WM-Leader Sebastian Vettel kommt im Freitagtraining in Spa nicht über Platz fünf hinaus, doch sein Longrun beeindruckt: Wie das erste Kräftemessen wirklich lief
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Der Papierform nach ging Mercedes als Favorit in das Belgien-Wochenende, doch Ferrari sorgte mit einem umfangreichen Update-Paket für Aufsehen. Ist der Plan der Scuderia gelungen, dem SF70H die Schwächen auf Strecken wie Spa-Francorchamps auszutreiben? Der Blick auf das Freitags-Klassement zeigt Mercedes-Star Lewis Hamilton an der Spitze. Während sich Spa-Spezialist Kimi Räikkönen, der am Vormittag Bestzeit fuhr, mit 0,262 Sekunden Rückstand in die Verfolgerrolle schob, war WM-Leader Sebastian Vettel hinter Valtteri Bottas und Max Verstappen nur Fünfter (+0,482).
Doch davon sollte man sich nicht beirren lassen. "Ich habe die Runde nicht zusammengebracht, hatte einen kleinen Fehler", gibt Vettel nach dem Trainingstag offen zu. Doch vor allem bei den vom Regen beeinträchtigten Rennsimulationen sorgte Vettel für hochgezogene Augenbrauen bei der Konkurrenz: Der Ferrari-Pilot, der den Longrun wie die Mercedes-Piloten auf der Ultrasoft-Mischung absolvierte, kam am öftesten unter die Schallmauer von 1:50 Minuten.
"Der Longrun von Sebastian war sehr schnell - fast eine Dreiviertel-Sekunde schneller als wir", lobt Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko. Und Williams-Berater Alex Wurz bestätigt die Beobachtung seines Landsmannes: "Es zeichnet sich ab, dass Mercedes einen Mini-Vorteil hat, vor allem im Qualifying, wenn sie den Motor aufdrehen können. Aber im Longrun-Trimm sieht Ferrari schneller aus."
Ferrari als brandgefährlicher Jäger
Hat Ferrari also tatsächlich einen Vorteil im Rennen? Vettel geht rasch in die Defensive. "Mercedes ist der Favorit, aber wir sind hier, um ihnen das Leben schwer zu machen", freundet er sich mit der Rolle des Jägers an. "Immer, wenn sie rausgefahren sind, konnten sie heute schnell sein. Sie sehen also sehr stark aus." Als gefährlicher Jäger sieht auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff die Scuderia. Von einem großen Mercedes-Vorteil zu sprechen, wäre "zu optimistisch. Es wird wieder ein heißer Ritt. Wir machen uns keine Illusion. Die werden morgen noch stärker werden."
Genau das fordert Vettel auch - von sich und von seinem Team. Denn der Ferrari-Pilot wirkt nach dem Freitag in Spa trotz der guten Longrun-Zeiten unzufrieden, hadert mit dem Fahrverhalten seines Boliden. "Das Balance-Verhältnis vorne zu hinten stimmt noch nicht", gibt er Einblicke in die Set-up-Arbeit. "Das Auto schiebt noch ein bisschen viel über die Vorderräder, ist hier und da noch ein bisschen nervös auf der Hinterachse. Aber wir können ja noch ein bisschen machen am Auto, so ist es ja nicht."
Verzweiflung klingt anders. Interessant ist, dass Räikkönen Vettels Eindruck vom untersteuernden Ferrari teilt. "Ich leide unter der Vorderachse", klagte der Finne während seines Longruns im zweiten Training, den er übrigens als einziger Spitzenpilot auf der Soft-Mischung absolvierte, via Boxenfunk. "Sie ist schwach und greift nicht." Das bewiesen auch die TV-Bilder: Räikkönen war in der Bussstop-Schikane zu diesem Zeitpunkt weit weg von der Ideallinie und erwischte den Scheitelpunkt nicht annähernd.
Warum Vettel mit seiner Leistung unzufrieden ist
Die Ferrari-Piloten sehen aber offenbar kein grundlegendes Problem an ihrem Auto und sind zuversichtlich, ganz vorne mitmischen zu können, wenn man über Nacht an den richtigen Schrauben dreht. "Ich glaube, das Auto ist schon gut", verweist Vettel auf das Update-Paket, das aus einer neuen Vorderradaufhängung, einem neuen Frontflügel und einem überarbeiteten Unterboden besteht. "Wir sind nicht weit weg, müssen es nur zusammenbringen."
Und auch die eigene Leistung macht Vettel nicht glücklich. "Vom Rhythmus her war es noch nicht so gut, auch von meiner Seite. Vor allem auf den Shortruns habe ich keinen Rhythmus gefunden. Ich war mit mir selbst nicht zufrieden." Er hat aber bereits eine Idee, wie er sich selbst steigern kann: "Ich kann es beeinflussen, indem ich anders fahre. Das sollte ich bis morgen hinkriegen."
Räikkönen: Endlich weniger Ärger
Auch Räikkönen spricht von einem "gar nicht schlechten Auftakt" auf einer seiner Lieblingsstrecken. "Durch den Regen konnten wir aber am Ende ein paar Dinge nicht erledigen." Er ist davon überzeugt, dass sein Team noch nachlegen kann. "Ob das dann reicht, werden wir morgen sehen", hält er sich auch wie gewohnt mit Prognosen zurück.
Dafür kann er sich nun besser auf seine Arbeit konzentrieren, da sein Vertrag für die kommende Saison bestätigt wurde. "Dadurch habe weniger Ärger durch euch und durch sie", verweist er auf die Journalisten und seine Vorgesetzten in Maranello. "Es macht mich aber auch nicht schneller."