Sebastian Vettel rockt den Ring und gewinnt den dramatischen Fight gegen die beiden Lotus-Piloten - Kameramann von herumfliegendem Rad getroffen
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Sebastian Vettel kann also auch im Juli gewinnen, und er kann es auch zu Hause: Der Red-Bull-Pilot gewann heute den spannenden Grand Prix von Deutschland und löschte damit einen der letzten schwarzen Flecken auf seiner ansonsten blütenweißen Karriere-Weste aus. Dementsprechend emotional seine Reaktion am Boxenfunk: "Ja, ja, ja! Wuhuu! Danke, Jungs. Das war ein hartes Rennen. Sie haben mir das Leben wirklich nicht leicht gemacht."
Wie wahr: Gerade mal eine Sekunde Vorsprung rettete Vettel auf dem Nürburgring über die Ziellinie - und entschieden haben vermutlich nur Kleinigkeiten. Vielleicht, dass Kimi Räikkönens Option-Reifen schon sechs Runden auf dem Buckel hatten, als der Lotus-Pilot acht Runden nach Vettel zu seinem dritten Boxenstopp kam, oder auch, dass es aus seiner Sicht vielleicht besser gewesen wäre, die weichen Reifen um ein oder zwei Runden früher aufzuziehen.
Denn: "Hätte das Rennen länger gedauert, wäre die Taktik von Kimi vielleicht aufgegangen", meint Experte Marc Surer. Das Finish war an Dramatik nicht zu überbieten: Vettel lag knapp vor Romain Grosjean (Lotus) und Räikkönen, als die beiden Spitzenreiter zum dritten Mal an die Box kamen - aber der "Iceman" blieb noch draußen. Nach seinem späten Boxenstopp holte er relativ rasch auf. Wer weiß, was geschehen wäre, hätte er DRS schon in der vorletzten Runde aktivieren dürfen? Darauf fehlten nur ein paar Tausendstel...
Vettel erleichtert: Druck von Räikkönen war groß
"Ich bin sehr froh, dass das Rennen nur 60 Runden gedauert hat und nicht 61 oder 62", gesteht Vettel im Podiums-Interview mit 'Formel1.de'-Kolumnist Kai Ebel, dass er im Fight gegen seinen Kumpel wirklich alles geben musste, um vorne zu bleiben. "Endlich hat's geklappt - ich bin überglücklich! Kimi hat am Ende hart attackiert. Sie haben mit den Reifen etwas anderes probiert, aber ich war auch immer am Limit, mit Ausnahme natürlich der Safety-Car-Phase. Am Ende hat es zum Glück gereicht."
Räikkönen fuhr allerdings mit Handicap, denn sein Boxenfunk funktionierte nicht richtig - gerade in einem Rennen wie diesem kein unerheblicher Nachteil: "Ich konnte sie hören, aber sie mich nicht", bestätigt er. "Es hat nur in einem Streckenabschnitt funktioniert. Heute musste viel diskutiert werden, deshalb war es nicht ganz ideal. Wir wollten gewinnen, aber heute hatten wir nicht den Speed. Wenn das Rennen etwas länger gedauert hätte, dann hätten wir vielleicht eine Chance gehabt."
Die hatte auch Teamkollege Grosjean, der sich mit einem langen ersten Stint in eine gute Position brachte und plötzlich Zweiter statt Fünfter war. Erst durch die Safety-Car-Phase konnte Räikkönen von hinten zu ihm aufschließen - aber nicht überholen. Interessantes Detail am Rande: Nach dem Start bat Grosjean das Team, man möge ihn am langsameren Räikkönen vorbeiwinken. Am Ende wurde er dann selbst aufgefordert, den Teamkollegen durchzulassen, damit dieser noch Vettel jagen kann.
Grosjean freut sich über Podestplatz
"Zwischendurch dachte ich, ich hätte die Chance, Seb anzugreifen, aber der Red Bull war heute schnell", sagt Grosjean. "Am Ende haben wir innerhalb des Teams unterschiedliche Strategien gewählt. Ich denke, es war richtig, bei einem Auto auf den Prime-Reifen und beim anderen auf die anderen zu setzen. Es scheint, dass der Option-Reifen von Kimi schneller war. Ich bin glücklich, wieder auf dem Podium zu stehen. Ich denke, das haben wir uns schon seit einer Weile verdient."
Den Grundstein für den ersten Sieg in der Heimat legte Vettel schon am Start, als er Polesetter Lewis Hamilton (Mercedes) mühelos schnupfte und Teamkollege Mark Webber, der an und für sich noch besser weggekommen war, außen in der ersten Kurve keinen Platz ließ. Von da an konnte sich Vettel erstmal an der Spitze konsolidieren, auch wenn das kein Selbstläufer war. Fast unbemerkt gab es sogar eine Schrecksekunde: "Mitte des Rennens habe ich mal KERS verloren, aber es kam Gott sei Dank wieder zurück", berichtet Vettel. Der Defekt bremste ihn nur eine Runde lang.
Webbers Rad trifft Kameramann
Apropos Schrecksekunde: Als Webber in der achten Runde an die Box kam, wäre die Formel 1 beinahe in die nächste Tragödie geschlittert. Der Australier fuhr los, obwohl das rechte Hinterrad noch nicht festgeschraubt war, was wegen unsicherer Freigabe (wird von den FIA-Rennkommissaren untersucht) noch ein Nachspiel haben könnte. Besonders problematisch: Das 15 Kilogramm schwere Rad kullerte über einen Hydraulikschlauch und hob dadurch ab, traf dann von hinten einen TV-Kameramann.
Für Webber, der bis dahin gut dabei war, war es daher ein "schockierendes" Rennen: "Wir hatten einen furchtbaren Boxenstopp. Von da an hatten wir keine Chance mehr auf den Sieg." Aber am allerwichtigsten ist, dass der Kameramann zwar mit Knochenbrüchen ins Militärkrankenhaus in Koblenz gebracht werden musste, aber keine lebensgefährlichen Verletzungen davongetragen hat. "Die gute Nachricht ist, dass der Kameramann ziemlich okay ist", atmet Red-Bull-Teamchef Christian Horner auf.
Mercedes spielte heute überhaupt keine Rolle: Hamilton überholte kurz vor Schluss noch Jenson Button (McLaren), dessen Team auf eine Zweistoppstrategie setzte, und wurde Fünfter, Nico Rosberg Neunter. "Ein Auto, das vor einer Woche gewonnen hat, ist plötzlich nirgends", wirkt Motorsportchef Toto Wolff geknickt. "Beide Fahrer haben sich über mangelnden Grip beklagt. Jetzt muss man analysieren, warum das Auto mit diesen Reifen nicht mehr so fährt wie vor sieben Tagen."
Ferrari: Alonso top, Massa flop
Dafür ging Ferraris Strategie, auf harten Reifen zu starten und erst im letzten Stint auf Option zu wechseln, ganz gut auf. Fernando Alonso schloss in den letzten Runden sogar noch zu Grosjean auf, am Ende fehlten dann aber doch 1,8 Sekunden - und nach der Zieldurchfahrt musste der Spanier seinen Ferrari sofort abstellen. Als Vierter sammelte er jedoch wichtige Punkte für die Weltmeisterschaft, in der er weiterhin an zweiter Stelle liegt.
Teamkollege Felipe Massa bekleckerte sich im Gegensatz dazu nicht mit Ruhm: Der Brasilianer schmiss sein Auto bereits in der ersten Kurve der vierten Runde weg, überbremste das Heck. Als er sich durch die Gänge schaltete, starb der Motor ab - was Renningenieur Rob Smedley am Kommandostand mit einer abwertenden Geste quittierte. Weitere Ausfälle des heutigen Tages waren Jean-Eric Vergne (Toro Rosso/Hydraulik) und Jules Bianchi (Marussia/Motor).
Bianchis Motorschaden war eine der spektakulärsten Szenen des Nachmittags: Der Franzose rollte mit einer riesigen Rauchwolke aus und stellte sein Auto links neben der Strecke ab. Just in dem Moment fing es kurz Feuer. Als dann gerade der Bergekran ankam, rollte der inzwischen führerlose Marussia quer über die Strecke - ein Riesenglück, dass in dem Moment niemand dort vorbeifuhr! Also musste Bernd Mayländer mit dem Safety-Car hinausgeschickt werden.
Webbers Aufholjagd endet auf Platz sieben
Durch die Safety-Car-Phase sah Pechvogel Webber, der sich zurückrunden durfte, noch einmal Land - seine Aufholjagd endete erst auf Platz sieben. Damit kam er vor Sergio Perez ins Ziel, der sich wieder zweimal mit seinem McLaren-Teamkollegen Button duellierte, und er blieb auch vor den beiden deutschen Nicos, Rosberg und Hülkenberg (Sauber). Letzterer fuhr ein starkes Rennen mit Überholmanöver gegen den im Rennen chancenlosen Toro-Rosso-Junior Daniel Ricciardo.
Adrian Sutil (Force India) war der einzige Deutsche, der heute keine Punkte mitnehmen durfte: Platz 13. Und wer dachte, dass Pirelli eine Woche nach Silverstone alles richtig gemacht hat, der irrt: Charles Pic (17./Caterham) musste einmal wegen eines schleichenden Plattens an die Box kommen. Ansonsten hielten die Reifen aber gut: "Da muss man Pirelli mal Dank sagen, denn sie haben das in sehr kurzer Zeit gut hinbekommen", lobt Red-Bull-Teamchef Horner.
In der Fahrerwertung liegt nach neun von 19 Rennen - also zu Halbzeit der Weltmeisterschaft - Vettel mit 157 Punkten in Führung. Alonso hat bereits 34 (also mehr als einen Sieg), Räikkönen 41 Punkte Rückstand. Dahinter folgen Hamilton (99), Webber (93) und Rosberg (84). Bei den Konstrukteuren führt Red Bull (250) vor Mercedes (183) und Ferrari (180). Weiter geht's in drei Wochen mit dem Grand Prix von Ungarn auf dem Hungaroring.