Innerhalb von zwei Wochen hat sich das Stimmungsbild der Formel 1 komplett gewandelt, plötzlich scheinen die unantastbaren Mercedes verwundbar - oder nicht?
© Foto: xpbimages.com
Das hat es in der neuen Ära der Formel 1 noch nicht gegeben: Beim gestrigen Großen Preis von Malaysia wurde Mercedes fair und ehrlich auf der Strecke geschlagen, ohne dass es zu besonderen Umständen gekommen war. Das war seit Einführung der neuen Turbomotoren noch nicht vorgekommen, nachdem Mercedes die Saison 2014 und auch den Saisonauftakt 2015 dominiert hatte.
Im vergangenen Jahr ließen die Silberpfeile auf ihrem Weg zum Titelgewinn drei Rennsiege liegen: In Kanada litten beide Boliden an Bremsproblemen, in Ungarn musste Lewis Hamilton nach einem Defekt im Qualifying von ganz hinten starten, während das Safety-Car alle Siegchancen von Nico Rosberg pulverisierte, und der Ausgang des belgischen Grand Prix mit der teaminternen Kollision ist noch gut in Erinnerung - jedes Mal konnte Daniel Ricciardo im Red Bull profitieren.
Doch in Malaysia gab es keinen ungewöhnlichen Rennverlauf. Gut, man könnte argumentieren, dass das Safety-Car in der Anfangsphase den Ausschlag zugunsten Sebastian Vettels gegeben hat, weil er nicht an die Box kam und seinen Vorteil mit freier Fahrt umsetzen konnte, während Hamilton und Rosberg im Pulk festhingen, doch auch bei Mercedes geht man davon aus, dass es auch ohne das Safety-Car schwierig geworden wäre, Vettel zu besiegen.
Denn bei den Silbernen muss man eingestehen: "In Sachen Longrunpace in diesen heißen und feuchten Bedingungen waren wir nicht das schnellste Auto." Motorsportchef Toto Wolff hat die Zeichen erkannt. Im vergangenen Jahr war man in jedem Rennen am schnellsten, auch wenn Gegner wie Williams in Österreich zeitweise auf Augenhöhe schienen. Nun wurde man allerdings bereits im zweiten Saisonrennen geschlagen.
Wolff: Ära nicht zu Ende!
"Wenn ich optimistisch sein will, dann würde ich sagen, dass Malaysia ein schwieriges Rennen war, und dass die Temperaturen außergewöhnlich waren", sagt der Österreicher weiter, muss aber eingestehen: "Das wäre ein bisschen naiv." Auf die Umstände möchte er es nicht schieben. Ferrari habe stattdessen einfach einen guten Job gemacht und hat das Paket aus Auto, Fahrer und Ingenieuren bestmöglich genutzt.
Bei Mercedes klingeln nach dem "Weckruf" nun die Alarmglocken. Es gibt womöglich endlich einen Gegner, der es mit den Silberpfeilen auf sich nehmen kann. Stimmen im Fahrerlager sprechen gar schon vom Ende einer Ära, doch so weit möchte Wolff noch nicht gehen: "Wir dürfen mit unserer Einschätzung nicht so extrem sein", winkt er ab und verweist auf den Zeitraum vor dem Malaysia-Rennen, wo Mercedes als auf lange Zeit unschlagbar galt. "Und jetzt sitzen wir hier und fragen uns, ob es das Ende einer Ära ist. Das ist es nicht", betont er.
"Es ist aber vielleicht der Beginn einer neuen Ära mit einem guten Kampf - einem Kampf, den wir annehmen wollen", fügt er an. Mit Ferrari könnte sich ein ernstzunehmender Konkurrent entwickeln. Die Scuderia hat nach den Enttäuschungen der vergangenen Jahre umgekrempelt: Altlasten wie Präsident Luca di Montezemolo, die Teamchefs Stefano Domenicali und Marco Mattiacci, Motorenchef Luca Marmorini und auch Fernando Alonso sind nicht mehr da, stattdessen bringen Sebastian Vettel, Maurizio Arrivabene und Sergio Marchionne neuen Wind nach Maranello.
Mercedes verfällt nicht in Panik
Die aktuelle Situation könnte aber auch neuen Wind nach Brackley bringen, wo Mercedes das Rennen von Malaysia und die Umstände der Niederlage analysieren will. Ein neuer Rivale bringt vielleicht frische Motivation zu Mercedes, die bislang wie selbstverständlich Sieg um Sieg einfuhren. "Wir müssen einfach analysieren, was schief lief und wo wir uns verbessern müssen", fordert Wolff nun. "Und wir müssen überlegen, ob wir Entwicklungen vorziehen und schneller ans Auto bringen. Definitiv müssen wir die Pace unserer Entwicklung erhöhen."
Doch bei den Silberpfeilen müsse niemand in Panik verfallen, sieht der Österreicher keinen Grund für voreilige Schlüsse. "Wir sind vielleicht zurück in einer normalen Rennsaison, in der wir mehr als nur einen Wettbewerber haben und nicht mehr an jedem Wochenende die Plätze eins und zwei einfahren. Man kann nicht erwarten, dass man jedes Rennen gewinnt."
Im Team spricht man von dem nötigen Weckruf, den man gebraucht habe. Denn nachdem Toto Wolff und Aufsichtsratschef Niki Lauda im vergangenen Jahr immer betont haben, dass man sich seines Vorsprungs nie sicher war, haben die Resultate anderes gezeigt. Nun haben sie allerdings auch einen Beleg für ihre Aussagen. Toto Wolff hofft, dass nun auch das ganze Gerede von unschlagbaren Silberpfeilen und der Forderung nach Angleichung aufhört. Doch wer weiß, über welche Dinge nach China gesprochen werden. Der Wind kann sich ganz schnell wieder drehen.