Ob auf dem BMX-Rad, beim Tontaubenschießen, im Ruderboot, als Triathlet oder im Bob: Für sechs Formel-1-Piloten, gab es eine zweite sportliche Karriere
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Schnell im Kreis fahren und sich nicht in die Hose machen, wenn eine Betonmauer mit 350 km/h auf einen zukommt. Und sonst? Nichts. Das war seit jeher - zumindest in den Augen der breiten Masse - das Anforderungsprofil an einen Formel-1-Piloten. Längst aber müssen die Fahrer in der Königsklasse halbe Ingenieure sein und wie schon zu Zeiten der Husaren die körperliche Fitness eines Hochleistungssportlers mitbringen. Das hilft vielen, auch in anderen Disziplinen zu glänzen.
Nicht erst seit Anbeginn der Motorsport-Moderne. Bestes Beispiel ist Alfonso de Portago, der 1956 und 1957 für Ferrari ins Lenkrad griff. Am Volant war der in London geborene Sohn spanischer Adliger einigermaßen talentiert. Nach dem Einstieg als Beifahrer und Privatstarter bei den 24 Stunden von Le Mans holte er ohne viel Erfahrung in fünf Rennen einen zweiten Platz. Auf dem Rücken eines Pferdes kam der als Playboy verschreiene Weltenbummler (Spitzname "Partygo") besser klar.
Er wurde französischer Amateurjockey-Meister, ritt auf international höchstem Niveau und startete ein Eddie-the-Eagle-Projekt: De Portago gründete ohne jede Vorkenntnis die spanische Bob-Nationalmannschaft und brachte die Truppe zu den Olympischen Spielen 1956. In Cortina d'Ampezzo verpasste er als Pilot im Zweierbob die Bronzemedaille nur um 0,140 Sekunden. Allerdings gingen auch nur sechs Schlitten an den Start. Dennoch: De Portago ist bis heute der einzige Formel-1-Fahrer ist, der es als Athlet zum Weltfest des Sports geschafft hat. Ein anderer war ganz dicht dran.
Very British: Weltmeister als Tontauben-Schütze und Ruderer
Die Rede ist von Jackie Stewart. Was viele nicht wissen: Der dreifache Weltmeister hatte in der Jugend zwei Leidenschaften. Sein Vater, der eine Autohandlung betrieb und Amateur-Motorradrennen fuhr, führte den kleinen Jackie auch an das Tontaubenschießen heran. Mit 13 Jahren gewann er seinen ersten Titel und wurde für das Nationalteam Schottlands nominiert, mit dem er zu Wettkämpfen in ganz Europa reiste. Schnell machte sich Stewart auch beim Trap-Schießen einen Namen.
Im Kräftemessen um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 1960 in Rom kam es zu einem internen Ausscheidungswettkampf der Briten. Stewart wurde nur Dritter - rückblickend möglicherweise sein großes Glück, denn der geplatzte Italien-Trip eroöffnete ihm die Chance, für einen Kunden seines Vaters eine Reihe von Rennautos zu testen, womit seine zweite Karriere Fahrt aufnahm. Möglich, dass die Erfahrung, am Gewehr mit Druck umzugehen, Stewart im Cockpit geholfen hat.
Graham Hill war sich sogar sicher, dass seine zweite große Passion mitentscheidend für seine Qualitäten im Formel-1-Boliden war: das Rudern. Es habe ihm viel über sich selbst gelehrt, es sei charakterbildend gewesen und hätte ihm Selbstdisziplin eingetrichtert, schrieb er in seiner Autobiografie. Hills Erfolge, die er zwischen 1952 und 1954 feierte, waren beachtlich. Als Schlagmann eines Achters brachte er es bis ins Halbfinale internationaler Wettbewerbe. Die weißen Ruderblätter auf dunkelblauem Grund - das Wappen seines Londoner Klubs - verewigte der zweifache Weltmeister auf seinem Helm, als er danach mit dem Motorsport begann. Hill pumpte bis zu seinem Tod Geld in seinen alten Verein.
Erst BMX-Weltmeister, dann eine eigene Profimannschaft
Schon mit zwölf Jahren auf dem WM-Thron stand Alexander Wurz. Allerdings nicht als Karttalent, sondern mit zwei Rädern weniger, genauer gesagt mit seinem BMX-Fahrrad. Der Dreikäsehoch aus Österreich holte sich den Titel und verschrieb sich fortan dem Motorsport, der ihn zu einem mehrfachen Formel-1-Podiumsbesucher machte. Als Nebenbeschäftigung gründete er später mit Ex-Sportler Markus Rainer ein eigenes Mountainbike-Team, das mehrere Siege im Weltcup einfuhr. Ron Dennis ließ sich überreden, mit McLaren als Sponsor mitzumachen.
Aus der Not eine Tugend machte Alex Zanardi. Nach seinem IndyCar-Unfall auf dem Laustizring, der ihm beide Beine kostete, erschien ein Comeback im Motorsport für den 44-fachen Grand-Prix-Teilnehmer zunächst utopisch. Er entdeckte das Handbike - ein per Handkurbel angetriebenes Liegefahrrad - für sich: 2007 wurde damit Vierter beim New-York-Marathon. Nach vier Wochen Training. Zanardis zweite Karriere nahm Fahrt auf. Er qualifizierte sich für die Paralympics 2012, deren Handbiking-Wettbewerbe auf der Ex-Formel-1-Strecke Brands Hatch ausgetragen wurden.
Der Italiener kam mit zwei Gold- und einer Silbemedaille nach Hause. Anschließend nahm er als Triathlet an der Ironman-WM auf Hawaii teil, wobei er nach dem Schwimmen auf das Handbike umstieg und auf der Laufstrecke einen Rollstuhl verwendete. Trotzdem reichte es für Platz 19 in seiner Altersklasse. Bei den Paralympics 2016 in Rio holte Zanardi zuletzt erneut zweimal Gold.
Für Jenson Button könnten die großen Tritathon-Erfolge noch kommen, sollte es nach seinem Sabbatjahr bei McLaren nicht mit der Formel-1-Karriere weitergehen. Der Weltmeister von 2009 begann mit der Sportart als unterstützendes Fitnesstraining, leckte aber schnell Blut. Der Brite gründete sein eigenes Team, das auf den Namen "Ichiban" (japanisch für "Nummer eins") hört. Er machte sich - auch dank Radtrainings mit Stars wie Mark Cavendish und Philippe Gilbert in Monaco - als einer der weltbesten Amateure einen Namen. Button dachte sogar darüber nach, sich aus der Königsklasse zu verabschieden und einen Olympia-Start 2016 zu seinem Ziel zu erklären.