Humor, Hirnschmalz und Hokuspokus: Red Bull gibt Rätsel auf

, 03.10.2013

Während Red Bull Betrugsvorwürfen mit Schabernack und Vettel-Lob begegnet, bleibt Alonso cool - Neue Dominanztheorie kursiert - Luxus-Wagenheber vor Verbot?

Wenn ein Auto der Konkurrenz so überlegen ist wie Red Bulls RB9 in Singapur, dann wirft das Fragen auf. In der Formel 1 sind diejenigen, die Antworten zu kennen glauben, für gewöhnlich nie weit entfernt. Um die Dominanz des Sebastian Vettel ranken sich zahlreiche Spekulationen, die von einer Traktionskontrolle bis neuerdings auch zu einem ominösen "Vierzylinder-Modus" des Renault-Aggregats reichen. Der Weltmeister und sein Teamchef nehmen das Drei-Gänge-Menü der Gerüchteküche gelassen.

Vettel ist so entspannt, dass er mit den Journalisten am Donnerstag im Vorfeld des Südkorea-Grand-Prix in Yeongam Schabernack treibt und Fragen nach der illegalen Anti-Schlupf-Regelung so quittiert: "Es hat natürlich super funktioniert in Singapur", erklärt der Heppenheimer süffisant. Breit grinsend führt er aus, wie freitags getestet und samstags getüftelt worden sei. "Am Sonntag hat es das erste Mal richtig funktioniert. Wir sind unheimlich stolz auf unser System, weil die Konkurrenz niemals rauskriegen wird, wie es funktioniert." Eine Verhöhnung für Ex-Teamchef Giancarlo Minardi.

Der hatte die Theorie mit Verweis auf merkwürdige und einzigartige Motorengeräusche sowie frühere Beschleunigungspunkte Vettels in Umlauf gebracht. Es war nicht das erste Mal, dass sich Minardi mit markigen Spekulationen in die Medien gebracht hat. Christian Horner kann nur den Kopf schütteln. "Kompletter Müll", wird der Red-Bull-Kommandant deutlich. "Wir nutzen eine Traktionskontrolle mit einer ECU (zentrale Steuereinheit und Einheitsteil, Anm. d. Red.), die von McLaren zur Verfügung gestellt wird und von der FIA abgenommen wird?", fragt er sich mit großem Verwundern.

Alonso unbesorgt: "Alles in Ordnung"

Die Anschuldigungen bezeichnet Horner als "boshaft oder Wunschdenken". Diesen Tanz auf der Rasierklinge auch nur zu erwägen sei wegen der genauen Inspektionen seitens der Kommissare "dumm". Lewis Hamilton befeuerte die Sache am Donnerstag damit noch weiter, dass er vor der Presse erklärte, das Gaspedal in Singapurs Kurve drei letztmals in Tagen der Traktionskontrolle so früh durchgedrückt zu haben. Vettels Dauerrivalen Fernando Alonso lässt die Sache trotzdem kalt. "Das Motorengeräusch war das ganze Jahr anders", entkräftet er die Theorie Minardis, immerhin früherer Förderer.

Der Spanier hatte das Phänomen schon beim Test in Barcelona beobachtet und führt vermeintliche Erkenntnisse darauf zurück, dass Red Bull einfach irgendetwas anders macht - im Rahmen der Regeln. Alonso verlässt sich auf die Inspektionen der FIA: "Es ist also alles in Ordnung und wir sind gefragt, unser Potenzial zu maximieren. Mich plagt da kein schlechtes oder merkwürdiges Gefühl." Obwohl auch der WM-Zweite Vorteile des RB9 in den Kurven erlebt hat, glaubt er nicht an Wunderdinge. Alonso verweist auf die drückende Überlegenheit des Mercedes in Ungarn, die sich schließlich in Luft auflöste.

Vettel ist nach seiner kleinen Abrechnung mit Minardi wieder auf dem Pfad der Tugend, wenn er sagt: "Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung", so der 26-Jährige, der die Kommentare nicht als Beleidigung aufgefasst haben will und sie als Interesse am Sport und der Technologie dahinter begreift. "Jeder kann erkennen, was er will. Es kommt mehr auf die Zuschauerschaft an als auf Leute, die wirklich was zu sagen haben. Ich glaube, wir nehmen das mehr mit Humor als ernst." Abwarten, ob sich diese Mentalität mit an- und fortdauernden Spekulationen Bestand hat, schließlich kursiert schon eine Theorie 2.0.

Die nächste Theorie: Mapping, Abgase, Fachchinesisch

Die dreht sich um einen "Vierzylinder-Modus" des Renault-Motors, der eigentlich auf acht Töpfen läuft. Nach Informationen von 'auto motor und sport' nutzt Red Bull den Luftstrom des Auspuff, um den Diffusor aerodynamisch seitlich permanent abzudichten. Auch dann, wenn das Ganze am Kurveneingang sowie -ausgang auf natürliche Weise gar nicht möglich ist. Das Auto darf dann laut Reglement bei bestimmter Gaspedal-Stellung auf vier Zylindern verbrennen und spätzünden. Eventuell sogar so trickreich, dass die Abschaltmuster und die künstlich erzeugten Abgase je nach Kurs angepasst werden.

So entstünde in Kombination mit kurzer Übersetzung und vielleicht sogar einem komplizierten KERS-Mechanismus zusätzlicher Anpressdruck, der das Blockieren der Reifen beim Bremsen und Durchdrehen beim Beschleunigen verhindere. Ergebnisse, die denen einer Traktionskontrolle akustisch und faktisch täuschend ähnlich sind, aber komplett legal. Realisiert wird das Ganze über Motorenmapping und Getriebeeinstellung. Doch warum fährt der RB9 dann der Konkurrenz nicht seit Melbourne auf und davon? Schließlich sind Mapping-Abweichungen innerhalb einer Saison nur um zwei Prozent von einem definierten Ausgangswert erlaubt, was auch einen Nachbau der Lösung durch die Konkurrenz verhindert.

Laut dem deutschen Fachblatt heißt das Zauberwort Pirelli, schließlich hätten die Reifen mit dem Überangebot an Abtrieb mit starkem Verschleiß reagiert. Zur Saisonmitte veränderten die Italiener jedoch ihr ein Einheitsmaterial - und spielten den Österreichern in die Karten? Wenn ja, dann wohl deshalb, weil der Wagen an der Vorderachse tiefer und an der Hinterachse höher eingestellt werden kann. Ein Erfolgsrezept, auf das Stardesigner Adrien Newey schon 2011 zurückgriff und die Konkurrenz foppte. Mark Webber nutze die Vorteile, die sich bei niedrigen Geschwindigkeiten auswirkten, nicht optimal.

Causa Wagenheber oder das nächste Wunder

Vettel trimme sich hingegen "Tag und Nacht" im Simulator für die Anforderungen der Mappings unterschiedlicher Rennstrecken. Alles nur die nächste verwegene Theorie beim verzweifelten Versuch, die Leistungen eines Wunderkindes der Formel 1 zu erklären? Vettel glaubt nicht, dass sich der Anteil von Mensch und Maschine am Erfolg bei Red Bull irgendwie unterscheidet: "Die Verteilung ist wie bei jedem Team, man ist vom Auto abhängig. Es wäre doch ziemlich schwierig, Singapur in unter zwei Minuten zu umrunden, wenn man zu Fuß unterwegs wäre (lacht; Anm. d. Red.). So ist der Sport."

Die besten Autos an der Spitze, die besten Piloten in eben diesen Cockpits. Fertig ist das Vettel-Puzzle. Horner macht sich aus den vergangenen Tagen seinen Reim: "Die anderen Teams schauen sich seine Leistungen ganz genau und es ist einfach, zu der Schlussfolgerung zu kommen: 'Sie müssen betrügen'." Und der nächste Ärger um technische Wunderdinge steht ins Haus. Laut 'Bild' verfügt Red Bull über einen Wagenheber, der das Auto nach der Reifenmontage beim Boxenstopp automatisch absenkt und so eine halbe Sekunde Zeitgewinn verschafft, auch Ferrari und Mercedes hätten nachgerüstet.

Die Kosten von angeblich 100.000 Euro trieben die kleinen Teams auf die Barrikaden. Eine neue Hokuspokus-Facette einer sportlichen Spitzenleistung? In Singapur - so meint Horner - sei sein Schützling Vettel einfach nur ein unglaubliches Rennen gefahren, habe sich in absoluter Topform und perfekter Harmonie mit seinem Dienstwagen präsentiert. Ein vierfacher Weltmeister mit 26 Jahren? "Darüber denke ich gar nicht nach", meint Vettel. "Ich bin mir sicher: Hätte man Fangio, Prost oder Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) zu ihrer Zeit gefragt, auch sie hätten nichts auf das Alter gegeben."

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