Michael Schumachers Ex-Renningenieur Luca Baldisserri erklärt, warum Ferrari aus Angst wie gelähmt ist und wer schuld ist an der Misere bei Sebastian Vettels Team
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Während die Piloten im Akkord die hervorragende Atmosphäre bei Ferrari loben, hört man nun ganz andere Töne aus Maranello. Und zwar von einem, der Teil der Wundertruppe rund um Michael Schumacher war und nach wie vor ein Naheverhältnis zur Scuderia hat: Luca Baldisserri. "Ferrari ist kein Team mehr, sondern eine Gruppe ängstlicher Personen. Dort herrscht ein Terrorklima", findet der Italiener, der 26 Jahre lang für Ferrari arbeitete, gegenüber 'Corriere dello Sport' harte Worte. "Die Teammitglieder erfinden nichts Neues, sie fassen keine Beschlüsse - aus Angst, verjagt zu werden."
Dass bei Ferrari entgegen der ständigen Bekundungen alles andere als eitel Wonne herrscht, hört man nicht zum ersten Mal. In dieser Deutlichkeit hat es aber vor dem 53-jährigen Ex-Renningenieur Schumachers, der sich in den vergangenen Jahren um die Ferrari-Fahrerakademie kümmerte, noch niemand ausgesprochen.
Dieses Jahr hat Ferrari noch keinen einzigen Sieg zu Buche stehen. Da hilft es auch nichts, wenn sich Vettel wiederholt in alter Schumacher-Manier vor seine Mannschaft stellt, um den Druck zu lindern.
Auch Baldisserri meint: Die Ferrari-Chefs sind schuld
Der viermalige Weltmeister ist für Baldisserri nicht schuld an der Misere, sondern seine Chefs. "Weder Ferrari-Präsident Sergio Marchionne noch Teamchef Maurizio Arrivabene haben Erfahrung mit der Formel 1", sagt der Routinier, der nun in der Formel 4 für Mick Schumachers Prema-Powerteam arbeitet. Auch Eddie Irvine schlug zuletzt gegenüber 'Motorsport-Total.com' in die selbe Kerbe.
Vor allem Marchionne übt immer wieder Druck auf seine Mannschaft aus: Der Ferrari-Boss, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger Luca di Montezemolo nie das Formel-1-Team geführt hat, forderte vor der Saison, dass die Roten zumindest bis zum Saisonfinale um den Titel fahren müssen.
Nach dem mäßigen Saisonstart und dem zunehmenden Unmut Marchionnes wurde der Druck im Ferrari-Kessel immer größer, ehe im Sommer Technikchef James Allison seinen Hut nehmen musste. Und die Umstrukturierung der Umstrukturierung folgte. Ferrari will nun auf eine flachere Struktur setzen, Allison wurde von Ex-Motorenchef Mattia Binotto ersetzt.
Zweifel an erneuten Umstrukturierungen
Baldisserri zweifelt an der Wirkung der Maßnahmen. "Die Befehlskette muss in der Formel 1 vertikal sein, sie muss militärisch aufgebaut sein", kritisiert er sein Ex-Team. "Allison ist ein extremer Verlust." Binotto hält er aber für einen fähigen Mann: "Nach 2014 hat er bei den Motoren Wunder vollbracht."
Während in Maranello also offenbar die Angst vor Schuldzuweisungen und weiteren Maßnahmen gegen die Erfolglosigkeit umgeht und jeder seinen eigenen Kopf retten will, scheint auch Vettels Vertrauen in Ferrari zu leiden. Erst ließ Teamchef Arrivabene durchblicken, dass der Heppenheimer für seinen Geschmack zu viel Mühe investiere, den wankenden Ferrari-Kahn aus eigener Kraft wieder auf Kurs zu bringen. Dann forderte er den Ex-Red-Bull-Piloten auf, sich auf seine Hauptaufgabe, das Rennfahren, zu konzentrieren.
Ferrari fuhr zuletzt im Jahr 2007 mit Kimi Räikkönen den Fahrer-WM-Titel ein, die Konstrukteurs-Krone hat das traditionsreichste Formel-1-Team seit 2008 nicht mehr gewonnen. Nach Fernando Alonsos Scheitern stellte sich im Vorjahr Vettel der Herausforderung, das Team wie einst Vorbild Schumacher wieder zum Erfolg zu führen. Nach einer vielversprechenden ersten Saison mit drei Siegen liegt er nun vier Rennen vor Saisonende auf dem enttäuschenden sechsten Platz, Räkkönen ist immerhin Vierter. In der Konstrukteurs-WM ist man hinter Mercedes und Red Bull nur Dritter.