit. Schon die Dominanz auf der Rennstrecke ist zum Problem geworden, weshalb die Stuttgarter bei neuen Regeln teilweise einlenken, um für mehr Wettbewerb zu sorgen - wenn nicht sogar Konkurrenten wie Ferrari helfen, wie etwa Zampano Bernie Ecclestone vermutet. Sollte eine von den Fans ungeliebte Stallregie die nächsten Negativschlagzeilen hervorrufen, wird es nicht nur vor den Aktionären schwierig, sich zu rechtfertigen.
Deshalb will Mercedes im Fall der Fälle nicht im stillen Kämmerlein agieren, sondern Klartext reden. "Wir werden immer transparent sein und es sagen", beschreibt Toto Wolff Modelle wie nicht-kodierte Anweisungen im Funk oder eine klare Kommunikation nach den Rennen. Niki Lauda, der Aufsichtsratsboss des Formel-1-Teams, fügt hinzu: "Es wird nicht so sein, dass wir von vornherein sagen, der soll gewinnen und der andere darf nicht. Das geht gegen die gesamte Mercedes-Strategie, die wir seit Jahren fahren." Es sei daran erinnert, dass heilige Kühe eigentlich schon zum Abschuss freigeben sind.