Ferrari besitzt seit Jahren ein Vetorecht, mit dem jede Regeländerung gekippt werden kann, aber über die wusste nicht einmal Technikchef Ross Brawn Bescheid
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Als mächtigstes Team der Formel 1 besitzt Ferrari ein Vetorecht, mit dem theoretisch alle in den Gremien getroffenen Beschlüsse gekippt werden können. Das war zuletzt im Herbst 2015 der Fall, als sich die Italiener erfolgreich dagegen wehrten, einen Maximal-Leasingpreis für den Antriebsstrang einzuführen, um den kleinen Teams finanziell zu helfen.
Das Ferrari-Veto kommt zwar äußerst selten zur Anwendung, ist historisch aber tief im Machtgefüge der Formel 1 verankert. Nun erklärt der ehemalige Technische Direktor der Scuderia, Ross Brawn, im gemeinsam mit Adam Parr veröffentlichten Buch "Total Competition: Lessons in strategy from Formula One" (erschienen 2016 bei Simon & Schuster in London), dass er zu seiner Ferrari-Zeit über das Veto nicht einmal Bescheid wusste.
"Ich wusste nicht einmal, dass wir ein Veto haben. Wir verwendeten es nicht und ich denke, Jean (Todt, Teamchef; Anm. d. Red.) hätte es auch nie verwendet, weil wir wussten, dass es falsch ist", sagt Brawn. Denn auch wenn es Ferrari aus machtpolitischen Gründen wichtig war, das Veto nicht einfach aufzugeben, herrschte unter den Entscheidungsträgern Todt und Luca di Montezemolo doch Konsens darüber, es nur im alleräußersten Notfall zu aktivieren.
"Ich fand die Sache mit dem Veto erst viel später in meiner Ferrari-Karriere heraus", erinnert sich Brawn. Genauer gesagt zu dem Zeitpunkt, als es darum ging, die neuen Regeln für 2010 zu blockieren, denn Ferrari befürchtete durch diese einen Wettbewerbsnachteil. "Wir unterhielten uns darüber, alles zu tun, was nötig ist, um diese Regeln zu stoppen. Aber ich schätze, unterbewusst war uns klar, dass wir sie im Interesse des Sports akzeptieren müssen", sagt Brawn.
Die Seriensiege von Ferrari in den goldenen Jahren mit Michael Schumacher veranlassten die Regelgeber, über Maßnahmen nachzudenken, die Ferraris Dominanz untergraben könnten. So wurde 2005 die Regel eingeführt, dass Qualifying und Rennen auf einem einzigen Reifensatz bestritten werden müssen - was der Ferrari/Bridgestone-Allianz mehr schadete als anderen Kombinationen. Tatsächlich wurde 2005 Fernando Alonso auf Renault/Michelin Weltmeister.
Im Nachhinein gibt Brawn zu, dass man bei Ferrari "ganz tief drin in unserem Unterbewusstsein" erkannt habe, "dass wir dem Sport nichts Gutes tun. Zu siegen war unsere Verantwortung, dafür waren wir da. Aber wenn der Sport wirklich darunter leidet, wenn uns niemand mehr schlagen kann, akzeptierst du das dann einfach (...)?" Der 62-Jährige räumt ein: "Es bestand ein Zweifel: Schaden wir dem Sport?"