Red-Bull-Teamchef Christian Horner geht nach dem Grand Prix von Malaysia hart mit Sieger Sebastian Vettel ins Gericht: "Gibt kein Vertrauen zwischen den beiden"
© Foto: Toro Rosso
Sebastian Vettel hat Mark Webber einen sicheren Sieg weggeschnappt. Der amtierende Champion ignorierte in der Schlussphase des Grand Prix von Malaysia eine Teamorder und überholte seinen führenden Teamkollegen entgegen der Ansage seiner Mannschaft. Die Szene sorgte für viele Diskussionen und für eine neue Eiszeit zwischen den beiden Piloten im Lager der Weltmeister - Istanbul 2011 lässt grüßen. Teamchef Christian Horner verschonte seinen Superstar im Gespräch nach dem Rennen nicht.
Frage: "Christian, wie geht ihr mit dem Disput zwischen euren Piloten um?"
Christian Horner: "Wir hatten nach dem Rennen eine Besprechung mit beiden Fahrern, in der sich Sebastian bei Mark und beim Team entschuldigt hat. Anschließend haben wir unser De-Briefing ganz normal beendet. Nun schauen wir auf das kommende Rennen."
Frage: "Reicht diese Entschuldigung aus, um den Verstoß gegen die Teamorder vergessen zu machen?"
Horner: "Schaut mal: In einer Situation wie der heutigen gibt es zwei Positionen. Es gibt die Sicht des Teams, das die Maximierung des Ergebnisses für die Mannschaft im Blick hat und möglichst viele Punkte mitnehmen will. Darauf lag nach Abschluss der letzten Stopps unser Hauptaugenmerk. Mark war vorne und aus unserer Sicht ging es nur noch darum, mit den Reifen bis zum Ende des Rennens hauszuhalten."
"Wir waren beim vergangenen Rennen und auch hier im Training mit den Reifen immer grenzwertig unterwegs gewesen. Daher ging an beide Fahrzeuge die Order, die Position zu halten. Sebastian hat sich dann entschlossen, dies zu ignorieren. In diesem Moment waren die Interessen des Fahrers und jene des Teams nicht deckungsgleich. Er hat die acht Punkte mehr für den Sieg im Blick gehabt, das Team hatte sichere 43 Zähler insgesamt im Blick - egal, in welcher Reihenfolge sie ins Ziel kommen. Natürlich war es nicht richtig, wie er sich verhalten hat. Er akzeptiert das."
Vettel würde es jetzt anders machen
"Er selbst sagt jetzt, dass er sich in der gleichen Situation nun anders verhalten würde. So ist es eben gelaufen. Wir müssen nun nach vorn schauen und weitermachen. Es ist ja nicht so, als wäre so etwas noch nie vorgekommen. Wir haben diese beiden Jungs unter Vertrag, weil sie so dermaßen schnell sind, weil sie alles geben und weil sie ehrgeizige Charaktere sind. Wir würden es gar nicht wollen, dass sich einer dem anderen unterordnet. Solche Situationen wie heute sind nicht toll für ein Team. Aber wir haben die vollen 43 Punkte mitgenommen. Das alles sollte unsere Leistung nicht überschatten."
Frage: "Sebastian hat gesagt, dass er ganz bewusst überholt hat. Wie kann das sein?"
Horner: "Er war sich nicht dessen bewusst, was wir ihm gefunkt hatten. Es war ihm nicht richtig klar, was wir gesagt hatten. In Brasilien hatten wir das gleiche - nur andersherum. So etwas kommt eben mal vor."
Frage: "Du hast im Funk gesagt, die Aktion sei dumm gewesen..."
Horner: "Er hört offenbar manchmal nur das, was er hören will. Er ist Rennfahrer, er ist schnell und er hat seine drei WM-Titel nicht geholt, weil er die Grenzen nicht auslotet. Heute ist er mit dem Teamkollegen und seinem Team wirklich an die Grenzen gegangen. Die beiden sind nun seit fünf Jahren Kollegen. Die beiden haben dreimal hintereinander die Konstrukteursmeisterschaft für uns geholt. Ich glaube, die beiden haben jetzt schon 35 Siege eingefahren. Wir haben eines der erfolgreichsten Duos aller Zeiten. Die beiden werden nie beste Freunde sein und nie Weihnachten zusammen feiern, aber sie respektieren sich. Es braucht eine gewisse Zeit, das alles zu reflektieren. Aber dann geht es weiter."
Frage: "Sebastian hätte noch zehn Runden lang Zeit gehabt, die Positionen wieder zu korrigieren..."
Horner: "Glaubt wirklich jemand, dass er sich hätte zurückfallen lassen, wenn wir ihm gesagt hätten, er solle Mark wieder vorbeilassen?"
Keine Korrektur gefordert
Frage: "Man hätte es versuchen können..."
Horner: "Nein, das wäre sinnlos gewesen. Er hatte mit seinem Überholmanöver deutlich klargemacht, was sein Ziel war. Wir hatten sogar solch eine Art von Kommunikation, aber er hat es ignoriert. Er hat seine Interessen über jene des Teams gestellt. Er war auf die acht zusätzlichen Punkte für den Sieg aus. Er weiß, dass es aus Teamsicht natürlich falsch war."
"Es ist ein Teamsport, aber es gibt eben auch eine Fahrer-WM. Da gibt es manchmal einen Konflikt. Das gleiche haben wir doch bei den beiden Autos hinter uns gesehen. Wir müssen daraus lernen. Sebastian hat klargemacht, dass er weiß, dass es falsch war. Solche Situationen gab es in der Vergangenheit und die wird es in der Zukunft wieder geben."
Frage: "Wann genau hat er die Ansage bekommen?"
Horner: "In der ersten Runde nach dem letzten Boxenstopp. Nach diesem Boxenstopp war die Rennsituation für uns klar, die Positionen waren bezogen. Es ist nun einmal so, dass die Reifen besonders leiden, wenn man dicht hinter jemandem herfährt. Wir waren am gesamtem Wochenende mit den Pneus am Limit. Wir wollten also dort kein unnötiges Risiko eingehen. Wir als Team wollten einfach die 43 Punkte mitnehmen, was in dieser Phase der Saison enorm wichtig ist. Wenn man die beiden frei fahren lässt, dann entstehen unnötige Risiken. Sebastian wollte diese acht Punkte mehr unbedingt und hat es in die Hand genommen. Er hat sich bei Mark entschuldigt und beim Team - das war's."
Kein Vertrauen zwischen Vettel und Webber
Frage: "War das nicht ein furchtbarer Vertrauensbruch zwischen den beiden?"
Horner: "Mal ganz ehrlich: Spätestens seit Türkei 2011 war zwischen den beiden ohnehin kein großes Vertrauen da. Aber es herrscht Respekt. In Brasilien im vergangenen Jahr sollte Mark die Position halten und griff plötzlich trotzdem an. So etwas passiert. Es sind Rennfahrer, die immer ans Limit gehen. Das ist denen angeboren. Darum nehmen wir diese Jungs unter Vertrag. Deswegen fahren die solch gute Ergebnisse ein."
Frage: "Auf dem Weg zum Podest haben sich die beiden keines Blickes gewürdigt..."
Horner: "In solchen Momenten kochen die Emotionen hoch. Beide waren später in der Besprechung dabei, beide haben sich ausgesprochen. Beide haben sofort den Blick auf die Zukunft gerichtet und mit uns darüber gesprochen, wie wir in den kommenden Rennen noch besser aussehen können. Aber natürlich wird daraus nun eine große Geschichte. Sebastian hat sich entschuldigt und er würde die Uhr gern zurückdrehen und es anders machen."
Frage: "War das wieder ein Argument gegen die Teamorder?"
Horner: "Aus Sicht der Öffentlichkeit wird das so sein. Es war natürlich schön zu sehen, wie die beiden dort Rad an Rad gekämpft haben. Das war toller Rennsport, die beiden haben das gut gemacht. Aber es ist doch ein Teamsport. Und aus unserer Sicht geht es natürlich immer darum, möglichst viele Punkte zu sichern. Alonso, also einer unserer Hauptkonkurrenten, war früh aus dem Rennen. In solchen Momenten ist ein maximales Ergebnis unwahrscheinlich wichtig."
Frage: "Werdet ihr Sebastian auch in Zukunft solche Ansagen ins Cockpit geben?"
Horner: "Im Verlauf eines Rennwochenendes gibt es viele Diskussionen mit den Piloten. Bei uns stand das heutige Problem im Kampf um Platz eins ganz besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Ich garantiere, dass genau das gleiche immer wieder in allen anderen Teams passiert. Das hört man in der Boxengasse immer wieder. Auch dort fahren die Piloten heiße Rennen gegeneinander. Das passiert überall. Es gibt bei so etwas eben den Konflikt zwischen den Interessen eines Fahrers, der zwar beim Team unter Vertrag steht, aber die Fahrer-WM im Blick hat und dem Team, dass eher auf die Herstellerwertung schaut."
Wird sich Webber beruhigen lassen?
Frage: "Wird es auch für Mark bei umgekehrten Vorzeichen solch eine Ansage geben?"
Horner: "Wir werden mit unseren Fahrer in der bisherigen Manier weiter kommunizieren. Wir hoffen, dass sich nach dem heutigen Vorfall in Zukunft alle an unsere Vorgaben halten."
Frage: "Ist für Mark die Welt nach der Entschuldigung von Sebastian wieder in Ordnung, oder denkt er über Konsequenzen nach?"
Horner: "Es dauert natürlich etwas, um wieder herunterzukommen. Was passiert ist, ist passiert. Wir können es nicht mehr ändern. Die Position des Teams ist klar. Mark weiß das. Das Team hat in keinster Weise irgendetwas zu manipulieren versucht, es gibt keine Verschwörung. Dass Mark über mögliche Konsequenzen nachdenkt, hat natürlich mit den frischen Emotionen zu tun."
Frage: "Wird es teamintern irgendeine Strafe für Sebastian geben?"
Horner: "So etwas würden wir ohnehin nur hinter verschlossenen Türen besprechen. Wir hatten hier sofort ein Gespräch. Nun lassen wir die Emotionen etwas abflauen und dann sprechen wir noch einmal. Ich werde noch einmal unter vier Augen mit ihm reden."
Frage: "Gilt die Regel, dass man nach dem letzten Stopp unter solchen Voraussetzungen die Plätze nicht mehr tauscht, eigentlich bei jedem Rennen?"
Horner: "Über diese Vorgabe hatten wir uns ganz speziell vor diesem Rennen unterhalten. Wir hatten Sorgen wegen des Reifenverschleißes. Wenn zwei Autos dicht hintereinander fahren, dann nimmt der Abrieb der Pneus erheblich zu. Nach den Trainings am Freitag hatten wir nicht damit gerechnet, dass wir in diesem zweiten Rennen der Saison elf Runden vor dem Ende auf den ersten beiden Plätzen liegen würden. Es war für uns in jenem Moment klar, dass wir diese 43 Punkte nun mitnehmen müssen. Es war unnötig, in jener Phase des Rennens die Autos und die Reifen besonders hart zu fordern."