In seinem neuen Team verhält sich der Mercedes-Pilot noch zurückhaltend und macht sich ein Bild - Silberpfeil-Husaren der Geschichte waren "Superhelden"
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Warum tut er sich das an? Diese Frage stellten sich viele Formel-1-Fans, als Lewis Hamilton im Herbst vergangenen Jahres seinen Wechsel von McLaren zu Mercedes bekanntgab. Eine sportliche Antwort ist der W04 nach durchwachsenen Testeindrücken bisher schuldig geblieben, doch die hatte der Brite auch gar nicht erwartet, wie er im Gespräch mit 'Sport Bild' zu Protokoll gibt: "Der Mercedes ist noch langsamer als der McLaren, aber das war mir vorher klar", meint Hamilton ohne Umwege.
Doch der 28-Jährige arbeitet daran, den Unterschied zwischen Silber und Chrom auf- und wegzupolieren. Etwa am Lenkrad des neuen Boliden hat er schon Hand angelegt - und das nicht nur im Fahrbetrieb. Hamilton hat aus 26 Knöpfen mit Vereinfachungen 20 gemacht, schon bei McLaren hatte er die Zahl der Steuerelemente drastisch reduziert. Trotzdem will er es langsam angehen lassen: "Ich bin aber auch nicht der Typ, der sofort diktiert, wie Dinge gemacht werden müssen", so Hamilton.
"Lauda als scharfen Kritiker wahrgenommen"
Der Ex-Weltmeister fühlt sich nicht als Heilsbringer oder großer Reformer: "Mercedes ist ein professionelles Formel- 1-Team", erinnert er daran, dass seine neuen Chefs und Mitarbeiter das Geschäft ebenfalls seit Jahren kennen. Immerhin handelt es sich um Größen wie Ross Brawn oder Nick Fry. "Im Moment möchte ich erst zuhören und mir ein Bild machen von den Ingenieuren, den Aerodynamikern und der Zusammenarbeit im Team. 2013 sehe ich als Lehrjahr", erklärt Hamilton seine Rolle.
Doch wie lange geht das gut? Bringt Hamilton die nötige Geduld mit, um Mercedes an die Spitze zu führen? Die Diskussion darum kann er nicht nachvollziehen, schließlich war in Woking nicht ständig eitel Sonnenschein: "Auch im McLaren hatte ich nicht immer ein perfektes Auto." An Hamiltons Seite waren dafür immer persönliche Förderer wie Ron Dennis und Martin Whitmarsh, jetzt heißt sein Boss Niki Lauda. Den respektiert er nach eigener Aussage, sieht ihn aber auch als Kritiker seiner Karriere an.
Lauda glaubt an Duelle mit Spitzenteams
"Ich hatte das Gefühl, dass er mich in den vergangenen Jahren immer ziemlich stark kritisiert hat", bestätigt Hamilton, der den Österreicher näher kennenlernen wollte. Die Hand geschüttelt hat er einem Menschen, der offensichtlich optimistischerer Natur ist als er selbst. Denn Lauda verweist auf Fortschritte, die im Winter unternommen wurden und sagt der Zeitung 'O Estado de S.Paulo' über die Aussichten für 2013: "Wir haben uns auf ein Niveau mit McLaren, Ferrari und Lotus gebracht."
Branchenprimus Red Bull sieht der Aufsichtsratsboss des Formel-1-Teams noch ein Stück voraus, allerdings seien die Abstände zwischen allen Wettbewerbern denkbar klein. Hamilton müsste überrascht davon sein, eine so gut aufgestellte Truppe vorgefunden zu haben, meint Lauda. "Ich denke, Lewis hat es als eine Herausforderung angesehen, mit Mercedes Siege einzufahren. Aber wahrscheinlich betrachtet er sie jetzt als kleiner, als er sie sich damals vorgestellt hat", meint der dreifache Weltmeister.
Hochachtung vor Silberpfeil-Pionieren
Diese Worte treffen bei Hamilton nicht unbedingt auf taube Ohren. Rennfahrergrößen haben bei ihm ein Stein im Brett. Von Daimler-Boss Dieter Zetsche ließ er sich beim Rundgang durch das Mercedes-Museum in Stuttgart das erste Auto von Carl Benz zeigen und machte die Sitzprobe im Silberpfeil von Richard "Dick" Seaman. Der Brite galt in den dreißiger Jahren als bester Pilot der Insel und feierte mit dem Grand-Prix-Sieg auf der Nordschleife seinen größten Erfolg.
Auch wenn er kein Geschichtsfreak ist, für Hamilton bedeutet dieser Name etwas. "Als ich in Seamans Auto Platz nehmen durfte, war ich perplex. Ich dachte immer, ich sei schon ein verrückter Typ", erklärt er schmunzelnd. "Aber die Kerle saßen damals in diesen Höllenmaschinen ohne Sturzhelm, ohne Gurte und hatten das Lenkrad direkt vor der Brust. Können Sie sich vorstellen, so über die Nordschleife zu fahren? Ich nicht!", ist Hamilton fasziniert. "Das waren absolute Helden, Supermänner."