Ex-Formel-1-Teamchef Colin Kolles wirft Sauber vor, für 2015 sechs Fahrer unter Vertrag gehabt zu haben, und gibt interessante Einblicke in die Hintergründe
© Foto: Sauber
Der Rechtsstreit um das Sauber-Cockpit zwischen Giedo van der Garde und dem Schweizer Rennstall überschattete den Saisonauftakt in Australien 2015. Der Niederländer, der im Vorjahr als Testpilot fungierte, verfügte über einen Vertrag als Einsatzfahrer für diese Saison, wurde aber vom Rennstall ignoriert - stattdessen setzte Teamchefin Monisha Kaltenborn auf die Piloten Felipe Nasr und Marcus Ericsson, die zusätzliches Geld in die leere Teamkasse einzahlten. Das Team hatte bereits 2014 von van der Gardes Sponsorenmitgift profitiert.
Van der Garde gewann fünf Gerichtsprozesse gegen Sauber, hätte also ein Anrecht auf das Cockpit gehabt, einigte sich dann aber mit dem Team außergerichtlich auf eine Abfindung von 15 Millionen Euro. Der Niederländer, der in einigen Tagen 30 Jahre alt wird und sich nun mit dem Ende seiner Formel-1-Karriere abfindet, bekam im Fahrerlager viel Zuspruch, Sauber hingegen musste für sein Verhalten heftige Kritik einstecken.
Die wenigen, die Sauber verteidigten, meinten, dass der marode Rennstall kaum eine andere Wahl hatte, da man durch die ungleiche Einnahmenverteilung in der Formel 1 einen verzweifelten Überlebenskampf führe. Diese Argumentation kann der ehemalige Formel-1-Teamchef Colin Kolles, der viele finanzschwache Teams leitete, nicht nachvollziehen.
Colin Kolles schießt gegen Sauber
"Die Geschichte ist ganz einfach", holt er gegenüber 'ServusTV' aus: "Das war absolut kalkuliert." er geht mit Kaltenborn & Co. hart ins Gericht: "Die Herrschaften haben einfach Geld gebraucht. Nur wenn ich Geld brauche, kann ich nicht mein Auto verkaufen, Geld dafür kassieren, und sechs Monate später verkaufe ich es jemand anderem. Und dem, dem ich es ursprünglich verkauft habe, sage ich Pustekuchen."
In Melbourne stellten tatsächlich drei Piloten einen Anspruch auf das Sauber-Cockpit. Laut Kolles handelte es sich dabei aber nur um die Spitze des Sauber-Eisbergs. "Es gab nicht nur drei Verträge, sondern sechs Verträge", sagt er. Abfgesehen von van der Garde, Nasr und Ericssson nennt er auch noch Adrian Sutil, der im Vorjahr für das Team fuhr und nach wie vor auf eine Abfindung wartet,sowie Esteban Gutierrez und Jules Bianchi.
Auch Gutierrez und Bianchi hatten Verträge
Im Fall Gutierrez fand sich eine elegante Lösung: Laut Kolles konnte Sauber "Altschulden in hoher zweistelliger Millionenhöhe" bei Motorenlieferant Ferrari "teilweise ausgleichen", indem man den Mexikaner als Testpilot an die Scuderia abgab. Bei Bianchi, der aus dem Ferrari-Juniorprogramm stammt, war ein ähnlicher Deal geplant. Das Traditionsteam wollte den Franzosen bei Sauber parken und hätte dem Team aus Hinwil damit einen Teil der Schulden erlassen, doch durch den Horror-Unfall in Japan - Bianchi liegt nach wie vor mit schweren Kopfverletzungen im Koma - kam es nie dazu.
"Es gab einen Vertrag, der mittags am Sonntag mit dem Herrn Bianchi in Suzuka unterschrieben wurde", nennt Kolles ein dramatisches Detail. Wenige Stunden später crashte der damalige Marussia-Pilot auf tragische Art und Weise.
Warum van der Garde verzichtete
Trotz der zahlreichen Piloten, die über einen Vertrag mit Sauber verfügten, saß am Ende die Wunschpaarung des Teams in den Autos. Warum van der Garde schließlich aufgab, obwohl er im Recht war, und damit auf eine Zukunft in der Formel 1 verzichtete? "Ich wollte nie, dass Frau Kaltenborn ins Gefängnis geht oder die beiden Autos nicht fahren", erklärt er gegenüber 'ServusTV'. "Das wäre auch für meinen Namen nicht gut. Deswegen sind wir nicht bis ans Letzte gegangen, weil ich mich auch nicht gut dabei gefühlt habe. Dann ist vielleicht die ganze Karriere vorbei."
Dazu kam, dass Sauber dem ehemaligen Renault-World-Series-Meister in Melbourne die kalte Schulter gezeigt hatte. Und zwar ab dem Moment, als er am Freitagmorgen das Fahrerlager betrat, um eine Sitzprobe im Sauber-Boliden durchzuführen.
Laut van der Garde verweigerte Teammanager Beat Zehnder seinem persönlichen Manager einen Fahrerlagerpass. "Dann haben wir glücklicherweise über Toto Wolff noch einen Pass bekommen, und so kamen wir ins Fahrerlager", erzählt er. Nachdem ihn zahlreiche Fotografen zur Sauber-Box begleiteten, wurden ihm dort weitere Steine in den Weg gelegt. "Als ich in die Box kam, sagte keiner Hallo, keiner schaute mich an." Auch seine Anfragen, das Cockpit an seine Maße anzupassen, wurden ignoriert: "Ich bin eingestiegen und habe gefragt, ob wir beim Sitz was ändern können, aber es war nicht möglich."
Van der Garde von Sauber enttäuscht
Dass sich das komplette Team nach der Gerichtscausa gegen ihn stellte, enttäuscht van der Garde noch heute: "Davor hatte ich ja eine sehr gute Beziehung zum Team, die Leute waren sehr nett zu mir gewesen. Wie kann es also sein, dass sich die Beziehung mit allen Leuten vom einen auf den anderen Tag so verändert? Und das, obwohl wir Anfang 2014 dem Team mit einer Zahlung geholfen hatten, als es Probleme gab."
Noch heute leidet er unter den unglücklichen Ereignissen, da es für die aktuelle Saison auch in anderen Rennserien kaum noch attraktive Cockpits gibt: "Es war dieses Jahr alles so spät, DTM und LMP1 sind schon voll. Daher ist es schwierig. Noch habe ich nichts."
Mittelfristig sieht er aber alles andere als schwarz: "Ich weiß, dass es mit Sicherheit schöne Gelegenheiten geben wird." Er peilt dieses Jahr einen Einsatz bei den 24 Stunden von Le Mans an, in der kommenden Saison visiert er ein DTM-Cockpit an.