Fahrer fordern mehr Abtrieb, Formel-1-Boss die starke Hand von Sergio Marchionne und Teamchef Arrivabene bleibt klare Antworten schuldig: Ferrari "sehr italienisch"
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Mercedes soll in der Formel-1-Saison 2016 die rote Gefahr fürchten - so hatte es FIAT-Boss Sergio Marchionne zu Beginn des Jahres in Aussicht gestellt. Ferrari sollte mit großem Aufwand wieder siegfähig gemacht werden. Es gab kleine Highlights, aber nun herrscht wieder große Ernüchterung. Im Grand Prix von Großbritannien in Silverstone hatten Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel auch gegen Red Bull keine Chance. Die Roten sind derzeit eine graue Maus.
"Das gesamte Wochenende war schwierig. Mehr war unter diesen Voraussetzungen nicht machbar", sagt Räikkönen, dessen Vertrag vor dem Beginn des Rennwochenendes um ein Jahr verlängert worden war. Der Finne mühte sich nach Kräften, behielt im Silverstone-Rennen immerhin noch die Oberhand im Kampf gegen den Force India von Sergio Perez um Rang fünf. "Es war eine Kombination von Wind, mangelnder Reifentemperatur und der generellen Schwachstelle unseres Autos", fasst Räikkönen am Ende zusammen.
"Wir brauchen mehr Abtrieb. Dann liegt das Auto besser auf der Straße, die Reifen funktionieren besser und vieles andere auch", fordert Räikkönen vehement Fortschritte am Ferrari SF16-H. Die Schwachstelle ist klar benannt. "Silverstone ist eine Strecke, auf der aerodynamische Stärken zur Geltung gebracht werden. Es ist offensichtlich, dass uns in diesem Bereich ein wenig fehlt. Das machen andere besser", stimmt Sebastian Vettel seinem Teamkollegen zu.
Silverstone-Schwäche: Barcelona lässt grüßen
Die Schwächen der Ferrari-Aerodynamik waren bereits in Barcelona auffällig geworden. Beim Rennen im Mai hatten zwar beide Ferrari-Fahrer auf dem Podest gestanden, aber ein Abziehbild der wahren Hackordnung war dies keinesfalls: beide Mercedes ausgeschieden, Daniel Ricciardo nach Taktikfehler und Reifenschaden nur Vierter. Max Verstappen siegte in seinem Red Bull, die Scuderia sammelte die Krümel auf. Auf Strecken, die eine effiziente Aerodynamik erfordern, ist Ferrari schon längst nicht mehr zweite Kraft.
"Red Bull hat sicherlich einen Schritt nach vorn gemacht - nicht schlecht. Wir haben gleichzeitig einen Schritt rückwärts gemacht. Wir müssen nun schauen, warum wir mit dem Wind, den Bedingungen, der Strecke und den Reifen so unsere Probleme hatten", will Vettel die Kirche im Dorf lassen. "Ein oder zwei Rennen, die nicht so gut laufen - und sofort ist alles schlecht. Es war ein Rennen, wo wir nicht so auf Augenhöhe waren. Das ist nicht gut, aber wir können viel daraus lernen. Man muss jetzt nicht alles umkrempeln."
Ecclestone traut es nur Sergio Marchionne zu
Nicht jeder teilt die Meinung des Heppenheimers. Ferrari braucht frischen Wind - das meint beispielsweise der enge Vettel-Vertraute Bernie Ecclestone. Auf die Frage von 'formula1.com', wie lange es dauern wird, bis Ferrari ein echter Gegner für Mercedes sein wird, antwortet der Formel-1-Boss lapidar: "Ferrari ist wieder sehr italienisch geworden." Falsche Organisation? Fehlende Motivation? Ecclestone geht mit seiner Kritik nicht allzu weit ins Detail.
Allerdings deutet der Brite an, dass er gern FIAT-Boss Sergio Marchionne direkter involviert sähe. "Er macht einen super Job", so Ecclestone, "aber hat leider extrem viel zu tun. Um das Formel-1-Team zu verantworten, muss man rund um die Uhr daran arbeiten. Ein Teilzeitjob kann das nicht sein. Es ist nichts falsch an Teamchef Arrivabene, aber er tickt eben anders als Sergio." Ein Ferrari-Team unter Leitung von Marchionne sähe anders aus: "Der würde es ganz sicher zusammenbringen."
Der Teamchef steht mal wieder im Zentrum der Kritik. Schon im Mai war über eine mögliche Ablösung spekuliert worden. Arrivabene ist gefordert. Wenn die Piloten mehr Abtrieb benötigen, muss er mit seinem Technikstab entsprechende Lösungen bringen. "Es ist schwierig, zu einem solchen Zeitpunkt in der Saison etwas großes Neues aufzulegen. Das muss man planen, die Balance im Blick halten", so der Italiener. Ferrari muss parallel schon an 2017 arbeiten. "Wenn es noch ein umfangreiches Upgrade geben sollte, dann lassen ich es euch wissen."
Teamchef-Nöte: Kommen Updates, oder kommen keine?
Die Aussagen des Ferrari-Teamchefs klingen nicht nach Optimismus auf der Suche nach mehr Abtrieb. Man hat gleichzeitig andere Baustellen. Zum Beispiel das Getriebe. Ein Defekt der Gangwechsel-Einheit brachte Vettel in Silverstone eine Strafversetzung um fünf Startplätze ein. "Das ist zum dritten Mal passiert. Das macht uns Sorgen", gibt Arrivabene offen zu. Wer Red Bull wieder einholen will, darf sich solche Schwächen nicht erlauben - das ist auch dem Teamchef klar.
" Wir müssen das so schnell wie möglich aussortiert bekommen. Für Sebastian war das nicht toll - auch psychologisch ist es schwierig, wenn du wegen einer Getriebestrafe so weit hinten starten musst", erklärt der zuletzt oft dünnhäutig reagierende Arrivabene. "Es ist noch zu früh, um ganz konkret den Defekt zu beschreiben. Wir müssen das noch analysieren. Ich hoffe, dass es ein Materialproblem ist und nicht eine Fehlkalkulation von unserer Seite."
"Wir müssen unseren Leuten vertrauen und es Schritt für Schritt angehen", mahnt Vettel zur ruhigen Fortsetzung der begonnenen Arbeit in Maranello. "Es gibt keinen Grund, jetzt Trübsal zu blasen", sagt der Heppenheimer. Teamkollege Kimi Räikkönen ist für die bis zur Sommerpause noch anstehenden Grands Prix in Ungarn und Deutschland verhalten optimistisch: "Mercedes wollen wir packen. In Silverstone war auch Red Bull schneller als wir. Ob das auch an den kommenden Wochenenden so sein wird, sehen wir dann."