Das Urteil des FIA-Tribunals in der Testaffäre folgt zwar erst am Freitag, doch Mercedes steht mit dem Rücken zur Wand und schlägt selbst eine Strafe vor
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Der mit Spannung erwartete Verhandlungstag in der Test-Affäre um Mercedes und Pirelli brachte einige neue Erkenntnisse, aber kein Urteil: Das FIA-Tribunal auf dem Place de la Concorde entschied nach einem wahren Marathon, erst am Freitag eventuelle Strafen gegen die Angeklagten zu verhängen. Noch ist also unklar, ob Mercedes mit einem blauen Auge davonkommt, die Wahrscheinlichkeit darf aber als gering eingeschätzt werden.
Am Ende des Prozesstages schlug Mercedes-Anwalt Paul Harris bereits selbst vor, wie die "Silberpfeile" belangt werden könnten - mit einer Sperre beim Young-Driver-Test in Silverstone. "Sollten wir etwas falsch gemacht haben, ziehen wir unsere Lehren daraus und entschuldigen uns dafür", sagte er. "Wir haben im Sinne der Sicherheit gehandelt."
In der Endphase wurde es für Mercedes immer enger. Tribunalspräsident Edwin Glasgow verwies immer wieder darauf, dass man beim dreitägigen Test von 15. bis 17. Mai ein aktuelles Auto einsetzte, was ganz klar dem Reglement widerspreche. Der Brite deutete bereits davor mehrmals an, dass die Truppe um Ross Brawn bangen muss. Bereits nach der Anklage durch FIA-Anwalt Mark Howard hatte er eine kurze Pause einberufen - mit den Worten: "damit Mercedes das verdauen kann, was sie gerade gehört haben."
Red-Bull-Teamchef Horner als Überraschungsgast
Neben Mercedes-Teamchef Brawn, Teammanager Ron Meadows, Chefingenieur Andrew Shovlin, Pressesprecher Bradley Lord, Pirellis Motorsportchef Paul Hembery und dem Technischen Delegierten der FIA, Charlie Whiting, sorgte die Anwesenheit von Red-Bull-Teamchef Christian Horner und seinem Chefingenieur Paul Monaghan für hochgezogene Augenbrauen im Sitzungsaal. Red Bull soll angeblich die FIA mit Daten ausgestattet haben, die belegen, dass Mercedes vom Pirelli-Test profitiert habe.
Zunächst bestimmten der Tribunalspräsident Glasgow und sein monegassischer Stellvertreter Laurent Anselmi, der ebenfalls als Richter fungierte, drei weitere Richter aus dem zwölf Mitglieder umfassenden Komitee - den US-amerikanischen GrandAm-Mitgründer Chris Harris, den Berner Anwalt Patrick Raedersdorf und mit Tony Scott-Andrews den Vorsitzenden des britischen Motorsport-Rats. Deutsche oder italienische Richter waren wegen der Nationalitäten der Parteien Mercedes und Pirelli nicht zugelassen.
FIA-Anwalt: Mercedes hat eindeutig gegen Reglement verstoßen
FIA-Anwalt Mark Howard begann daraufhin mit seiner eineinhalbstündigen Anklage und belastete darin Mercedes schwer. Er stützte sich dabei auf die Argumentation, dass es nicht von Relevanz sei, ob das Team aus Brackley von Whiting eine Erlaubnis erhielt, den Test mit einem 2013er-Auto durchzuführen, denn der Technische Delegierte sei dazu gar nicht befugt gewesen. Gültig sei, was im Reglement stehe - nur der FIA-Weltrat oder das Internationale Tribunal könnten diesbezüglich etwas ändern.
Darüber hinaus sei die Testanfrage von Mercedes an Whiting zu unkonkret gewesen: "Dabei war weder die Austragung in Barcelona ein Thema, noch, welche Inhalte die Tests haben sollten", kritisiert Howard. Whiting, der sich beim FIA-Rechtsexperten Sebastien Bernard rückversicherte, erklärte Brawn zwar tatsächlich, dass ein Test nicht gegen Artikel 22 des Sportlichen Reglements verstoße, nannte aber als Bedingung, dass alle anderen Team von Pirelli dazu eingeladen werden müssen und sich Mercedes vergewissern müsse, ob diese Einladung tatsächlich ausgesprochen wurde. Er wirft Mercedes vor, dass man sich daran nicht gehalten habe - die FIA sei auch über die weiteren Schritte nicht in Kenntnis gesetzt worden.
Mercedes: Pirelli führte Test durch und trägt Verantwortung
Mercedes setzte in seiner Verteidigung auf die Argumentationslinie, dass die Tribunalsverhandlung überflüssig sei und sich die "Silberpfeile" nichts zu Schulden kommen haben lassen. Mercedes-Anwalt Harris verwies dabei auf Artikel 22 des Sportlichen Reglements, der besagt, dass das Testverbot für "jegliche Fahrten auf einer Strecke" gilt, "die nicht Teil einer Veranstaltung sind und von einem Mitbewerber in der Weltmeisterschaft mit Autos durchgeführt werden, die im Wesentlichen mit dem aktuellen Reglement sowie mit dem der zwei vorangegangenen Jahre übereinstimmen".
Dies betreffe den Pirelli-Test nicht, da dieser nicht von Mercedes, sondern vom Reifenhersteller "durchgeführt" wurde. Der Reifen-Alleinausrüster habe für den Test bezahlt, alles organisiert und das Programm erstellt, Mercedes sei von Pirelli bloß als "Dienstleister" gemietet worden. Dass der Test nicht dem Reglement widerspreche, hätten laut dem Mercedes-Anwalt auch Whiting und Bernard bestätigt.
Whiting segnete Test ab
Er zitierte als Beweis einen E-Mail-Verkehr der beiden, wo Whiting schreibt: "Meiner Ansicht nach würde so ein Test dann nicht von einem Mitbewerber ausgeführt werden, man könnte argumentieren, dass er von Pirelli ausgeführt wird." Auf die Frage, ob diese Sichtweise zulässig sei, antwortete Bernards per E-Mail: "In der Tat könnten wir diese Sichtweise vertreten. Der Test wird dann nicht von einem Mitbewerber durchgeführt". Als problematisch könnte sich allerdings herausstellen, dass Pirelli als alleiniger Reifenlieferant kaum als Mitbewerber in der Weltmeisterschaft gilt.
Außerdem betonte Harris, dass - sollte sich Mercedes strafbar gemacht haben - dies auch für Ferrari gelten müsste, denn die "Scuderia" testete dieses Jahr mit Pedro de la Rosa ebenfalls für Pirelli. Dies geschah zwar mit einem 2011er-Auto, dieses sei aber nur "eine halbe Sekunde langsamer" und daher durchaus mit dem aktuellen Reglement vergleichbar. Der Mercedes-Anwalt gab zudem Preis, dass Ferrari bereits 2012 mit einem 2010er-Auto mehr als 1.000 Kilometer mit Pirelli getestet haben soll - ohne Folgen. Das ließ Tribunalspräsident Glasgow aber nicht gelten, da dies für den aktuellen Fall nicht relevant sei.
Nach Harris' Verteidigung wurde Mercedes-Teamchef Brawn in den Zeugenstand gerufen. Der Brite widersprach dabei FIA-Anwalt Howard, wonach Whitings Aussagen nicht von Bedeutung seien. "Charlie ist der Ansprechpartner für sportliche Fragen. Alle Teams vertrauen auf seine Aussagen. Im Sportlichen Reglement ist nicht genau festgeschrieben, von wem man eine solche Klarstellung erhalten kann", verweist Brawn auf Unklarheiten im Regelwerk.
Pirelli: Nicht an Sportliches Reglement gebunden?
Der Teamchef gab zu, dass es bei einem Test "unvermeidbar" sei, dass man Daten von Pirelli erhält. "Aber dafür hatten wir ja die Erlaubnis der FIA", wähnte er sich auf der sicheren Seite. Generell habe man keinen Vorteil durch den Test gehabt, auch wenn dies FIA-Anwalt Howard behaupte. Im Anschluss daran wurde Mercedes durch die Verteidigung von Pirelli etwas entlastet: Anwalt Dominique Dumas stellte klar, dass die "Silberpfeile" ursprünglich mit einem 2011er-Auto testen wollten, dieses dann aber nicht einsatzfähig war, weshalb man sich für ein aktuelles Auto entschied.
Wie Mercedes wunderte man sich auch bei Pirelli, warum man überhaupt auf der Anklagebank sitzt. Die Italiener sind der Ansicht, dass sie für den dreitägigen Test nicht bestraft werden können, da man sich bloß an den Vertrag mit der FIA halte und in Hinblick auf das Sportliche Reglement nicht als Mitbewerber - also weder als Fahrer noch als Team - gelte. Bestenfalls könne man vor einem normalen Zivilgericht belangt werden.
Dabei verwies Dumas auf die Crashgate-Affäre 2008, als Renault-Teamchef Flavio Briatore zwar zunächst von der FIA ein lebenslanges Arbeitsverbot aufgebrummt wurde, dieses von einem normalen Gericht aber nachträglich aufgehoben wurde. Für eine Strafe gegen Pirelli gäbe es also "keine rechtliche Basis". FIA-Anwalt Howard ist diesbezüglich anderer Meinung: "Pirelli hat einen Test ausgeführt, der generell regelwidrig war. Ein Ausrüster muss sich wie jeder Bewerber dem Sportgesetz unterwerfen."