Sebastian Vettels Mexiko-Auftritt zeigte: Hätte die Scuderia keine Qualifying-Schwäche, wäre sie dank wenig Reifenverschleiß und guter Taktik bei der Musik
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Der wild fluchende, fuchsteufelswilde und vor laufenden TV-Kameras motzende Sebastian Vettel lieferte beim Mexiko-Grand-Prix Stoff für drei Wochen Berichterstattung. Dabei ging völlig unter, dass Ferrari den stärksten Rennsonntag seit langer Zeit erlebte. Der Deutsche war klar schneller als die Red Bull und hätte den derzeitigen Hauptkonkurrenten auf der Strecke bezwingen können, obwohl er nur von Startplatz sieben losfuhr und in der ersten Kurve Opfer einer Kollision wurde.
Entsprechend zufrieden zeigt sich Teamchef Maurizio Arrivabene: "Es ist mir wichtig, dass wir gut arbeiten, dass wir Fortschritte machen und dass etwas vorangeht", stellt er fest und erkennt keinen Widerspruch zu den hohen Ambitionen Ferraris: "Wir sind nicht glücklich, wenn wir Rennen nicht gewinnen, aber wir haben das Optimum herausgeholt. Die Fahrer sind Kämpfer. Das wünsche ich mir." Vettel kam nicht nur über die Moral, sondern auch über eine brillante Strategie zum Erfolg.
Ferrari hatte im Qualifying am Samstag gepokert und sich im zweiten Abschnitt mit Soft-Reifen für das Schlusssegment qualifiziert. Während die Konkurrenz - abgesehen von den beiden Mercedes - mit Supersoft auf den Achsen früh an die Box musste, blieb Vettel bis zur 32. Runde auf der Bahn und genoss freie Fahrt - ohne, dass der Pneu stark abgebaut hätte und seine Zeiten gestiegen wären: "Ich hatte Luft und konnte das Tempo, das im Auto steckte, freilassen. Unser Speed war sehr gut."
Niedrige Temperaturen sind im Qualifying Gift für Ferrari
Das Manöver hätte sich aus zwei Gründen noch stärker ausbezahlen können. Erstens: Vettel startete zu weit hinten. "In Baku, in Barcelona, in Monaco", zählt Arrivabene die Schauplätze des Versagens im Qualifying auf, "wenn die Temperaturen niedrig sind, straucheln wir. Wir werden es analysieren, weil jetzt der Grund klar geworden ist." Offenbar bekommen die Roten die Pneus einfach nicht zum Arbeiten, wenn ein warmer Asphalt nicht mithilft. Der SF16-H geht zu sanft mit den Gummis um.
Außerdem mangelt es dem V6-Hybriden aus Maranello an einem speziellen Motorenmodus für die Jagd nach einzelnen Rundenzeiten. So gelingen zwar sporadisch Bestzeiten in Freien Trainings - wie auch wieder in Mexiko -, aber nicht die Reproduktion dieser Positionen im Qualifying. Teamkollege Kimi Räikkönen hat darüber hinaus immer wieder mysteriösen Gripverlust zu beklagen, was Vettel aber weniger betrifft.
Strecken mit wenig Abtrieb liegen dem SF16-H
Zweitens: Vettel hatte in der Startkurve Pech, als er von Felipe Massa angerempelt wurde und fürchtete, er könnte einen Plattfuß davongetragen haben. Das Auto war zwar nicht beschädigt, aber an dem Brasilianer kam er trotz DRS 14 Runden lang nicht vorbei und verlor Zeit. "Auf den Geraden sind sie einfach sehr, sehr schnell", sagt Vettel über die Williams mit Mercedes-Power. Die Spitzengeschwindigkeiten sind ein weiterer Bereich, an dem Ferrari im Winter arbeiten muss.
Doch als Massa in die Boxenstraße abbog und der Weg frei war, drehte Vettel den Gashahn auf. Er kontrollierte sogar den Abstand zu dem nach ihrem Reifenwechsel hinter ihm fahrenden Mercedes und wurde nicht signifikant langsamer, als er nach seinem langen Stint zur Crew kam. Was dann kam, ist bekannt - und unnötig, findet Vettel. "Wenn wir weiter vorne starten, cruisen wir ohne Probleme zu Rang drei", meint er und schielt sogar auf die Silberpfeile: "Wahrscheinlich sind wir dann sogar in einer Position, um sie unter Druck zu setzen, aber das weiß ich nicht ganz genau."
Unter dem Strich steht: Auf Strecken mit wenig Abtrieb scheint Ferrari nicht so sehr zu leiden wie auf Bahnen, die steile Flügel erfordern. Gute Karten also für Brasilien und Abu Dhabi? "Das ist schwierig vorherzusagen", bremst Arrivabene, lobt aber die Truppe für ihr unablässiges Bemühen um Verbesserungen. "Wenn ich den ganzen Funkverkehr höre, werde ich verrückt!", sagt er ohne auf Vettels Ausraster anzuspielen. "Jeder ist so konzentriert und macht seinen Job. Zum Beispiel die Boxenstopp-Crew: Nicht unglaublich schnell, aber perfekt in dem, was wir von ihnen verlangen."