Christian Horner spricht Klartext: Welche Rolle Vettels Reifenstrategie spielte, wieso es kein Missverständnis gab und weshalb er die Kritik gegen Red Bull unfair findet
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Der kontroverse Sieg von Sebastian Vettel sorgte dafür, dass nach dem Grand Prix von Malaysia plötzlich kein Mensch mehr über die Performance der Pirelli-Reifen sprach. Bis jetzt, denn Red-Bull-Teamchef Christian Horner stellt nun klar, dass die Pneus einer der Schlüsselfaktoren waren, warum der dreifache Weltmeister die Teamorder bei Red Bull missachtete und seinen Teamkollegen Mark Webber trotz eines Nichtangriffspakts überholte.
"Er war sehr darauf fokussiert und hat sich sehr darauf versteift, das Maximum aus den Reifen herauszuholen", erklärt Horner gegenüber 'Sky'. "Er hatte sich am Vortag einen frischen Satz aufgehoben und wollte davon in den ersten Runden nach dem letzten Boxenstopp Kapital schlagen." Tatsächlich fuhr Vettel, der zwei Runden vor Webber an die Box kam, nach seinem Stopp deutlich schneller als sein Teamkollege und machte einen Rückstand von rund vier Sekunden wett. Als Webber aus der Box kam, wäre es ihm beinahe gelungen, sich sofort am Mann aus "Down Under" vorbeizuschieben.
Im Gegensatz zu Vettels frischen Medium-Reifen musste Webber nach dem Stopp mit einem bereits benutzten Satz der Mischung "Hard" Vorlieb nehmen - dazu kommt, dass der bis dahin führende Red-Bull-Pilot laut Motorsportkonsulent Helmut Marko einen höheren Verschleiß verzeichnete als Vettel. Als es der Weltmeister nicht auf Anhieb schaffte, durch die Strategie die Führung zu übernehmen, ließ er sich auch von Renningenieur Guillaume Rocquelin und Teamchef Horner nicht mehr einbremsen, die den Code "Multi 21" - ein Nichtangriffspakt - per Boxenfunk durchgaben.
Multi 21: Horner nimmt es mit Humor
"Multi 21 bedeutet Auto Nummer 2 vor Auto Nummer 1", erklärt Horner. "Multi 12 bedeutet Auto Nummer 1 vor Auto Nummer 2. Es ist nicht kompliziert. Es ist nicht schwer zu übersetzen, aber beide Fahrer haben es in den vergangenen drei Rennen geschafft, beide Nachrichten nicht zu verstehen." Der Brite, der seine Autorität im Gegensatz zu Mercedes-Teamchef Ross Brawn nicht durchsetzen konnte, nimmt dies mit Ironie: "Ich denke, wir werden diesen Code aufgeben. Wahrscheinlich müssen wir etwas anderes probieren."
Tatsächlich war es Webber, der in Silverstone und in Sao Paulo 2012 die Teamorder, Vettel zu helfen, nicht berücksichtigte. Der "Aussie" argumentiert dies aber stets damit, dass der Rennstall und vor allem Motorsportkonsulent Marko ohnehin auf Vettels Seite stehe und er nicht die gleiche Wertschätzung wie sein Teamkollege erhält. "Wir alle wissen, dass es eine Geschichte zwischen den beiden gibt, und ich bin sicher, dass das in seinem Hinterkopf", glaubt Horner, dass Vettel sich für Webbers Verhalten in der Vergangenheit revanchierte.
Horner schließt Missverständnis aus
Der Grund für die Aufforderung, nach dem letzten Stopp die Motorleistung zu verringern und die Reifen zu schonen, war laut Horner die unberechenbare Reifensituation: "Wir haben das den gesamten Grand Prix hindurch überwacht und hatten ernsthafte Bedenken, dass die Reifen nicht bis zum Rennende halten würden. Da die Mercedes nicht weit hinter uns lagen und sie am Freitag weniger Abbau verzeichnet hatten, war es für uns lebenswichtig, dass wir die Autos sicher nach Hause brachten. Dass die Piloten dann einander bekämpften und knapp hintereinander fuhren, war nicht Teil dieses Plans, denn das ist der einzige Weg, wie man die Reifen wirklich schnell verbrennt."
Dass Vettel den Befehl nicht erhalten oder verstanden hat und es sich um ein Missverständnis handelte, schließt der Teamchef aus: "Ich denke, dass es offensichtlich war, was wir erreichen wollten. Er wurde von seinem Renningenieur sehr bald nach diesem letzten Stopp angefunkt - dann habe ich ein paar Mal mit ihm gesprochen. Daher denke ich, dass die Nachricht, die wir ihm überliefern wollten, ziemlich klar war."
Doch Vettel ignorierte die Anweisung: "Er hat sich entschieden, die Dinge zu diesem Zeitpunkt selbst in die Hand zu nehmen und hat offensichtlich sein Ziel erreicht, Mark zu überholen und das Rennen zu gewinnen. Er war dann über die Reaktionen nach dem Rennen sehr überrascht. Er hat wahrscheinlich die Auswirkungen seiner Aktion unterschätzt." Horner hat aber Verständnis für seinen Leistungsträger: "Er ist ein Rennfahrer. Man gewinnt keine 27 Grands Prix, drei WM-Titel und holt so viele Pole-Positions wie er, wenn man kein äußerst getriebener Mensch ist."
War Teamorder notwendig?
Er verteidigt aber die Entscheidung des Teams, seine Fahrer im letzten Stint einzubremsen und einen Nichtangriffspakt zu verhängen. "Teamorder ist erlaubt, sie existiert in der Formel 1", stellt der ehemalige Rennfahrer klar. "Die Konstrukteurs-WM ist für das Team gleich wichtig oder sogar wichtiger als die Fahrer-WM, denn sie bestimmt, wieviel Geld man bekommt. Daher gibt es natürlich unterschiedliche Interessen bei einem Team - die der Fahrer und die des Teams."
Er hat Verständnis, dass die Fans derartige Entscheidungen ablehnen, "denn als Purist willst du ein Rennen zwischen den Fahrern sehen - und im Endeffekt lieferten sie eine fantastische Show mit tollen Rad-an-Rad-Duellen. Aber gleichzeitig steuert man ein Schiff und trägt die Verantwortung für 600 Leute. Ihre Bezahlung hängt nicht von dem ab, was der Fahrer macht, sondern von der Position in der Konstrukteurs-WM. Daher tragen wir die Verantwortung, dass das Team das Maximum erreicht."
Wie weit die Gleichbehandlung bei Red Bull geht
Dennoch versichert Horner, dass auch in Zukunft beide Fahrer gleich behandelt werden. "Unsere Herangehensweise war immer die, dass das führende Auto Priorität hat - und wir gingen diesmal nach den ersten Stopps davon aus, dass es sich um Mark handelt." Auch abseits der Rennaction versucht Red Bull laut Horner, beiden Fahrern die gleiche Ausgangssituation zukommen zu lassen.
"Wir tauschen an jedem Wochenende die Reihenfolge, wer als erstes im Qualifying rausfahren darf oder wer als erstes beim Debriefing sprechen darf", geht er ins Detail. "Und das geschieht an jedem Wochenende, um absolute Gleichheit bei der Fahrerbehandlung zu garantieren. Das nehmen wir bei uns im Team sehr ernst. Mark weiß um die Unterstützung, die er vom Team bekommt."
An Wochenenden wie in Sepang wäre es für ein Team einfacher, wenn die Positionen im Team klar bezogen sind. Horner sieht aber Vorteile in der aktuellen Konstellation, schließlich pushen sich Vettel und Webber gegenseitig: "Somit verlangen sie einander das Maximum ab. Sebastian holt das Beste aus Mark heraus, und Mark holt das Beste aus Seb heraus."
Horner findet: Tolle Teamleistung wird zu wenig gewürdigt
Nach dem turbulenten Grand Prix musste sich nicht nur Vettel viel Kritik gefallen lassen - auch Teamchef Horner wurde vorgeworfen, die Kontrolle über seine Fahrer verloren zu haben und zu wenig Autorität an den Tag zu legen. Der dreifache Weltmeister sei der "heimliche Teamchef" bei Red Bull, meinten Kritiker.
Der 39-Jährige ist sich der schwierigen Lage bewusst, findet aber, dass mit seinem Rennstall zu hart ins Gericht gegangen wird: "In drei Monaten fällt man vom umjubelten Doppelweltmeister in eine Krise bei einem Doppelsieg. Damit müssen wir umgehen - und ich muss das Beste aus den Fahrern und dem gesamten Team holen. Leider wurde das Erreichte am Sonntag ein wenig vernachlässigt."
Er zählt auf: "Wir haben einen Doppelsieg gefeiert, acht Boxenstopps in unter drei Sekunden abgewickelt - es war einfach eine starke Teamperformance. Es ist schade, dass die Ereignisse der letzten 13 Runden eine wirklich gute Leistung des Teams so verdecken. Malaysia wird leider nicht als tolle Teamperformance in Erinnerung bleiben, sondern für seinen Disput zwischen unseren Fahrern."