Geld und Liebe auf den zweiten Blick - made in USA

, 14.11.2012

Letzte Ausfahrt Austin: Wie die Formel 1 in einer der größten Volkswirtschaften der Welt Fuß fassen will und welche Mentalitätsprobleme lauern

In der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt es, den Menschen seien in diesem Land "Life, Liberty and the pursuit of Happiness" vergönnt. Leben, Freiheit und das Streben nach Glück. Auch die Formel 1 sucht ihren Platz - und kommerziellen Erfolg, der sich trotz vieler Versuche weder in Sebring, Riverside, Watkins Glen, Phoenix, Dallas, Detroit oder Indianapolis eingestellt hat. Für die Königsklasse könnte die Rennpremiere in Austin am Wochenende die letzte Chance sein.

Für die Teams und Hersteller ist es eine, die es zu nutzen gilt. Martin Whitmarsh nennt es eine "goldene Gelegenheit", nach 52 Jahren einer von wenigen Bergen und vielen Tälern geprägten Beziehung ohne echte Liebe doch noch mit den USA warm zu werden. "Sie sind die Heimat des Autos. Sie sind einer unser natürlichen Märkte, auf dem wir aktiv werden müssen", unterstreicht der McLaren-Teamchef und räumt ein: "Nicht alle haben vollständig begriffen, dass wir sie mehr brauchen als sie uns."

Reicht ein Rennen in den USA?

Geht es nach Bernie Ecclestone, sollen die USA nicht mehr länger stiefmütterlich behandelt werden - allerdings kokettiert der Formel-1-Zampano mit gefühlt jedem zweiten Land der Welt als neuem Austragungsort. "Die Vereinigten Staaten sind so gross wie Europa, deshalb sollten auf beiden Kontinenten gleich viele Grands Prix ausgetragen werden", rechnet Ecclestone der 'dpa' vor. Norbert Haug scheint zunächst ein Rennen zu reichen: "Es gehört zu einer Weltmeisterschaft dazu."

Whitmarsh hingegen kann sich vorstellen, die Pläne für ein Rennen in New Jersey durchzuziehen. "Es sollte mindestens zwei Rennen in den USA geben", findet der Brite und wundert sich über die Entscheidung, in einen Bundesstaat zu gehen, dessen politisches Klima in Europa als extrem konservativ bis reaktionär gilt. "Texas war nicht unbedingt die nahe liegende Wahl", so der McLaren-Mann. "Aber ich höre über Austin, dass es sich um eine sehr dynamische Stadt handele."

Geld oder Liebe?

Das klingt nach dem richtigen Ort, um die Leute für die Formel 1 zu begeistern - zumindest glaubt das der Mercedes-Motorsportchef: "Es gibt viele Fans und einen hohen Bekanntheitsgrad - das war mein Eindruck, als ich mit den Menschen gesprochen habe", schildert Haug, weiß aber auch um das schwierige Verhältnis der von Hochtechnologie geprägten Königsklasse im Land der Indycars, der NASCAR und der großen Show: "Die Einschaltquoten sind nicht so hoch wie in Europa."

Doch bei aller Romantik: Es geht den meisten in der Formel 1 beim USA-Gastspiel nicht um Dynamik, Atmosphäre oder Fanliebe, sondern um Geld. "Läuft man durch das Paddock und macht eine Liste der 50 größten Geldgeber und fragt sie, was ihre drei wichtigsten Märkte auf der Welt sind, dann nennen 98 Prozent die USA", weiß Whitmarsh. Trotz der Schuldenkrise des Landes ist er sich sicher: "In wirtschaftlicher Hinsicht sind wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort."

Inspiration NASCAR

Doch die hochgelobte, US-amerikanische Mentalität von Freiheit und vor allem Marktfreiheit erweist sich auch als Stolperfalle. "Sie wollen Profit machen, bevor sie etwas anfangen. Das ist nicht einfach", wurde Ecclestone noch vor einem Jahr von der 'dpa' zitiert. Anschaulich formuliert: Die Menschen wollen erst die Zigaretten rauchen und dann das Geld in den Automaten werfen. Ecclestone damals: "Die Formel 1 wird nichts Großes in Amerika werden."

Whitmarsh - und wohl auch der Promoter selbst - ist anderer Meinung. Wenn man denn die Aufgabe in der Neuen Welt richtig angeht: "Wir vermarkten ein ganz anderes Produkt als NASCAR, aber wir haben daraus viel gelernt - kommerziell sind sie tüchtiger als wir." Nur: Mit Marketing alleine wird es nicht getan sein, um dafür zu sorgen, dass der Circuit of The Americas (CoTA) nicht nur bei der Premiere mit 120 000 Zuschauern ausverkauft ist.

Kein Erfolg über Nacht

Einen Appell an die Vergangenheit lanciert Haug: "Es ist ein Land mit großer Motorsport-Geschichte", erinnert der Silberpfeil-Verantwortliche. Aber eben auch ein Land, mit dem der Sport noch eine Rechnung offen habe, nachdem man sich beim Michelin-Debakel 2005 in Indianapolis bis auf die Knochen blamiert hatte. "Ein Erfolg der Königsklasse in den USA wird sich nicht über Nacht einstellen", warnt Marcel Cordes, Vorstand der Sponsoring-Beratung Sport+Markt, laut der 'dpa'.

Doch was kann die Formel 1 unternehmen, um doch zu gewährleisten, dass es mit den USA die Liebe auf den zweiten Blick gibt? "Es wäre großartig, in absehbarer Zeit einen US-amerikanischen Fahrer oder ein US-amerikanisches Team zu haben", schlägt Haug vor. Scott Speed, der letzte Mohikaner im Geschäft, scheiterte jedoch genau wie das Team-Projekt von USF1. Immerhin versuchen Ecclestone und Co. mittlerweile, ein nordamerikanisches GP2-Pendant zu etablieren.

USA brauchen geeignete Rennstrecken

Ziel ist es, die Popularität des Formel-Rennsports und die Nachwuchsförderung im Land der manchmal doch so begrenzten Möglichkeiten zu steigern. Mario Andretti äußert gegenüber 'The Globe an the Mail' eine andere Idee: "Ich würde es sehr begrüßen, gäbe es wieder die Möglichkeit, ein drittes Auto für Gastfahrer einzusetzen - so habe ich den Durchbruch geschafft. Landsleute in den Wagen bringen viel mehr Aufmerksamkeit. Umso Wirbel man machen kann, umso besser."

Gerade in den patriotischen und zuweilen reizüberfluteten USA. Der Weltmeister von 1978 sieht jedoch auch seine Landsleute in der Pflicht, wenn es darum geht, für geeignete Austragungsorte zu sorgen: "Wir haben viele traditionelle Rennstrecke, aber viele sind in Sachen Sicherheit und Infrastruktur nicht mit der Zeit gegangen", räumt Andretti ein. Bahnen wie Road America oder Laguna Seca mögen ihren Charme haben, den Ansprüchen der aseptischen bis wissenschaftlichen Formel 1 genügen sie nicht.

Und so wird deutlich, welche Chance sich in Austin bietet, in den USA Wurzeln zu schlagen. Klar ist aber auch: Es dürfen keine Fehler passieren. Die US-Amerikaner hassen Politisches im Sport, sie sind vernarrt in Emotionen - nicht gerade zwei der großen Stärken der Formel 1. Nutzen Ecclestone, die Teams und der übrige Tross diese Gelegenheit nicht, ist das Streben nach Glück vorbei, ehe es begonnen hat.

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